DREIUNDZWANZIG

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Irgendwann, vielleicht aber auch nie, hatte sich als eine verdammt kurze Zeitspanne entpuppt. Wütend riss ich den Zündschlüssel aus Annas winzigem Beetle und rastete das Lenkradschloss ein. Keine Ahnung wie ich nach der Schicht hierhergekommen war. Es gab vier unterschiedliche Wege, doch war ich so in Gedanken, dass ich mich nicht erinnerte, welchen ich genommen hatte.

Warum hatte ich mich auf diesen Scheiß mit Jordan bloß eingelassen? Aus purem Frust schlug ich gegen das Lenkrad, das ich eben noch umklammert hatte und griff nach dem silbernen Türöffner. Lichter, die langsam über den Parkplatz streiften, wie ein Löwe auf der Pirsch ließen mich innehalten. Ich war nicht in der Stimmung jemandem zu begegnen. Im Rückspiegel beobachtete ich, wie ein weißer Mittelklassewagen auf dem Weg stoppte, ohne in einen der Parkplätze einzuscheren. Lediglich der Motor erstarbt und das Licht blendete ab.

Da ich keinen Bock auf Scheiß-Smalltalk verspürte, blieb ich reglos sitzen, verschmolz möglichst unauffällig mit dem Rücksitz und verfolgte das Geschehen.
Die Fahrertür des anderen Fahrzeugs öffnete sich und ein Mann in einem dunklen Anzug stieg aus. Niemand den ich kannte, stelle ich erleichtert fest. Vermutlich wollte er nur pinkeln. Doch Fehlanzeige. Er lief vorne um den Wagen herum und im Lichtkegel der Scheinwerfer entpuppte sein Anzug sich als modernes Dunkelblau.
Er entriegelte die Beifahrertür seines unscheinbaren japanischen Modells und ich hielt die Luft an, als sich erst ein schlankes Bein in dunklen High Heels, dann ein weiteres aus dem Wagen schlängelte. Nicht ungeschickt, wie der Typ das anstellte. Er hielt noch immer mit der rechten die Autotür, sodass seine Beifahrerin zwischen ihm und der Tür eingekeilt war, sobald sie aufsteht. Ihren roten Schopf konnte ich nicht sehen, aber die Beine, die Schuhe, das Kleid, reichten mir. Es war eindeutig Anna, die der Kerl nach Hause fuhr. Um halb zwölf. Weil sie ein anständiges Mädchen war, das nicht einfach bei Mr. Pimmel schlief.

Aber bei mir. Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, das in Eissplittern zu Boden rieselte, sobald Anna vor dem Fremden stand. Viel zu nah. Ich wette, er konnte ihren Pfefferminzatem bereits auf der Zunge schmecken, während er die gleiche Luft inhalierte wie sie.

So verflucht nah. Meine Hand ballte sich zur Faust. Der Griff der Tür schnitt in mein Fleisch wie der Anblick der Lippen, die nur Zentimeter voneinander entfernt waren. Ich konnte gar nicht hinsehen! Er würde sie küssen, jetzt und hier direkt vor meinen Augen. Es sei denn ich riss sofort die Tür auf und funkte dazwischen. Doch welches Recht hatte ich dazu? Es ohnehin längst zu spät für die Aktion, die total stalkermäßig rüberkäme. Als hätte ich hier auf sie gewartet.

Mr. Pimmel lehnte sich leicht nach vorne und ich vergaß zu atmen. Mein Kiefer knackte, weil ich meine Zähne bis zum Zerbersten aufeinanderpresste. Annas Lippen verzogen sich zu einem koketten Lächeln und dann ging Mr Pimmel zum Angriff über. Mit einem Keuchen entwich sämtliche noch verbliebene Luft aus meinen Lungen, als ich realisierte, worauf er es abgesehen hatte. Nicht auf ihre Lippen. Er küsste nur ihre Wange und trat von der Tür zurück, damit Anna zum Tor laufen konnte.
Mr Pimmel stieg wieder ein, wendete und überließ Anna auf dem Parkplatz sich selbst. Wäre ich wirklich ein Stalker oder ein Triebtäter, Anna wäre chancenlos auf sich gestellt. Was für ein verantwortungsloser Blödmann!

Leise öffnete ich die Wagentür und drückte die Tür anschließend mit einem kaum hörbaren Klicken zu. Auf keinen Fall wollte ich, dass Anna wusste, dass ich Zeuge dieses unwürdigen Momentes geworden war und wusste, dass Mr. Pimmel sie total stillos aus dem Auto befördert hatte. Erst als Anna ein gutes Stück voraus war, setzte ich mich selbst in Bewegung und wählte den direkten Weg zum Strand. Vom Zaun pirschte ich mich an meinen Airstream an und schnappte mir ein Bier. Gerade schaffte ich es, mich auf den Stuhl fallen zu lassen und den Deckel zu öffnen, als das leise Knirschen von Kies mich aufschauen ließ.
Die Handtasche unter dem Arm und huschte Annas Blick zu meiner Flasche, dann zu dem Joint, der unangezündet zwischen meinen Lippen hing und ohne ein Wort zu sagen, hielt ich mein Feuerzeug unter das Papier, das beinahe sofort Feuer fing. Mit dem ersten tiefen Atemzug kaschierte ich, dass ich leicht aus der Puste war.

BLINDFOLDED - Blindes VerstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt