Wenn es einen Gott gibt

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Clair

Der Moment, in dem die königliche Garde durch das Tor ritt kam einer Erlösung gleich.
Clair konnte keine Sekunde länger an sich halten, stürzte die Treppen hinunter und rannte auf Theon zu, der so schwach war, dass sie ihn auf einem Karren transportiert hatten.

Er sah furchtbar aus. Sein Gesicht war geschwollen, Blut klebte ihm überall am Körper, seine Augen schimmerten glasig. Aber er lebte. Bei Gott, er lebte.

Die anderen Soldaten, die ebenfalls heil zurückkehrten interessierten sie keinen Deut.

„Theon", hauchte sie seinen Namen und sank neben dem Karren auf die Knie.
Tränen rollten über ihre Wangen. Sie zitterte. Vor Erleichterung und Wut gleichermaßen. Wut auf diejenigen, die ihren Prinzen so zugerichtet hatten.
Ihr Blick glitt zu dem Medikus, der herbeigeeilt kam.

„Tragt ihn nach drinnen!", befahl er zwei Rittern, die noch an genügend Kraft besaßen.

„MyLady, mit Verlaub ...", setzte einer von diesen an, sobald er Theon unter den Armen griff und ihn nach oben hieven wollte.

„Das kommt gar nicht erst in Frage!", fiel sie ihm in herrischem Tonfall dazwischen, wohlwissend, dass er sie hatte fortschicken wollen.
Einen Teufel würde sie tun und Theon in dieser dunklen Stunde alleine lassen. Es folgten keine weiteren Einwände mehr.

Als sie Theons kalte, schlaffe Hand ergriff fuhr ihr ein Schauder das Rückgrat hinab. Seine Finger fühlten sich an, als hätte sie bereits jegliches Leben verlassen. „Ihr müsst durchhalten", sagte sie mit Bestimmtheit. Sie erhielt keine Reaktion. Keine Worte, kein schwaches Drücken ihrer Hand.

Die beiden Ritter trugen ihn die Stufen nach oben, vorbei am König, hinein in den Palast. Aus dem Augenwinkel bemerkte Clair wie Theons Vater jegliche Züge entglitten, sobald er seinen Sohn in solch miserablem Zustand erblickte. Er wurde kreidebleich.
„Wo ist Hunter?", verlangte er zu wissen.

Clair wollte es nicht hören, hoffte vergebens darauf bereits außer Hörweite zu sein, als die Antwort kam: „Es tut uns leid, mein König, aber wir konnten nur einen Eurer Söhne lebendig auf dem Schlachtfeld bergen."

Weitere Tränen folgten den ersten, doch jetzt war nicht die Zeit sich der Trauer hinzugeben. Dazu würde Clair später Gelegenheit bekommen. Alles was in dieser Sekunde zählte, war Theon.

Die Soldaten trugen ihn in einen Raum, den Clair zuvor noch nie zu Gesicht bekommen hatte - sein eigenes Gemach.
Dort legten sie ihn vorsichtig auf dem Bett ab, bevor sie zurücktraten, um dem Medikus Platz zu machen, der ihnen gefolgt war.

„Prinzessin, ich weiß Ihr wollt den Prinzen nicht ...", erhob er seine Stimme, wurde aber jäh von Clair unterbrochen. „Ich werde nicht gehen!" Noch immer hielt sie seine Hand fest umschlungen.

Schiere Verzweiflung und Angst breiteten sich in ihrer Brust aus, während ihre Augen über sein Antlitz wanderten. Er hielt die Lider geschlossen, dass sie gar nicht wusste, ob er noch bei Bewusstsein war. Ihr Herz raste, unsichtbare Finger legten sich um ihre Kehle und ließen sie schwerer atmen.

Wenn sie ihn nun doch verlieren würde ... Nein! So durfte sie nicht denken! Nicht für einen einzigen Wimpernschlag!

„MyLady, ich kann meine Arbeit nicht verrichten, wenn Ihr mir nicht den nötigen Raum lasst", versuchte der Medikus es erneut. Seine Stimme war warm und mitfühlend.

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