Kurz nach acht fand ich mich, komplett in Schwarz gekleidet an der Tür des Clubs ein, wo mich der Sicherheitschef bereits erwartete. Nach einer kurzen Einführung stellte er mich an der Tür zu den Garderoben ab.
„Keiner geht da rein, außer unseren Mädchen, verstanden?"
Ich nickte, die Anweisung war auch wirklich recht simpel gehalten, und bezog meinen Posten für die nächsten sechs Stunden. Alles was ich tun musste, war die Stahltür hinter mir öffnen, wenn zwei meiner Kollegen mit Tänzerinnen, die sie von der Bühne zur Garderobe eskortieren, eintrafen. War die betreffenden Mädchen im Raum verschwunden, schloss ich die Tür und die beiden Kollegen marschierten mit der nächsten Dame zur Bühne.
Um Punkt halb drei morgens stellte ich den Beetle nach meiner Schicht auf dem Parkplatz für Besucher und Badegäste ab und folgte dem geschotterten Weg zum Meer hinunter. Tiefe Stille lag über dem Park und am Meer empfing mich das regelmäßige Plätschern der Wellen. Es war stockdunkel, Wolken verdeckten den Mond und die Sterne.
Verdammt leicht verdientes Geld, stellte ich fest. Keine Diskussionen mit abgewiesenen Gästen und Teenagern, die zu jung waren, obwohl der Ausweis was anderes behauptete. Keine nervigen Typen, die in den VIP-Bereich wollten, obwohl sie totale Nullen waren. Nur ein paar notgeile Säcke, die eine Weile im Gang zur Garderobe rumlungerten und nach Inspiration für den abendlichen Hand-Job suchten, um dann still und leise wieder zu verschwinden.
Im Schein meines Handys suchte ich mir ein trockenes Plätzchen nahe am Wasser und rauchte meine letzte Kippe für den heutigen Tag. Dabei starrte ich hinaus auf das Meer, obwohl es nichts zu sehen gab. Eintönig und dunkel lag es vor mir. Nur hier und da schimmerte ab und zu ein Lichtreflex auf den Wellen.
Monoton.
Farblos.
Kraftlos.
Ich hätte nicht hierher zurückkommen sollen. Vor vier Jahren gab es hier keine Perspektive und daran hatte sich nichts geändert. Auch für Elaine sah ich hier keine Zukunft und sie täte gut daran, es zu erkennen undbald mit mir zurückzukehren. Leise lachte ich auf. Was für eine Ironie! Zurückzukehren! Zu was denn eigentlich? Ich hatte im Norden sämtliche Zelte abgebrochen! Meinen Job gekündigt und die Wohnung untervermietet. Wenn wir nach Oregon zurückgingen, dann fingen wir mit Nichts an.
Keine Ahnung, ob ich die Kraft hatte, das durchzuziehen, so wie Mum. Aber was war die Alternative? Aufgeben? Dann war die Wohnwagensiedlung die Endstation. Das konnte doch noch nicht verflucht nochmal alles gewesen sein, was das Leben mir und Elaine bot!
Missmutig stapfte ich vom Strand nach Hause und warf mich drei Sandwiches später auf mein Bett. Alleine. Elaine war fort und selbst die Frauen machten einen Bogen um mich! Vögeln ja, Beziehung, nein danke.
Meine Augen brannten verdächtig, als ich sie schloss. Okay, ich war verflucht einsam, aber das ich jetzt hier rumflennte wie mein vierzehnjähriges Ich, das musste nicht sein. Tief atmete ich durch, drängte die Tränen und das Gefühl, täglich auf ganzer Linie zu versagen, zurück. Ich musste einfach weiterkämpfen. Auch wenn ich manchmal nicht mehr genau wusste wofür.
Kämpfen. Ich musste kämpfen. Mühsam rappelte ich mich hoch, stützte meine Ellbogen in den Dreck der Straße. Bei der Bewegung wurde mir schlecht. Dunkle Kuhflecken tanzten vor meinen Augen und um mich herum tobte das blanke Chaos. Aus dem Gebäude gegenüber stieg eine schmierige ölschwarze Rauchsäule auf. Sirenen heulten und meine Lunge brannte. Mit jedem Atemzug saugte ich den Geruch nach Plastik und Gummi ein, Hitze brannte sich durch meine Luftröhre bis in die Bronchien. Hustend versuchte ich mich aufzusetzen, damit ich besser Luft bekam.
„Carter los, komm schon! Wir müssen her weg!" Benommen sah ich mich um. Weg. Klar. Nur wohin? Überall rannten Zivilisten planlos umher wie geköpfte Hühner. Schrien um Hilfe. Schrien die Namen der Angehörigen, die sie suchten.
„Irina."
Der Name pulsierte durch mein Gehirn wie ein Stroboskopblitz. Hektisch sah ich mich nach der blonden Wallküre um. Da hinten. Sie war bei Dave und Mikey.
„Jetzt komm schon, Mann!" Tom reichte mir die Hand und zog mich zum Stehen hoch. Schwindel packte mich und ich würgte.
„Hast ganz schön was abgekriegt", stellte Tom besorgt fest. Ich fuhr über mein Gesicht. Rotes Blut klebte an meiner Hand. Was ne Feststellung. Warum sollte es auch plötzlich grün sein?
„Sammeln!" brüllte Tom. Ich zuckte zusammen, als hätte er mir mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen. Aber tatsächlich, unsere Einheit rührte sich und Sekunden später hörte ich Tom ganz souverän Anweisungen geben.
„Carter und Irina! Ihr sichert die Tür. Keiner geht da rein, keiner kommt da raus." Nach dem Befehl hörte ich nicht mehr weiter zu. Ich folge der Blonden mit den europäischen Wurzeln zur Tür. Oder dem, was mal eine Glastür war. Die Waffe im Anschlag versuchte ich das Chaos vor dem Krankenhaus im Auge zu behalten. Nicht einfach. Meine Sicht verschwamm immer wieder, Blut lief aus der Scheißplatzwunde in meine Augen.
„Carter? Alles okay bei dir?" Irinas sanfte Stimme, die gar nicht zu der massigen Frau passen wollte, veranlasste mich, kurz zu ihr zu blicken. Ein Fehler. Der größte Fehler meines Lebens.
Irinas Schrei zerriss die Stille und ich erstarrte mitten in der Bewegung. Blut quoll aus einer klaffenden Wunde an Irinas Hals. „Carter!" Meinem Namen folgte ein gurgelndes Geräusch. Irinas Hand schoss an ihre Kehle. Blut floss aus ihrem Mund.
Ruckartig setzte ich mich auf und blickte verwirrt um mich.
Stille. Bis auf mein rasendes Herz.
Dunkelheit. Bis auf das Licht, das durch die Tür sickerte.
Kälte. Dort wo der Luftzug meine Haut kühlte.
Langsam fasste ich mit der Hand in mein Gesicht. Schweiß klebte auf meiner Haut; kein Blut. Meine Kehle brannte. Nicht vom Rauch, sondern von meinen Schreien.
„Carter?" Verzagt stand Anna in der schmalen Tür von Dads Wohnwagens. Mondlicht beleuchtete ihren zarten Körper von hinten und ließ ihren Schatten wie schwarze Tinte über meine nackten Füße fließen. Starr fixierte ich die dunkle Silhouette auf dem Boden. Sie sollte nicht hier sein. Vor nicht allzu langer Zeit war sie bereits Zeugin meiner Alpträume gewesen und hat sich nicht abwimmeln lassen. Aus der Tiefe meiner Erinnerung tauchte ein Bild auf.
Anna. Vor meiner Couch, meine Hände, die über ihren Po nach unten wanderten, auf der Suche nach ein wenig Ablenkung.
Heute versuchte ich nicht einmal, sie loszuwerden, sondern ließ es einfach über mich ergehen, dass sie mich umarmte. Mein Flashback hatte jeden Funken Widerstand brutal aus mir herausgesaugt. Halt suchend lehnte ich mich gegen Annas Brustkorb, legte meine Arme um ihre Taille. Bettwärme haftete noch an ihr und ihrer Schlafkleidung, die kaum mehr als Unterwäsche war. Die weiche Haut ihrer nackten Schenkel brennte auf meiner Haut und dort, wo ihr Bein völlig unbedarft die Narbe berührte, bis in meine Seele.
Minuten lang schwiegen wir beide. Mit jeder Sekunde, die verstrich, erwartete ich, dass sie es tat. Mich fragen. Nach den Träumen. Doch Anna sprach kein Wort und alles was ich tat, war, ihren beruhigenden Duft aufzusaugen. Sie roch schwach wie Kaugummi aus meiner Kindheit; Zimt mit einem Hauch von Pfefferminze.
Ganz langsam vertraute ich darauf, dass ihre wohltuende Stille echt war und nicht nur die Ruhe vor dem Sturm der Entrüstung, den meine Antwort auf die von mir erwartete Frage unweigerlich auslösen musste.
„Wenn ich etwas für dich tun kann, dann sag es mir bitte", wisperte sie nach einer endlosen Weile sehr eindringlich.
„Du kannst nichts tun", antwortete ich resigniert. „Niemand kann das. Die Vergangenheit ist für immer festgeschrieben."
„Wenn du willst, kann ich heute Nacht hierbleiben?", bot Anna mir aus dem Nichts an. Erschrocken sah ich zu ihr auf.
„Nein, bloß nicht!" Dass ich viel zu impulsiv reagierte, merkte ich erst, als sie ihre Hand sinken ließ und den Rückzug antrat. Kälte strich über meine Haut, wo ich eben noch ihre Schenkel gespürt hatte.
„Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahetreten." Ihre Stimme klang auf einen Schlag kühl und distanziert.
„So meinte ich es nicht. Ich schlafe nur lieber allein. Es macht mich unruhig, wenn ich weiß, dass jemand in meiner Nähe sein könnte, wenn ich Alpträume habe." Gott, ich hörte mich bestimmt gerade wie der totale Looser an, stelle ich fest.
„Nein, schon okay. Ich dachte nur..." Ihre Schultern wanderten kurz Richtung ihrer Ohren. „Mir hilft es, wenn ich nach einem Traum nicht allein bin. „Nervös klemmte sie sich eine Haarlocke hinter das Ohr. „Ich geh dann wohl mal besser und lass dich in Ruhe", wisperte sie. „Tut mir leid, dass ich... ich wollte nicht aufdringlich sein."
Dass sie sich tatsächlich abwendete, beunruhigte mich. Ihre Wärme war tröstlich. Ihr Duft vertraut. Obwohl sie sich nur ein paar Zentimeter entfernt hatte, vermisste ich sie. Ich wollte, dass sie ging! Und trotzdem sagte ich erstaunlicherweise genau das Gegenteil. „Nein, Anna. Bitte. Bleib."
Kurz schnaubte sie. Ein Laut, der so sehr Anna war, dass ich die Mundwinkel zu einem Beinahe- Lächeln verzog.
„Geh weg! Bleib hier!" Obwohl es dunkel war, konnte ich erahnen, wie sie die Augen rollte. „Was denn jetzt, Carter?", murmelte sie eindeutig genervt von meinem Wankelmut.
„Bleib. Bitte. Aber nur, bis ich eigeschlafen bin", präzisierte ich und registrierte ein Zögern, bevor sie sich mir wieder zuwendete. Wie ein Ertrinkender seinen rettenden Baumstamm, schloss ich sie wieder in die Arme. Nur war sie viel weicher als ein Baumstamm. Kein bisschen knochig. Sie hatte Rundungen und Kurven und kleinen Pölsterchen genau dort, wo ich es mochte. Und Anna hat Brüste. Verdammt sollte ich sein, dass mir ausgerechnet jetzt auffiel, wie sie sich bei jedem Atemzug hoben und senkten! Beim letzten Mal hatte ich schon ihre Oberschenkel betatscht, was voll daneben war. Über ihren Busen sollte ich wirklich nicht nachdenken.
„Sonst noch was? Eine Tasse Tee vielleicht? Ein paar Kekse?", fragte sie mit gutmütigem Spott in ihrer Stimme.
„Die Tageszeitung wäre nett", stieg ich auf ihren neckenden Ton ein. Unauffällig versuchte ich ein wenig Abstand zwischen mich und die beiden Luxusexemplare ihrer Weiblichkeit zu bringen.
„Von mir aus. Aber glaub nicht, dass ich vor meinem ersten Kaffee zu Derrick laufe und sie dir hole", brummte sie.
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BLINDFOLDED - Blindes Verstehen
أدب نسائيCarter ist ein Held! - Ein Frauenheld! Er ist einer jener Männer, die uns Frauen den Blick verschämt senken lassen, wenn wir ihm beim Bäcker, beim Tanken oder gar im Baumarkt begegnen. Weil wir glauben, einem Traummann wie ihm niemals zu genügen. Er...