Geheimnisse

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Dottie

„Nicht so! Um Himmels Willen!"
Kaum merklich zuckte die rothaarige Zofe zusammen, als der Schrei der Königin durch den Raum hallte.
Wie bereits geahnt, hatte das junge Mädchen, mit dem sie sich zuletzt noch den Waschraum geteilt hatte, nicht lange an der Seite der Adligen dienen dürfen.
Aber niemals hätte sie damit gerechnet, dass sie deren Platz einnehmen würde.

„Verzeihung, Majestät", kam es leise aus ihrem Mund, während sie versuchte die grau gesträhnte, blonde Mähne mit ihren rauen, von Hornhaut bedeckten Fingern zu bändigen. 
Dottie gab wirklich ihr Bestes, doch es schien der Königin nicht genug zu sein.
Erzürnt über ihre vermutliche Unfähigkeit, schlug sie die Hände ihrer neu auserkorenen Bediensteten weg. „Wenn du wirklich zu dumm dafür bist, dann lass es mich selbst machen!"

Mit gesenktem Blick wich Dottie einige Schritte zurück und beobachtete die ältere Frau dabei, wie sie sich die Haare mit den bronzenen Nadeln geschickt nach oben steckte und anschließend den Kopfschmuck, der die gleiche Frage trug, passend auf ihrem Haupt drapierte. 

„Bist du wenigstens fähig genug, mir mein Korsett ordentlich zu schnüren?", zischte sie unterdessen ungeduldig.

„Aber ja, Majestät." Zügig machte sich Dottie daran, die Bänder eng zu ziehen und zu verknoten. Anschließend  wollte sie der Königin helfen, in das hellgrüne Gewand mit den goldenen Verzierungen zu schlüpfen, das bereits auf einem, der mit rotem Samt überzogenen Stühle zurechtgelegt worden war. Doch noch bevor sie mit dem Kleid überhaupt in die Nähe der Herrscherin kam, warf diese ihr einen weiteren erbosten Blick zu.

„Nicht dieses! Hast du es denn nicht gehört, du dummes Ding? Mein Sohn ist verschwunden ...", kurz bebte ihre Stimme und ein Schatten der Trauer huschte über ihr leicht faltiges Gesicht, aber sie fing sich schnell wieder. „Zu solchen Anlässen trägt man keine fröhlichen Farben!"

„J...ja, Verzeihung, Majestät", stotterte Dottie, die noch nie in ihrem ganzen Leben so verunsichert gewesen war, wie in diesem Moment. Wieso nur musste diese Aufgabe ausgerechnet ihr zuteil werden? Oh, wie sie Flora in diesem Augenblick dafür hasste, dass sie die Königsfamilie verraten hatte und verschwunden war.

Vorsichtig legte sie das grüne Kleid an seinen Platz zurück, schritt dann auf den riesigen Schrank zu, der gefüllt, beinahe schon überfüllt, mit Gewändern in sämtlichen Farben und aus unterschiedlichen Stoffen war, die sich in ihren Fingern allesamt anders anfühlten.

Sie griff nach einer schwarzen Gewandung mit wunderschönen Puffärmeln und einem weiten, ausladenden Rock.
Mit dieser lief sie zur Königin zurück und half ihr sich in den dunklen Samt einzukleiden.
Er schmiegte sich gleich einer zweiten Haut an den schmalen Körper, so wie all ihre Kleidungsstücke, aber das war auch kein Wunder, bedachte man, dass jedes von ihnen maßgeschneidert worden war.

Die Herrscherin betrachtete sich in ihrem übergroßen Spiegel, drehte sich nach rechts und nach links.
„Richte nun mein Bett und dann geh und tu das, was auch immer eine Zofe um diese Uhrzeit zu tun pflegt", orderte sie an, ehe sie mit grazilen Schritten durch den Raum stolzierte und anschließend aus diesem entschwand, um dem Gespräch zwischen ihrem Gemahl und der Königsgarde beizuwohnen.

Dottie zuckte erneut zusammen, als die Tür mit einem lauten Knall in ihre Angeln fiel. Sie seufzte auf, lief zu der großen Schlafstätte und machte sich daran, die weichen, mit Gänsefedern gefüllten Kissen und Decken aufzuschütteln, nachdem sie das weiße Laken aus Seide glattgestrichen hatte.

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