Theon
Mit einem wehmütigen Ausdruck auf dem Gesicht hatte er der Kutsche hinterher gesehen, als diese vom Hof gerollt war.
Clair hatte keinen einzigen Blick aus dem Fenster geworfen, obwohl er sich so sehr gewünscht hatte. Nicht einmal einen kurzen.
Doch wieso hätte sie das auch tun sollen?
Sicherlich hatte sie das Gefühl, als würde sie aus Bardo verstoßen werden, für etwas, an dem sie keinerlei Schuld trug.Auch wenn er sich einen anderen Ausgang dieser Geschichte ersehnt hatte, war es so am besten.
Sie war hier nicht mehr sicher. Er hätte sie nicht vor dem schützen können, was wie eine riesige Welle unaufhaltsam auf das Königreich zurollte.
Hatte es zu Anfang wie ein unbedeutender Überfall ausgesehen, war es nun zu einer Angelegenheit mutiert, die so viel schwerer wog als ein jeder im Palast je zu denken gewagt hätte.Theon machte kehrt, ließ den Innenhof zurück und ohne dass es ihm bewusst war, brachten seine Füße ihn zu dem verlorenen Garten hinter dem Schloss.
Er verharrte einen Moment vor dem überwucherten Tor, ehe er seine Finger danach ausstreckte und es aufschob. Nur zögerlich trat er ein.
Wie lange war er nicht mehr hier gewesen?
Es war Jahre her.Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, während er über die ungepflegten Wege schritt, dabei in seinen eigenen Gedanken ertrinkend.
Sein Vater hatte Männer der Wachgarde an den Strand entsandt, nachdem Theon mit Clair zurückkehrt war und ihm von dem grauenvollen Ereignis berichtet hatte.
Den Banditen, den Theon hatte festsetzen können, hatte man in das dunkelste Verlies des Kerkers verfrachtet.
Dort hatte er auf das Recht des Königs gewartet und als er nach einigen Tagen schließlich offiziell zum Tode auf dem Schafott verurteilt wurde, begann er unerwarteter Weise wie ein kleines Vögelchen zu singen.
Vermutlich hoffte er dadurch, seiner Strafe zu entgehen. Vergeblich.
Doch er gab etwas preis, mit dem niemand gerechnet hatte.Er erzählte von einer Meute Aufständischer, die sich in die Wälder zurückgezogen hatte und von dort den Fall der Königsfamilie plante.
Der Kies knirschte unter Theons Stiefeln, während seine Füße ihn immer weiter trugen. Sie schienen sich an den Weg zu erinnern, den er früher so oft gegangen war. Aber nie alleine.
Vage tauchten die Bilder längst vergangener Tage vor seinem geistigen Auge auf, als er den kleinen Pavillon erreichte.
Dessen Dach zur Hälfte eingefallen und die Säulen von Efeuranken erklommen.„Hast du ihr Gesicht gesehen?"
Er blickte in diese wunderschönen, unschuldigen, blauen Augen, die mit Tränen der blanken Freude gefüllt waren.
Sie drohten überzulaufen und als sie das nächste Mal zu lachen begann, taten sie es auch.
Salzige Tropfen des Glücks rannen über ihre zarten Wangen, benetzten dann den Kragensaum ihres fliederfarbenen Kleides, das ihr schneeweißes Haar so gut umschmeichelte.Auch Theon lachte und das so sehr, dass ihm der Bauch schmerzte und er ihn mit beiden Händen halten musste.
Und ob er das Gesicht von Callja, der Küchenherrin, gesehen hatte, als sie die beiden Kinder in der Vorratskammer entdeckt hatte, die Münder vollgestopft mit den frisch gebackenen Kakao-Keksen, die eigentlich beim königlichen Bankett hätten serviert werden sollen.Schreiend und lauthals fluchend war sie ihnen hinterher gejagt, als sie die Flucht ergriffen hatten und unter ihren Beinen hindurch gehuscht waren, in den Händen den Rest der köstlich süßen Ausbeute.
Doch eingeholt hatte Callja sie selbstverständlich nicht. Die Kinderbeine waren zu flink für die betagte grauhaarige Frau gewesen und so hatten Theon und Elody den Garten weit vor ihr erreicht und sich unter dem Pavillon versteckt.
DU LIEST GERADE
Veilchenblau
Historical Fiction„Ist es wirklich wahrhaftige Liebe, die wir füreinander empfinden, oder ist es nur die Verpflichtung, die uns miteinander verbindet?" Über den Zeitraum von vier Jahrzehnten herrschten Uneinigkeit und Unruhe zwischen den beiden mächtigsten Königreic...