FÜNFUNDZWANZIG

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Mit Argwohn beobachtete ich meine Kaffeemaschine. Sie war in etwa so alt wie der Airstream selbst und hustete und prustete wie es sich für ein in die Jahre gekommenes Mädchen gehörte. Heute Morgen klingt sie aber nach offener Tuberkulose und machte einen solchen Heidenlärm, dass ich nicht hörte, wie sich die Tür zum Wohnwagen öffnete.

Wohl fühlte ich aber den Luftzug, der um meine Beine strich wie eine verschmuste Katze und Annas unverwechselbaren Duft zu mir trug Mich umzudrehen, wagte ich nicht. Ich wollte die Enttäuschung über den ruinierten Tag in ihren Augen nicht sehen und noch weniger wollte ich ihr meine augenblickliche Verletzlichkeit preisgeben. Ihr zeigen, dass es mich regelrecht fertig machte, wenn ich bestimmte Dinge einfach nicht unter Kontrolle hatte.

„Ich habe geklopft“, erklärte sie mir. „Du hast es wohl nicht gehört?“

Sie zog die Tür hinter sich zu und hüllte mich zusammen mit ihrem Duft wieder in das Dämmerlicht. Eine vollkommen irrationale Sehnsucht erfasste mich. Ich sehnte mich so verzweifelte nach Nähe und nach etwas, das diese schmerzhafte Leere in mir füllte, dass ich mir ihre Umarmung und Berührung herbeiwünschte wie ein Süchtiger auf Entzug seine Droge. Um Anna nicht von mir aus zu umarmen, zog ich die Schultern hoch, ballte meine Fäuste. Doch es half nicht. Meine egoistischen Wünsche blieben die gleichen. Wir sind beide Schiffbrüchige, die von den Wogen des Lebens mal hierhin und mal dorthin getragen wurden und wenn ich mich an sie klammerte, würden wir gemeinsam an den Klippen zerschellen, die mich täglich bedrohten.

„Bist du okay?“, wisperte Anna durch die Dunkelheit. Von hinten schloss sie mich in die Arme und legte ihren Kopf auf meinen Rücken. Ich fühlte ihre Wange an meinem Schulterblatt. Einen ihrer Arme winkelte sie an, sodass sie ihre Hand auf die Stelle legen konnte, hinter der mein Herz pochte.

„Sie hat es nicht so gemeint, Carter. Das weißt du, oder?“

„Ja, klar.“ Mein Kopf begriff es. Aber es tat trotzdem verdammt weh. Dass Anna da war, mich festhielt, ohne die Stille mit Fragen oder Plappern zu füllen, machte es irgendwie besser für mich. Und gleichzeitig um so vieles schlimmer.

„Du bist ein wunderbarer Bruder und du tust jeden Tag dein Bestes.“

Gequält schloss ich die Augen. Ich tat eben nicht mein Bestes. Langsam schüttelte ich den Kopf. Zeit Farbe zu bekennen.

„Auf mich wartet Ende Januar ein Disziplinarverfahren“, gab ich heiser zu. „Wegen der Vorfälle in Afghanistan.“

Anna versteifte sich hinter mir. „Aber das ist vier Jahre her!“

Ich schloss die Augen. Nickte.

Innerlich wappnete ich mich dagegen, dass Anna sie jetzt nutzte. Ihre Frage. Sich erkundigte, was an jenem Tag vorgefallen war. Als sie Luft holte, konnte ich nicht umhin, meine anzuhalten.

„Warum nach vier Jahren? Warum nicht schon früher?“

Ich räusperte mich. Ihr nicht in die Augen sehen zu müssen bei meiner Antwort vermittelte mir eine nur gefühlte Anonymität, die meine Zunge ein wenig löste.

„Es gab eine Untersuchung des Vorfalls. Zu dem Zeitpunkt ging es mir selbst noch sehr schlecht. Ich war traumatisiert und konnte mich nur bruchstückhaft erinnern. Was ich wusste, das habe ich zu Protokoll gegeben. Weil ich mich besser fühlte, habe ich vor ein paar Wochen darum ersucht, meine Beurlaubung aufzuheben und mich wieder in den aktiven Dienst aufzunehmen. Auf Cals Anraten habe ich mich um einen Verwaltungsposten im Recruiting beworben. Nicht das, was ich eigentlich will, aber immerhin ein Anfang. Geregelte Arbeitszeit, keine Nachtschichten mehr und ich muss Elaine nicht aus der Schule nehmen. Nur habe ich damit wohl schlafende Hunde geweckt. Bei der Bearbeitung stieß man auf meine Akte und nun will man den Vorgang erste einmal abschließen, bevor man entscheidet, ob ich zurückkehre oder unehrenhaft entlassen werde.“

BLINDFOLDED - Blindes VerstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt