Anna, ein Hotelzimmer mit einem richtigen Bett und all die Möglichkeiten, die das öffnete, machten mich von Kopf bis Fuß so kribbelig, dass ich kaum genug Konzentration aufbringen konnte, nicht Shirt und Hose zu verwechseln. Meine Sätze zu zählen grenzte an ein Ding der Unmöglichkeit. Mechanisch hob ich meine Gewichte, bis meine Armmuskeln brannten.
Auf dem Laufband schaltete ich die Musik an, die Anna mir aufs Handy geschickt hatte und bemühe mich wie beim Tanzen meinen Rhythmus zu finden. Wider erwarten half mir die seltsame Elektromusik, meine Schritte nicht nur präzise, sondern verflucht schnell zu takten. Meine Beine flogen förmlich, mein Atem kam schwer und keuchend. Der Schweiß rann in Strömen und spülte die unanständigen Gedanken fort. Lange war mein Kopf nicht mehr so frei beim Laufen und lange hatte ich keine solche Leistung gebracht.
Lächelnd und zufrieden mit mir selbst verließ ich nach dem Duschen das Studio. Anna holte das Beste aus mir heraus wie mir schien.
Zurück im Park warf ich mein verschwitztes Zeug über die Leine und machte mich auf die Suche nach Elaine, um mir das Tablet von ihr zu leihen.
„Ein Trip nach New York? Oh, wie romantisch!"
Elaine klimperte mit den Wimpern und legte mir das Gerät auf den Tisch. Dad, der meine Idee mitbekommen hatte, wirkte um Längen skeptischer als meine Schwester. Vermutlich hatte er, genau wie ich, im Geiste überschlagen, was der Trip kosten würde und beide waren wir zum gleichen Ergebnis gekommen: selbst die günstigste Variante mit einer Übernachtung in einem Pappkarton und einem namenlosen Coffee-to-go im Plastikbecher als Frühstück sprengten das Budget.
„Versuchs mal mit ner Off-Broadway-Vorstellung. Vielleicht sind die günstiger?", brummelte Dad hinter mir. Er stellte eine Flasche Bier neben mir ab, die sobald die Kühlschranktür zuschlug bereits beschwitzte.
Die Tropfen auf der Flasche glänzten im Widerschein des Displays, genau wie Dads Gesicht. Die Feuchte hing wie dicke Suppe in der Luft und zwischen den Bäumen und Büschen rührte sich kein Lüftchen. Mein Shirt haftete bereits auf meinem Rücken und an der Brust, obwohl meine Dusche keine Stunde zurücklag. Am Himmel deutete sich kein erlösendes Gewitter an. Vermutlich würden wir alle die Nacht in Trailern verbringen, in denen es dampfiger als in einer Waschküche war.
„Und? Schon ein Hotel gefunden?", fragte Elaine nach einer Weile arglos und ich schüttelte resigniert den Kopf. Das Hochgefühl, das ich nach dem Training für kurze Zeit hatte und das mich einen Moment hatte glauben lassen, ich könnte meine beschissene Welt aus den Angeln heben, war wie weggeblasen. Äußerlich unbekümmert nippte ich an meinem Bier, während sich in mir ein schwarzes Loch ausbreitete und meine Energie in sich aufsaugte.
Leute wie wir flogen nicht nach New York. Wir fuhren nicht mal nach New York. Leute wie wir arbeiten unser Leben lang. Ruinierten unsere Gesundheit mit Alkohol, Gras und miesem Essen, fuhren Altautos ohne Airbags, die aussehen wie Zombie-Marienkäfer und Urlaub machten wir am nächsten Strandabschnitt, damit wir mal was anderes sahen.
„Nimm's nicht so schwer", brummte Dad. Sein schwacher Versuch - ja, was eigentlich?- mich zu trösten, kam überraschend. „Kannst es noch immer rumreißen. Hol deinen Abschluss nach. Geh zurück zur Army. Was auch immer."
Er wedelte mit der Hand, als wolle er lästige Motten verscheuchen, die Löcher in seine unklaren Zukunftspläne für mich fraßen.
„Hab dir immer gesagt, Schule ist wichtig."
„Du meinst, du hast es mir eingeprügelt?", erkundigte ich mich sehr barsch. Elaines besorgter Blick, der zwischen Dad und mir hin und her huschte, brachte mich zum Verstummen. Stur starrte ich auf das Tablet ohne etwas zu sehen, trank in brütendem Schweigen mein Bier.
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BLINDFOLDED - Blindes Verstehen
ChickLitCarter ist ein Held! - Ein Frauenheld! Er ist einer jener Männer, die uns Frauen den Blick verschämt senken lassen, wenn wir ihm beim Bäcker, beim Tanken oder gar im Baumarkt begegnen. Weil wir glauben, einem Traummann wie ihm niemals zu genügen. Er...