Der nächste Morgen brach für mich bereits verdammt früh an. Dad weckte Elaine um halb sechs, achtete darauf, dass sie frühstückte, Zähne putzte und sich ordentlich mit Sonnencreme einstrich und um Punkt viertel vor sieben wirbelte ein Tornado positiver Energien den Weg zum Touri-Camp hinunter, wo der Bus abfuhr.
Zurück blieb die Ruhe nach dem Sturm und das Gefühl, mich mit meinem eigenen Weihnachtsgeschenk auseinandersetzen zu müssen, während Elaine und Dad weg waren. Schließlich wollte ich nicht auf einer stinkenden, klumpigen Matratze schlafen. Eine neue Kloschüssel wäre auch nicht schlecht. Ein Blick auf meinen Kontostand sagte mir, dass beide Investitionen machbar waren, ich aber dringend mit Robins Bruder reden sollte.
Mit der flachen Hand schlug ich mir gegen die Stirn. Verdammter Scheiß! Da war ja noch was. Robin hatte mir doch drei Karten für Javiers Kampf gegeben und ich hatte Anna noch gar nicht gefragt, ob sie mitkommen wollte.
Zuerst zögerte Anna, als ich mich nach ihren Plänen für das Wochenende erkundigte, am Ende stimmten wir aber darin überein, dass man Freikarten auf keinen Fall verkommen lassen durfte.Mit Annas Zustimmung und ihrem Auto machte ich mich schließlich am frühen Nachmittag auf den Weg zur Landstraße.
Mit dem Club dort war es ein bisschen wie mit den Frauen, die dort arbeiteten. Bei Nacht und mit der richtigen Beleuchtung ein echter Blickfang. Im grellen Licht der Sonne traten die Macken zu Tage. Die Betonfertigteile waren altersfleckig und unzählige Risse hatten sich wie Falten tief in die Oberfläche gegraben. Der Namenszug ragte wie arthritische Finger in die Höhe.
Äußerst vorsichtig manövrierte ich Annas winziges Auto über die geschotterte Parkfläche, damit der kleine Beetle nicht in einem der gigantischen Schlaglöcher landete, in denen man den Wagen ohne Metalldetektor im Leben nicht wiederfinden würde.
Ein unauffälliges Schild an der rückwärtigen Wand wies Besuchern die Richtung zum Büro, in das ich nach kurzem Klopfen eintrat.
„Hey! Wenn das nicht der gute alte Carter ist!"
Ein hochgewachsener Kerl, vier oder fünf Jahre älter als ich, erhob sich hinter seinem gigantischen Schreibtisch und kam auf mich zu. Sein perfekt geschnittenes Sakko in marineblau, die kunstvoll zerrissenen Jeans und die protzige Uhr rochen schon quer durch den Raum nach schmutzigem Geld und unsauberen Geschäften.
„Bist noch immer ein ganz schöner Schrank!", stellte Jordan nach der Umrundung seines Schreibtisches mit Anerkennung fest und klopfte mir auf die Schulter. Mir reichte ein Blick um festzustellen, dass er noch immer der gleiche schmierige Typ war wie früher.
„Setz dich, Carter, setz dich doch. Was führt dich in meine bescheidene Hütte?"
Er rieb sich geschäftig die Hände und ich sah mich unauffällig um. Von wegen bescheiden! Protzig und überladen traf es eher. Die gesamte Einrichtung war in Weiß und in Chrom gehalten. Den einzigen bunten Fleck bildete der graublaue Teppich, der sich wie Farbpfütze in einer asymmetrischen Form über den Fliesenboden ergoss. Zwei Stühle sanken mit ihren Metallfüßen tief in die langen weichen Fasern ein. Auf einen davon deutete Jordan gerade. Obwohl ich lieber stehen blieb, eine Art gesunder Fluchtinstinkt, sank ich auf das weiße eines Stuhls, dessen Form einem gestrandeten Metall-Wal ähnelte.
„Na los, raus mit der Sprache! Du weißt, ich kann dir nahezu alles anbieten, was du für Geld kaufen kannst."
„Hm", brummte ich. „Dann lass uns mal genau da anfangen. Beim Geld. Ich brauch nen Job."
Beinahe wirkte Jordan enttäuscht. Verständlich. Immerhin wollte ich Geld von ihm und brachte keins rein. Aufmerksam beobachtete ich die Art wie Jordan die Arme vor der Brust verschränkte und seine dunklen Augen mit dem berechnenden Funkeln darin. Was immer er vorschlagen würde, es gefiel mir bereits jetzt nicht.
„Du könntest mal bei ein paar Leuten vorbeischauen, die mir noch Geld schulden. Denk, du bräuchtest nicht mal mit ner Waffe rumfuchteln. Du bist bei deiner Statur schon einschüchternd genug."
Das er meine körperlichen Vorzüge herausstrich, war äußerst schmeichelhaft. Trotzdem war ein Kopfschütteln alles, was ich für den Vorschlag erübrigte.
„Ne, lass mal. Ich such was Legales", erklärte ich ihm. „Hab keinen Bock auf Ärger mit den Bullen." Und das war noch untertrieben. Wenn ich mit dem Gesetz in Konflikt geriet, dann war es das mit der Army, selbst wenn ich bei der Anhörung wider Erwarten rehabilitiert werden sollte. Jordan kann meine Bedenken nicht im Geringsten nachvollziehen.
„Was ist nicht legal daran, höflich zu bitten, dass Schulden in angemessener Zeit beglichen werden? Du sollst niemanden unter eurem Trailer vergraben, Carter."
Sein künstlicher Singsang, die Kopfstimme, das alles ging mir voll auf den Sack. Und das bereits zwei Minuten nachdem er den ersten Ton von sich gegeben hatte.
„Robin sagte, du suchst Türsteher für den Club und Securities für die Halle", präzisierte ich meine Vorstellungen. Was ich dafür bekam, war ein schräggelegter Kopf und zu Schlitzen verengte Augen.
„Robin? Ah, meine liebe Schwester Robin. Natürlich. Ihr kennt euch ja. Seid früher rumgehangen, oder? Mit Javier und dieser Blonden? Wie hieß sie noch?"
Er drückte die Fingerspitzen gegeneinander und tippte gegen seine Lippen. Wahrscheinlich hatte ihm mal jemand gesagt, dass das nachdenklich oder überlegen wirkte. Aber er war nicht der Pate und ich hatte keinen Bock auf Spielchen. Ich wäre sogar jede Wette eingegangen, dass er ihren Namen ganz genau wusste.
„Lou-Ella."
Völlig übertrieben nickte Jordan.
„Genau. Lou-Ella. Wo du es sagst, erinnere ich mich auch wieder."
Er lehnte sich ein wenig nach vorne und kniff wieder die Augen zusammen, als müsse er nachdenken.
„Und dann war doch da noch dein kleiner Schatten. Diese Rothaarige, die dir überall nachgedackelt ist. Sie ist wieder hier, hab ich gehört."
Ein schmieriges Grinsen erschien auf seinen Lippen. Über Anna zu plaudern, hatte ich nun wirklich keine Lust.
„Also? Wie sieht es aus? Hast du Arbeit für mich?", hakte ich ungeduldig nach. „Sonst kann ich auch woanders fragen."
Er hob einen Mundwinkel. Seine Stimme wurde gönnerhaft.
„Klar kannst du für mich arbeiten. Als Security, Geldeintreiber, Kämpfer, was auch immer du willst. Robins Freunde sind auch meine Freunde, weißt du. Aber irgendwann, möglicherweise aber auch nie, werde ich dich um einen Gefallen bitten."
Der Spruch irritierte mich. Hatte ich schon mal gehört. In irgendnem Mafia-Film. Der mit dem Pferdekopf. Genau konnte ich mich nicht mehr erinnern. Also hielt ich lieber meine Klappe und macht keine Bemerkung dazu. War auch egal grad. Wichtiger war, dass er kapierte, was ich für Jobvorstellungen hatte.
„Ich mach keine krummen Dinger", stellte ich noch mal klar. „Türsteher. Security. Nicht mehr und nicht weniger."
Wieder lächelte er sein Patengrinsen und dabei fiel es mir wieder ein. Don Corleone. Der hatte das mit dem Gefallen gesagt. Zu Bonasera.
„Nur eine Gefälligkeit, Carter", beruhigte mich Jordan. „Nichts Großes. Die krummen Dinger überlass ruhig mir. Ist besser, wenn wir uns geschäftlich nicht in die Quere kommen."
Eigentlich konnte ich zufrieden sein, als ich mit Annas Auto nach Hause gurkte, um die Zeit bis zum Abend und damit meiner ersten Schicht auszusitzen. Nur hatte ich das dumpfe Gefühl, Jordan gerade meine Seele verkauft zu haben. Im Grunde blanker Unsinn. Ich war nur sechs Wochen hier. Welche Gefälligkeit konnte er schon groß erbitten in der kurzen Zeit? Trotzdem nistete sich in meiner Magengrube ein ungutes Gefühl ein, gegen das auch Schwimmen und ein flotter Trainingslauf am Strand entlang nichts änderte.
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BLINDFOLDED - Blindes Verstehen
ChickLitCarter ist ein Held! - Ein Frauenheld! Er ist einer jener Männer, die uns Frauen den Blick verschämt senken lassen, wenn wir ihm beim Bäcker, beim Tanken oder gar im Baumarkt begegnen. Weil wir glauben, einem Traummann wie ihm niemals zu genügen. Er...