EINUNDFÜNFZIG

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Lange saß ich auf meinem Bett, starrte auf die Tür und versuchte zu verstehen, was Anna in die Flucht getrieben hatte. Schon klar, es war mein Fehler gewesen. Ich hatte mich, ohne es zu bewusst zu planen, in die Riege der Lügner und Betrüger in ihrem Leben eingereiht. Das Schlimme war, dass ich an diese saudumme Geschichte keinen Gedanken verschwendet hatte. Für mich war der Deal mit Ian Vergangenheit. Nicht der Rede wert. Dass Anna und ich und deswegen stritten, hatte ich einfach nicht kommen sehen. Ich war null drauf vorbereitet gewesen, dass wir das Thema diskutierten.

Mit den Händen rieb ich über meine Oberschenkel. Ich fühlte mich echt scheiße. Weil ich sie nicht verletzen wollte.

Und ich fühlte mich unverstanden. Anna hatte am Ende von der Sache profitiert. Sie hatte eine OP bekommen, wie sie normalerweise nur wir bekamen. Wir und eventuell Angehörige. Cal und ich hatten Regeln gebrochen für Anna. Ich hatte Cal gezwungen, mir zu helfen. Nein, ihr zu helfen.

Anna war einfach undankbar. Wusste nicht zu schätzen, was ich in Bewegung gesetzt hatte für sie.

Mein Schuldbewusstsein schlug so schnell in Wut um wie das Wetter. Ärgerlich knautschte ich mein Kissen in Form und legte mich hin. Sollte sie ruhig heute Nacht schmollen und in Selbstmitleid baden. Am Ende würde sie schon erkennen, dass sie mir mit ihren Vorwürfen Unrecht tat.

Ich drehte mich zur Seite. Und schloss die Augen.

Sie würde es bemerken, oder?

Ich starrte auf die Lamellen der Verdunkelung.

Sie musste es doch merken!

Ich drehte mich auf den Rücken.

Und wenn nicht?

Mit Herzklopfen setze ich mich auf.

Die Leere im Wohnwagen erdrückte mich mit ihrer Stille. Das Rauschen der Wellen klang in meinen Ohren überlaut.

Dramatisier es nicht, ermahnte ich mich. Sie kommt zur Vernunft.

Ich legte mich wieder hin, zog die Decke bis zum Kinn. Mein Blick fiel auf die flauschige Decke, die ich mit ihr gekauft hatte.

Was, wenn ich sie nie wieder damit zudecken würde? Was wenn ich zurückging, bevor wir uns versöhnten?

Dann werde ich hier sein und die Scherben aufkehren.

Ich konnte den Druck in meiner Brust, den die Erinnerung an den Satz von Hux auslöste, im Liegen nicht ertragen. Wieder setzte ich mich hin. Ich musste etwas unternehmen. Am besten sofort! Ich musste zu ihr. Ihr sagen, dass es mir leidtat.

Ich schwang die Beine aus dem Bett und zog hastig meine Shorts an.

Ich war im Recht, verdammt. Aber ich würde mich trotzdem entschuldigen. Für den lieben Frieden die weiße Fahne schwenken.

Aber nicht jetzt. Morgen früh. Ich zog die Hose wieder aus. Legte mich hin.

Genau. Morgen.

„Anna ist nicht hier."

Mrs Sullivan stützte einen großen rosa Waschkorb in die Hüfte. Er war aus Plastik, abgeschabt und angegraut.

„Wann kommt sie wieder?", fragte ich nach.

Die Alte schüttelte den Kopf.

„Keine Ahnung. Sie ist gerade mit Elaine unterwegs. Und später ist sie bei Steve zum Putzen."

„Sie ist mit Elaine unterwegs?"

Annas Grandma nickte. „Ja, Mädchensachen machen. Bisschen bummeln. Eis essen. Vielleicht Kino. Und am Abend eben dann arbeiten."

BLINDFOLDED - Blindes VerstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt