EINUNDDREISSIG

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Im dritten Stock stiegen wir aus dem Lift. Unsere Schritte hallten von den Wänden eines langen Korridors wider, meine Handflächen waren noch immer feucht. Aber weder zitterten sie, noch hatte ich Atemnot oder Flimmern vor den Augen.

Dass Elaines Zimmertür nicht wie in miesen Krimis von grimmig dreinblickenden Polizisten bewacht wurde, wertete ich als gutes Omen. Auch Anna teilte meine Meinung, denn sie wisperte leise: „Denk der Zigarettennachschub ist kein Problem.“

An der Tür drei-null-sieben klopfte Anna leise an und öffnete diese. „Hey“, flüsterte sie.

„Anna! Oh Gott, danke, dass du auch gekommen bist.“

Die Begeisterung meiner Schwester versetzte mir einen schmerzhaften Stich, obwohl Elaine sofort nach Anna auch mich umarmte. Der springende Punkt war die Reihenfolge. Wie eine Ertrinkende klammerte sie ihre Arme um meinen Hals und schluchzte herzerweichend.

Während Elaine mein Shirt durchweichte, streichelte Anna immer wieder beruhigend über Elaines wirres Haar. Das Schluchzen ging in einen heftigen Schluckauf über. Nachdem dieser abebbte, startete ich einen kleinen Vorstoß, um rauszufinden, was passiert war.

„Keith hat mich zu einem Date eingeladen.“

Ungläubig sah ich meine Schwester an. Sie war dreizehn. Sie sollte mit Puppen spielen, nicht mit Jungs abhängen und rauchen.

„Aber wir hatten doch besprochen, dass das keine gute Idee ist? Er ist viel älter als du“, warf Anna zu meiner Überraschung ein. Sie war tatsächlich bestens informiert. Elaine wischte sich über die Nase.

„Ich weiß, ich hab ihm auch erst abgesagt. Aber am Abend kamen er und ein paar Kumpels vorbei und meinten, sie würden runter gehen zum Strand. Weil auch zwei Mädchen dabei waren und du gesagt hast, der beste Schutz ist, sich nur in Gruppen zu verabreden, wo Mädchen dabei sind, bin ich rein, um Dad zu fragen. Aber er hat es verboten, weil es schon nach zehn war und er nicht wollte, dass ich mich draußen rumtreibe, wenn er schon schläft.“

Hätte Dad meine Schwester lieber gehen lassen. Am Strand hätte ich Elaine im Blick gehabt.
Anna seufzte schwer.

„Lass mich raten. Du hast gewartet, bis dein Dad eingeschlafen ist und bist runter zum Strand?“

Elaine nickte.

„Aber da war niemand. Also hab ich Keith angerufen und gefragt, wo sie sind. Er meinte, sie wären bei diesem 24-h-Diner, das oben beim Sanatorium aufgemacht hat und hat mir angeboten, mich abzuholen.“

„Du bist mit dem Spinner Motorrad gefahren? Bist du irre?“, fluchte ich. Sofort begannen Elaines Tränen wieder zu rinnen.

„Nein. Er kam mit dem Auto.“

Sie legte eine theatralische Pause ein und gab Anna und mir genug Freiraum, uns auszumalen, was dann passierte.

„Ich bring ihn um“, fluchte ich. „Ich bring diesen kleinen Bastard um.“

Anna legte mir eine Hand auf den Unterarm. „Denk an die Zigaretten, Carter! Das ist Keith nicht wert.“

„Weiter“, drängte Anna. „Woher hatte er das Auto?“

„Er hat behauptet, der Wagen würde seinem Onkel gehören und er dürfte ihn ab und zu ausleihen.“
„Und du Schaf hast ihm natürlich geglaubt?“, warf ich der noch immer aufgelösten Elaine an den Kopf.

„Woher hätte ich ahnen sollen, dass er ein Auto kurzschließt?“, wimmerte sie mitleiderregend.

Langsam massierte ich meine Nasenwurzel.

„Weil kein Schlüssel im Zündschloss steckte?“, schlug ich ihr angesäuert vor.

Ihre Antwort fiel ziemlich patzig aus.

BLINDFOLDED - Blindes VerstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt