„Müssen wir hier nichts aufräumen?"
Annas Wangen waren gerötet. Ihre Augen glänzten glücklich. Ein zufriedenes Lächeln spielte um ihre Lippen. So mochte ich sie am liebsten. Fröhlich und gelöst.
„Nein, das kann alles so bleiben. Ich kümmere mich morgen drum." Ohne meinen Protest, ich könne ihr doch helfen, zu beachten, schaltete Anna das Licht aus und versperrte die Tür.
„Und was nun?", fragte ich sie und beobachtete, wie sie ihre Tasche auf der Rückbank verstaute. Ganz der Gentleman öffnete ich ihr die Beifahrertür. Sie blieb mir eine Antwort schuldig, bis ich ebenfalls im Auto saß.
„Vermutlich sollten wir nach Hause fahren. Du musst morgen ziemlich früh raus, hast du gesagt."
Bei der Erinnerung an die Uhrzeit, die Roy für die Abfahrt am Morgen festgesetzt hatte, wurde mir ganz anders. Aber ich verstand seine Motive. Richtig Lust, in dem für morgen vom Wetterdienst angesagten, strömendem Regen das Dach der Gartenlaube zu decken, an der wir arbeiteten, hatte ich auch nicht.
„Normalerweise bin ich um die Zeit ins Bett gegangen, zu der ich morgen aufstehe. Ist erstmal ne ganz schöne Umstellung für mich. Hat aber auch Vorteile."
Anna beobachtete, wie ich über die Mittelkonsole hinweg meine Finger mit ihren verschränkte, bevor sie mich schließlich direkt ansah.
„So? Und welche?", fragte sie mich.
„Wir können mehr Zeit miteinander verbringen?" Mit der freien Hand strich ich Anna eine Locke aus dem Gesicht, die sobald ich sie losließ, wieder zurücksprang. „Würde dir das gefallen?"
„Ja, ich glaube, das wäre schön." Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich weiß, das wäre schön."
Ich hob unsere verschränkten Hände und drehte sie herum, damit ich einen Kuss auf Annas Handrücken hauchen konnte. Tief blickte ich ihr dabei in die Augen. Dann löste ich unsere Finger und startet den Motor.
Mehr Zeit mit Anna verbringen.
Ganz klar eine gute Idee, nur hätte ich mir vorher überlegen sollen, was wir unternehmen konnten. Stehkarten fürs Theater schloss ich aus. Aber wenigstens hatte Mr. Pimmel überhaupt eine Idee vorzuweisen gehabt. Das war mehr, als ich von mir behaupten konnte. Kino oder Eis essen erschien mir zu banal. Strand und Baden entfiel ebenfalls. Und eine Bootstour machte auch keinen Sinn, wenn die Familie meines Mädchens über ein eigenes Boot verfügte. Wobei? Zu zweit, romantisch in den Sonnenuntergang schippern, das hatte schon auch seinen Reiz. Nur eben nicht morgen, wenn laut Wettervorhersage Gewitter und ergiebiger Regen auf dem Plan stand.
Von der Seite beobachtete ich Anna verstohlen und fragte mich, was ihr Freude machte. Die ganze Fahrt über zermarterte ich mir mein Hirn, aber es kam nichts Brauchbares raus dabei. Etwas abwesend stellte ich den Beetle hinter der Werbetafel ab, die Annas Auto bis kurz vor Mittag Schatten spendete, sodass sie mit einem kühlen Wagen in die Arbeit fahren konnte.
„Ich weiß noch nicht genau, wann ich morgen nach Hause komme. Ich meld mich bei dir. Vielleicht können wir am Abend spazierengehen. Am Strand oder so?"
Innerlich steinigte ich mich für den Vorschlag.
Spazierengehen oder so? Gott Carter, wie alt bist du? Fünfzig?
Doch Anna schien meinen Vorschlag nicht ansatzweise merkwürdig zu finden. „Bestimmt hat sich das Wetter bis dahin beruhigt. Oder es kommt gar nichts. Gewitter sind ja eher kurz und heftig und nur punktuell."
Noch immer traumatisiert von meinem eigenen, dümmlichen Vorschlag stimmte ich ihrer Einschätzung zu.
„Gut, dann also bis morgen. Schlaf gut", verabschiedete ich mich von ihr.
Sie schickte sich an, Richtung ihres Trailers zu verschwinden. Das mit dem Abschied hatte ich mir anders vorgestellt.
„Anna, nicht so hastig!", rief ich ihr nach und schloss zu ihr auf. „Du hast was vergessen! Was ist mit meinem Kuss? Ich finde, ich hab ganz gut mitgemacht."
Ihre sinnlichen Lippen hoben sich leicht und Anna blieb wie angewurzelt stehen. Ihre Wangen schimmerten zartrosa.
„Dann komm und hol ihn dir", neckte sie mich. Das musste sie mir nicht zweimal sagen. Die Hand in ihren Nacken gelegt drückte ich meine Lippen sanft auf ihre. Sie fühlten sich genauso warm und weich an wie am Vortag. Vorsichtig zupfte ich an ihrer Unterlippe. Mit einem deutlichen Geräusch plumpste Annas Sporttasche zu Boden. Nun hatte sie beide Hände frei und die legte sie um meine Taille. Erst nur ganz leicht, doch ich fühlte, wie sie ihre Finger in den Stoff krallte, während unser Kuss intensiver wurde. Meine freie Hand legte ich auf Annas unteren Rücken. Mit dem Daumen tastet ich mich unter den Saum des Hemdes, das sie ihrem Großvater gestohlen hat. Dieser winzige Hautkontakt reichte, um mir mehr zu wünschen. Zum Beispiel diesen lästigen Knoten, der sich gegen meinen Bauch drückte, zu öffnen und ihr das Hemd von den Schultern zu zerren. Stattdessen wanderte ich mit der Hand über die Rundung ihres Pos. Anna löste ihre Hände aus meinem Shirt und schlang ihre Arme um meinen Hals. Ihre Finger vergrub sie in meinem Haaren. Ich zog Anna näher. Genoss, wie eng sich ihr ganzer Körper an mich schmiegte. Wie die Teenager knutschen wir bis uns die Luft ausging. Schweratmend lösten wir uns voneinander. Mit glänzenden Augen sah Anna zu mir auf. Dann machte sie einen Schritt rückwärts. Und noch einen. Bückte sich rasch nach der Tasche und im nächsten Moment huschte sie davon, als wäre sie auf der Flucht.
Verständnislos guckte ich ihr hinterher, bis ihr roter Schopf um die Ecke verschwand. Mit den Fingerspitzen ordne ich mein Haar, das mindestens so durcheinander war wie Anna eben und rätselte, womit ich sie in die Flucht geschlagen hatte. Tief atmete ich durch. Na schön, ich hatte mich gerade vom Augenblick mitreißen lassen. Von der Intensität, mit der Anna meinen Kuss erwidert hatte. Vielleicht hätte ich ihr nicht so deutlich zeigen dürfen, wie sehr es mich anmachte, wenn wir uns auf diese Weise näher kamen. Noch eine ganze Weile starrte ich in die Richtung, in der Anna verschwunden war, bevor ich mich kopfschüttelnd umwendete und ebenfalls nach Hause lief.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es Zeit war, schlafen zu gehen. Trotzdem stürzte ich mich zunächst in hektische Aktivität: Betten frisch beziehen. Grob aufräumen – vor allem meine Schmutzwäsche. Den Müll schaffte ich, genau wie meine Altglassammlung, zu den Mülltonnen. Anschließend warf ich den Teppich raus und fegte den Boden. Knapp eine halbe Schaufel Sand, Grashalme, Steine und anderen Unrat bekam ich zusammen. Aus dem Teppich schüttelte ich sicher noch mal so viel Sand heraus, bevor ich ihn wieder in den Wagen legte. Meine letzte Tat war, die Spülschüssel zu nehmen und mein Geschirr endlich zu säubern, bevor es irgendwann Füße bildete und davonlief wie alter Käse.
Nach dieser Gewaltaktion wirkte der Anhänger viel wohnlicher. Der Herd musste noch immer gründlicher gereinigt werden. Das Bad benötigte ein paar Schönheitsreparaturen, aber zumindest konnte ich Anna morgen mit heimnehmen, ohne dass sie Ausschlag entwickelte. Mein Blick wanderte über das Bett und den asphaltgrauen Bezug. Wie gerne hätte ich Annas Körper rückwärts auf dieses Bett gedrückt und sie dort weitergeküsst.
Stattdessen schnappte ich mir die kratzige Decke und schmiss sie auf die Sitzbank. Ich brauchte eine andere Decke als diese. Unbedingt. Vielleicht könnte ich Roy bitten, mich nach der Arbeit bei einem der Thrift Shops rauszulassen. Im nächsten Moment klopfte ich mir innerlich selbst auf die Schulter. Anna liebte Second Hand Shopping. Und das konnte man bei Regen besonders gut. Lächelnd schlüpfte ich im Bad aus meiner Kleidung und hängte sie anständig auf, damit sie morgen nicht wie Klopapier aussah.
Keine Ahnung, woher ich nach dem anstrengenden Tag noch die Energie genommen hatte, aufzuräumen. Mich wunderte nicht, dass dieser Geheimvorrat gegen Mitternacht erschöpft war. Aus dem Blister drückte ich eine der Tabletten und schluckte sie. Mein Vorrat schrumpfte. Cal würde mir nicht helfen. Hux war nicht gut auf mich zu sprechen. Mit dem Blister klopfte ich auf den schmalen Rand des Waschbeckens. Hux war trotzdem meine beste Option. Die Alternative wäre Jordan. Und in dessen Schuld wollte ich ganz sicher nicht schon wieder stehen. Ich musste einfach versuchen, mit Hux zu reden und ihm die Situation mit Anna erklären.
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BLINDFOLDED - Blindes Verstehen
ChickLitCarter ist ein Held! - Ein Frauenheld! Er ist einer jener Männer, die uns Frauen den Blick verschämt senken lassen, wenn wir ihm beim Bäcker, beim Tanken oder gar im Baumarkt begegnen. Weil wir glauben, einem Traummann wie ihm niemals zu genügen. Er...