Ein neuer Name

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Clair

Ihre Füße brannten, ihre Kehle fühlte sich noch trockener an, als während den Tagen, die sie in der stickigen Kammer verbracht hatte. Dreck klebte ihr am gesamten Körper und ihr schönes rotes Kleid, war beinahe nicht mehr als solches wiedererkennbar.

Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon orientierungslos durch den Wald irrte. Manchmal kam es ihr so vor, als liefe sie nur im Kreis.
War sie verloren? Im Moment machte es den Anschein danach. Ihr Magen knurrte mit der Lautstärke eines Bären. Wie lange hatte sie schon nichts mehr gegessen?

Erschöpft stützte sie sich mit der Hand an den Baumstamm einer schmalen Birke ab. Abermals begann sich ihre Welt zu drehen, geriet ins Wanken und schwarze Pünktchen mischten sich in ihr Sichtfeld. Nicht mehr lange und sie würde das Bewusstsein verlieren.

Die ganze Zeit über hatte sie damit gerechnet, dass die Rebellen sie einholen und sie auf der Stelle einen Kopf kürzer machen würden. Doch das war nicht geschehen.
Zu verdanken hatte sie dies wohl entweder dem Regen vor zwei Tagen, oder aber der Überquerung des reißerischen Flusses, die sie beinahe das Leben gekostet hatte.

Sie hatte die Strömung unterschätzt, war von ihr ein gutes Stück flussabwärts getrieben worden.
Dabei war sie immer wieder unter das Wasser getaucht, hatte Flüssigkeit geschluckt. Es kam ihr fast schon wie ein Wunder vor, dass sie mit ihrem Schädel an keinen der Felsen gestoßen war und dass sie es am Ende geschafft hatte, eine Wurzel, die weit ins Gewässer geragt hatte, zu ergreifen, um sich mit letzter Kraft in Sicherheit zu bringen.

Seit dem Vorfall an der Drachenküste hatte sie die Existenz Gottes in Frage gestellt. Nun aber war sie wieder davon überzeugt, dass es ihn geben musste und dass er ihr gegenüber gut gesinnt war.

Müde Augen richteten sich auf den Himmel, der hier und dort zwischen den Baumkronen zu erkennen war.
Bitte, hilf mir noch ein einziges Mal. Zeig mir den Weg aus diesem Gefilde und ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich die Bibel noch weitere einhundert Male lesen werde.
Als erhoffte sie sich wirklich eine Antwort von dem Mann hinter den Wolken, starrte sie noch eine Weile in jene Richtung. Vielleicht war es aber auch nur, um ihre Welt wieder zum Stillstand zu bewegen.

Ihre Fingernägel krallten sich in die Rinde der Birke.
Sie konnte nicht mehr, war am Ende ihrer Kräfte. Zitternd gaben ihre Beine nach und sie sackte auf die Knie. Ihr Blick wanderte auf den moosbedeckten Waldbodens, heftete sich an einen Tannenzapfen, um das Kreisen ihrer Sicht endlich zu stoppen.
Übelkeit breitete sich in ihr aus und auch wenn ihr Magen mit nichts gefüllt war, das ans Tageslicht hätte treten können, begann sie zu würgen. Lediglich Speichel rann ihr aus dem Mund, tropfte auf den Untergrund. Der Geschmack von Magensäure machte sich auf ihrer Zunge breit, ließ sie angeekelt das Gesicht verziehen.
Sie schloss die Augen, presste die Lider fest aufeinander.

Das Bedürfnis sich einfach hinzulegen und nicht mehr weiterzugehen begann ihre Arme und Beine zu lähmen. Beinahe hätte sie dem Verlangen einfach nachgegeben. Aber eben  nur beinahe.

Der Gedanke an Theon und Hunter, deren Leben noch immer in Gefahr schwebten, zwängte sich wieder ihren Gedanken auf.
Wieder und wieder sah sie den Mann, den sie zu lieben glaubte, vor ihrem geistigen Auge zwischen den Hütten der Rebellen verschwinden. Hätte sie ihm doch einfach nachlaufen sollen?

Nein.
Sie wusste, dass dies ein noch größerer Fehler gewesen wäre, als ihn allein zu lassen. So hatten sie eine Chance. Das bedeutete, wenn sie sich nicht aufgab.

VeilchenblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt