FÜNFZEHN

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Am nächsten Morgen, eigentlich war es bereits fast Mittag, war Anna tatsächlich fort. Sie hatte nicht einmal einen Abdruck auf dem schmalen Bett hinterlassen. Verschlafen griff ich nach ihrem Kissen, selbst das war bereits kalt, und drückte es an meine Brust. Nur ein Hauch von Zimt, der mein Herz schneller schlagen ließ, war der Beweis, dass ich mir ihre Anwesenheit nicht eingebildet hatte. Als mir auffiel, wie behindert ich mich grade benahm, warf ich das Kissen wieder an seinen Platz und stand stattdessen auf, um mir Kaffee zu machen.

Die Tasse in der Hand trat ich nach draußen und warf erst einen Blick zum Himmel und dann auf das Nachbargrundstück, wo es zuging wie in der Boxengasse. Jeder Handschlag saß und wie am Fließband wanderte die trockene Bettwäsche von Anna, die auf dem gleichen Stuhl wie gestern balancierte und die Laken und Bezüge abnahm, zu ihren Großeltern, die den Stoff gemeinsam ausschüttelten, glattzogen und dann in jeder Richtung zwei Mal falteten.

Keine Minute zu früh legte Mrs Sullivan den letzten Bezug in den Waschkorb, denn der erste Donner grollte bereits in der Ferne. Blitze zuckten über dem Meer und der auffrischende Wind brachte die Leine zum Schwingen. In Windeseile hakte Anna sie aus, rollte sie mit geübten Schwüngen zusammen und verschwand im Trockenen. Nicht mal einen winzigen Blick hatte sie für mich übrig.

Meine Laune, die bis eben noch ganz passabel war, rauschte schlagartig in den Keller. Bei dem Wetter konnte ich mir die Idee zu joggen in die Haare schmieren. Schwimmen war bei Gewitter auch weniger zu empfehlen. Sparring mit Javier wäre eine Option, was aber bedeuten würde, dass ich Anna schon wieder um den Schlüssel für ihr Auto bitten musste. Vermutlich brauchte sie es bei dem Wetter aber selber, um zur Arbeit zu fahren.

Missmutig machte ich mich also mit einer Tasche auf den Weg zum Schuppen, wo ein paar Jungs vor einigen Jahren ein paar Hanteln zusammengetragen hatten. Mit der Zeit kam weiteres Equipment wie Langhanteln, Bumper Plates, Klimmzugstangen, Sprossenwände und Hantelbänke dazu. Alles abgelegtes Zeug aus Fitnessstudios oder von Haushaltsauflösungen. Entsprechend zusammengewürfelt sah es im Inneren der Hütte aus, aber um einen Regentag rumzukriegen, reichte es alle mal.

Mit brennenden Muskeln stand ich um acht wieder an der Tür zum Club, diesmal durfte ich mich mit dem Einlass der Gäste plagen und bin wie am Vortag um halb drei zu Hause. Einziger großer Unterschied zu gestern war, dass es schüttete und ich meine Abendzigarette vom Meer unter die Pergola verlegen musste.

Die Erinnerung an den Traum vergangene Nacht saßen mir noch in den Knochen, als ich mich auf einen der Stühle fallen ließ. Mein Wunsch ins Bett zu gehen, ging gegen Null. Es sei denn mit Anna an meiner Seite.

Nicht mal dran denken! Es wäre falsch, falsch, falsch. Anna hatte etwas Besseres verdient.

Ich zündete die Kippe an und warf das Feuerzeug auf den Tisch. Unter dem Aschenbecher lag eine Plastiktüte, die mir heute morgen noch nicht aufgefallen war. Neugierig, was es damit auf sich hatte, spähte ich hinein.

Trotz meiner miesen Laune hob ich unwillkürlich einen Mundwinkel und schnaubte leicht belustigt. Die heutige Tageszeitung. An die obere rechte Ecke hatte Anna die beiden Worte „Schlaf gut" geschrieben. Daneben zwei Striche als geschlossene Augen und einen gebogenen Strich als lächelnden Mund.

Mit einem total behinderten Grinsen lehnte ich mich im Stuhl zurück. Anna hat also doch an mich gedacht...

Die nächsten drei Tage vergingen in dem gleichen eintönigen Trott wie die vorangegangen, dann folgte mein erster freier Tag und endlich konnte ich mich damit befassen, dem Airstream eine neue Matratze und ein neues Klo zu verpassen. Genau rechtzeitig, denn am Abend kamen Dad und Elaine von ihrem Ausflug zurück. Das letzte was ich wollte, war eine weitere üble Nacht in Dads Gesellschaft zu verbringen.

BLINDFOLDED - Blindes VerstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt