ACHTUNDFÜNFZIG

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„Ich bin Laetitia", stellte sich Cals neue Flamme vor. Ihre dünnen, silbernen Armreifen klirrten leise wie bei Soraya als sie mir ihre Hand reichte. Zum Glück endeten an dieser Stelle sämtliche Ähnlichkeiten. Die junge Afroamerikanerin, die Cal bei einem Ärzte-Kongress kennengelernt hatte, strahlte eine Zufriedenheit und ein Selbstbewusstsein aus, das man sich weder mit falschen Brüsten noch mit aufgespritzten Lippen oder Gel-Fingernägeln erkaufen konnte. Die Quelle lag in ihr selbst und sprudelte durch ihre samtig braunen Augen, spiegelte sich in ihrem ungekünstelten Lächeln und dem warmen Ton ihrer Stimme.

Auf ihrem Kopf thronte ein wilder Berg krauser Haare, der knapp unter ihren Ohren endete und ihr schlanker Hals ging in einen athletischen Körper über. Sie hielt sich absolut gerade, wirkte aber trotzdem nicht steif, als sie sich zu Cal beugte und sich von ihm einen Kuss auf die Wange drücken ließ.

„Sie sind also Cals Freund Carter?", fragte sie. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie einen Augenblick angestarrt habe. Aber ich hatte ehrlich gesagt etwas anderes erwartet." Ihr Mund kräuselte sich belustigt. „Ich dachte nicht, dass ein Held so jung sein könnte."

„Ich hatte bei Laetitia auch ein anderes Bild vor Augen."

Sie lachte. „Das kann ich mir denken. Die meisten verbinden meinen Namen sofort mit der kleinen Blonden aus der Versace-Kampagne. Zum Glück belegen wir nicht die selbe Aufmerksamkeits-Nische, wenn es um Männer geht."

Ich beschloss sie zu mögen. Sie und ihre direkte Art und auch ihren Blickwinkel auf die Dinge.

„Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten, während Cal sich um die letzten Detsils unseres Essens kümmert?"

Laetitia nickte.

„Sehr gerne. Bitte einen Roten."

Während ich ihr das Gewünschte aus der Küche holte, saß sie auf der Couch und sah sich im Wohnzimmer um.

„Und sie sind sicher, dass sie nicht selbst nach New York fliegen möchten? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich freue mich sehr auf die Reise. Aber es kommt mir nicht ganz richtig vor, einen Wochenend-Trip zu machen, den Sie für Ihre Freundin geplant haben."

Laetitia sah mir zu, wie ich aus der Flasche, die sich plötzlich doppelt so schwer anfühlte, ihr Glas füllte. Gerade erst war ich aus meinem Loch gekrabbelt, hatte mich in hektische Aktivität geflüchtet und mich ein wenig leichter gefühlt. Und zack schaltete sie mit ihrer Frage die Gravitation wieder ein und ich wurde wie von unsichtbaren Händen nach unten gezogen. Ich stellte den Wein auf einen Untersetzer und schlurfte mit meinen bleischweren Beinen zum Sessel.

„Wir haben uns getrennt", stellte ich fest und fühlte wie mein Herz Richtung Magen sackte.

„Das ist gelogen, glaub ihm kein Wort. Er hat sie sitzenlassen, weil... keine Ahnung. Warum eigentlich?"

Cal sah aus der Küchentür.

„Ach genau! Weil sie ihm genau das ermöglicht hat, was er wollte. Und nun kann er nicht mehr rumjammern, wie schrecklich alles ist! Das hat er nicht verkraftet!"

Wie eine Schildkröte in ihren Panzer zog Cal den Kopf durch die Tür und machte sich lautstark in der Küche zu schaffen.

Laetitias Armreifen klingelten wieder, als sie nach dem Glas griff. Ihre Miene war weich geworden.

„Das kann einem eine Scheiß-Angst machen, wenn einem plötzlich Möglichkeiten offenstehen, von denen man nicht geglaubt hat, man könne sie haben. Das ist nichts, worüber du dich lustig machen solltest, Cal!"

Sie schüttelte den Kopf und nippte an ihrem Wein. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. Ernst blickte sie mich über den Tisch an.

„Vor allem, wenn einem Entscheidungen abgenommen werden, die man hätte selbst treffen müssen, bevor man bereit war, sich zu entscheiden."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 12 ⏰

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