SIEBENUNDDREISSIG

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Sie hatte von einem wir gesprochen. Das mit uns könnte also eine Zukunft haben. Und sie wollte mir helfen.

Die Kombination aus beidem bescherte mir weiche Knie, als ich am nächsten Abend vor dem Eingang der Tanzschule stand und mein Aussehen noch mal in der Reflexion der Scheibe checkte. Sauberes Shirt. Frisch gewaschene Shorts. Haare saßen perfekt. Mit der Hand fuhr ich über meine Wangen. Glattrasiert und nur ein Hauch Aftershave haftete danach an meinen Händen. Nicht zu aufdringlich. Das war gut.

Ich betrat das Jugendcafé, das bereits im Dunkeln lag. Ein schwere Wolke Chlor hing vom Putzen in der Luft und alle Stühle standen wie im Kindergarten kopfüber auf den Tischen. Im Halbdunkel ragten die Stuhlbeine wie knorrige Finger in die Luft. Im hinteren Teil neben dem Kicker fiel vom Gang her warmes, goldenes Licht durch eine festgeklemmte Türe. Dahinter führte besagter Gang nach links zu den Umkleiden und den Toiletten. Von rechts erklang lauter, aufdringlicher Old School Rap. Die Sorte, zu der Steven am liebsten seine Break Dance Stunden gab. Die Musik war jedoch nicht laut genug, um das Gelächter mehrerer Jungs zu überdecken, das aus derselben Richtung kam.

Mein Herz klopfte wie verrückt. Vielleicht hätte ich mit Anna klären sollen, was genau sie plante, bevor ich mich zum Affen machte. Oder gar sie blamierte.

„Hey", begrüßte mich ein dunkelhäutiger Mann mit graubraun-meliertem, krausem Haar. Gutmütige Augen musterten mich und als er lächelte, bilden sich hunderte Fältchen um seine Augen. Steven!

Er klatschte in die Hände und erklärte seine Stunde für beendet. „Okay, Jungs, Schluss für heute. Macht, dass ihr nach Hause kommt."

Die zehn oder zwölf Jungs im Alter zwischen schätzungsweise dreizehn und siebzehn rafften ihre Sachen zusammen, jedoch nicht, ohne mir einen Blick zuzuwerfen und hinterher tuschelnd wie Waschweiber die Köpfe zusammenzustecken.

„Carter, oder?" Steven reichte mir seine Hand und schüttelte sie energisch. Mit der linken klopfte er mir auf den Oberarm. „Bist ja in einen Wahnsinnskörper hineingewachsen. Hätte dich beinahe nicht mehr erkannt."

Er zwinkerte mir zu. „Tanzt du noch?" Sofort schüttelte er den Kopf und beantwortete seine Frage damit selbst. „Nein, ich seh schon. Eher Muckibude und Ausdauertraining." Sein Blick blieb an meinem Kiefer und kurz darauf an den Klammerpflastern hängen. „Und Kampfsport oder Kneipenschlägereien. Mit fraglichem Erfolg." Er lachte freundlich. „Hoffe, der andere sieht schlimmer aus als du", witzelte er.

„Also? Was treibt dich her?"

In einer Geste der Ahnungslosigkeit hob ich die Hände mit den Handflächen nach oben.

„Anna sagte, ich soll gegen halb acht hier sein und sie abholen. Dann wäre sie mit dem Saubermachen fertig", erklärte ich den Grund meiner Anwesenheit.

„Mehr hat sie dir nicht gesagt?", erkundigt sich Steven lauernd.

Ich schüttelte den Kopf. „Sie hatte es ziemlich eilig gestern Abend. Meinte, sie müsse für heute noch einiges vorbereiten."

„Na, dann bin ich ja mal gespannt, wie du ihre Idee findest."

Klüger bin ich noch immer nicht, als ich Steven in Richtung der Umkleidekabinen folgte. An einer Tür, hinter der meiner Erinnerung nach früher eine Abstellkammer lag, blieb er stehen und klopfte an.

„Anna? Dein Besuch", rief er durch die einen Spalt breit geöffnete Tür. An mich gewandt sagte er: „Viel Spaß!"

„Ich bin gleich soweit!", kam es von drinnen. „Gib mir noch eine halbe Minute, Carter!"

Kaum fünf Sekunden später riss sie schwungvoll die Tür auf. Sie trug nur arschkurze schwarze Shorts und einen ebenfalls schwarzen Sport-BH. Über den hatte sie ein altbekanntes schwarz-rot kariertes Hemd gezogen, das sie am Bauch geknotet hatte.

BLINDFOLDED - Blindes VerstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt