Der Wunsch nach einem Dreimaster

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Bone

Wie so oft in den vergangenen Tagen lief er auch am heutigen erneut den Weg ab, den die Prinzessin gegangen sein musste.
Blut trabte dabei gelassen neben ihm her.

Beim ersten Mal hatte er ihren Fußabdrücken noch folgen können, doch mittlerweile hatte sie der letzte Regen gänzlich weggewischt. Es wirkte schon fast so, als wären sie niemals da gewesen. Doch er hatte sie gesehen, war ihnen nachgegangen und hatte die Spur schlussendlich am Ufer des Goldflusses verloren.

Für wahnsinnig hatte er sie erklärt, sobald er begriffen hatte, dass sie das breite und reißerische Gewässer überquert hatte. Zumindest hatte sie es versucht. Er war sich beinahe sicher, dass die Strömung sie mitgerissen haben musste. Anders konnte es nicht sein, wenn er an ihre dürren Arme und Beine dachte, die niemals die Kraft hätten aufbringen können, dagegen anzukämpfen. Nicht nachdem die Rebellen sie tagelang hatten hungern lassen.

In der Hoffnung Hinweise auf ihr verbleiben zu finden war er dem Fluss gefolgt, doch auch diese Suche war erfolglos geblieben.
Doch da er noch nie jemand gewesen war, der leicht aufgab, schritt er auch heute wieder am Gestade entlang. Zudem hatte er es seiner Königin der Veilchen versprochen, sie zu finden und wenn er ihr etwas versprach, dann setzte er auch alles daran, sein Wort zu halten. Wenn es auch noch einhundert Tage und Nächte dauern würde bis er herausfand wohin die Prinzessin verschwunden war, er würde nicht aufhören den Taliswald und wenn nötig auch die umliegenden Forste und Dörfer nach ihr zu durchkämmen.

Bone blieb stehen als Blut in seiner Bewegung verharrte und die Schnauze höher in die Luft reckte. Dabei öffnete das schwarze Tier sein Maul, sog, was auch immer es witterte, tief in sich ein.

„Ich hoffe für dich, dass es kein Wild ist, dem du gerade nachzujagen drohst", murrte der Mann, während er beobachtete wie der Wolf langsam seine rechte Vorderpfote anhob.

Nur eine Sekunde später rannte er los, verschwand im Dickicht des Waldes und ließ seinen Herrn allein am Gewässer zurück.
Dieser schüttelte übellaunig den Kopf. „Vermaledeites Tier!", brüllte er ihm nach, auch wenn seine Wutanfälle den Wolf reichlich wenig interessierten. Das hatten sie noch nie.

Noch eine Weile folgte er ohne Begleitung seines sonst so treuen Gefährten der Strömung. Erst als es dämmerte beschloss er zurückzugehen, denn einer Horde Wildschweine oder einem ungezähmten Wolfsrudel auf der Jagd wollte er wahrlich nicht begegnen.
Die Wälder konnten gefährlich sein, wenn man sich nicht auskannte. Vor allem in der Dunkelheit. Noch ein Grund, der ihn sich sicher sein ließ, dass die Prinzessin dem Forst niemals lebendig entkommen sein konnte.

Das Rauschen des Flusses dröhnte in seinen Ohren, das leise Quietschen von feuchtem Moos unter seinen Stiefeln mischte sich darunter. Der Geruch vom nassen Erdboden, Tannennadeln und frischem Harz kroch ihm in die Nase.
Ungewollt ergriff ihn ein sonderbarer, innerer Schmerz, den er nicht mehr allzu oft fühlte, seit er Fiolet kannte.
Er liebte den Wald, das stand außer Frage, aber dennoch vermisste er seine wahre Heimat - die Länder im Norden und vor allem das Meer.
Ihm fehlte der salzige Duft, der über dem Ozean schwebte, der Gesang der Wellen, wenn sich ein Sturm anbahnte und der raue Wind, der seine Wangen so oft liebkost hatte. Eine Berührung der Natur, die ihm noch lieber war als die der schönsten Frau der Welt. Fiolets Berührung.

Schon vor Monaten hatte er sich in Gedanken versprochen wieder zurückzukehren sobald das alles hier vorbei war - sobald seine Königin auf dem Thron saß und für Gerechtigkeit sorgte. Dann erst war die Zeit gekommen, den ihm zugesicherten Gegengefallen einzufordern - einen Dreimaster.
Auf diesem würde er wieder über die Meere segeln, würde seiner früheren Leidenschaft nachgehen, reiche Handelsschiffe überfallen und sich die Besitztümer deren Belegschaften aneignen.

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