Geschlagen nickte ich. Niemand stoppte Nevin Sullivan, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Der klare Beweis, dass man eben doch nicht immer eine Wahl hatte. Er stand auf und klopfte auffordernd ein paar Male mit der flachen Hand auf den Tisch.
„Und jetzt hol dir ein Glas und mach das Ding zügig leer. Ich kann es nicht leiden, wenn Anna nachts rumstreunt wie eine rollige Katze.“
Rollige Katze?
Kopfschüttelnd schaute ich dem Mann nach, der mir seine Enkelin soeben förmlich aufgedrängt hatte. Und was meinet er damit, er würde meine Blicke bemerken? Alles, was ich die letzten Stunden erfolgreich wegdrücken konnte, hatte er mit seinem blöden Kommentar wieder heraufbeschworen. Und was war das für ein Aberglaube mit der Flasche? Wenn ich sie heute runterschüttete, lag ich die Nacht über in meiner eigenen Kotze. Vielleicht, überlegte ich, erstickte ich daran und das Problem wäre gelöst.
Wenn ich jeden Abend einen Fingerhut trank, war sie verheiratet und hatte drei Kinder. Problem ebenfalls gelöst.
Wahrscheinlich war es mit dem Whiskey wie mit einem guten Horoskop. Zwischen zwei Gläsern werden sie eine großartige Entdeckung machen. Das konnte dann so gut wie alles bedeuten, oder?
Seufzend schob ich die Flasche noch weiter zur Seite. Dann holte ich sie wieder heran. Mit dem Zeigefinger malte ich ihren Namen nach. Anna. Vier Buchstaben in denen so viele Bedeutungen stecken. So viele Facetten einer Persönlichkeit. So viel Liebe. Angst. Zorn. Loyalität. Vertrauen. Und so viel Unsicherheit. Einsamkeit. So viel Schmerz und Freude. So viel Kampfgeist und so viel Kummer. Am Deckel drehte ich die Flasche, um ihren Namen nicht mehr zu lesen. Dann drehte ich sich wieder zurück.
Was wohl auf Annas Flasche stand, als sie Sylvester hier am Boot saß? Ob sie ihr Problem inzwischen gelöst hatte?
Lächerlich! Das war es und nichts anderes.
Und doch verfolgte mich der Gedanke, dass es so einfach sein könnte. Beim Abendessen, beim Waschen und Aufhängen meiner Shirts. Auch später als ich zum Strand ging, um nachzusehen, wen ich von den dort wie jeden Samstag Versammelten kannte: Im Hinterkopf begleitete mich die Frage, ob es wirklich so einfach war.
Die ersten Leute, auf die ich am Strand traf, kannte ich nur flüchtig. Alle jünger als ich, eher Elaines Alter oder ein wenig darüber. Zaynes Bruder Keith war dabei. Torys Schwester, deren Name mir nicht einfallen wollte. Außerdem Derricks Tochter Amy.
Die nächste Gruppe waren Touris in teuren Klamotten. Sie hatten Klappliegen dabei, jede kostete mehr als mein Wochenlohn, tranken hippes Bier aus hippen Flaschen. Das Highlight war aber ihre sinnlose Feuerschale. Wenn wir Feuer machten, gruben wir einfach ein Loch in den Sand. Aber vermutlich wurde ihr Schickimickiholz im Sand sonst schmutzig.
Viellicht hätte ich doch lieber Lou, Robin oder Javier angerufen, statt auf Gesellschaft am Strand zu spekulieren. Die hätten aber vielleicht Hux und Anna angeschleppt. Auf die beiden hatte ich grad nicht richtig Lust.
Ein Stück weiter stieß ich schließlich auf eine kleine Handvoll Leute, die mit mir zur Schule gegangen waren.
Treffen sich ein Hafenarbeiter, ein Hilfsarbeiter, ein Arbeitsloser und ein Ex-Marine am Strand. Was klang wie der Anfang eines schlechten Witzes, wurde der Startschuss für einen zunächst lustigen Abend. Wir redeten über Schule, verflossene Eroberungen und die nervigen Touris. Später wurden die Gespräche ernster. Politik. Geldsorgen. Und Pläne, die nie in die Tat umgesetzt würden, machten die Runde.
„Becky hat mich verlassen“, platzte es schließlich aus Abel heraus. „Hat die Enge mit meinen Eltern nicht mehr ausgehalten.“ Der Hafenarbeiter in unserem zusammengewürfelten Quartett schwenkte das Bier in seiner Flasche im Kreis.
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BLINDFOLDED - Blindes Verstehen
ChickLitCarter ist ein Held! - Ein Frauenheld! Er ist einer jener Männer, die uns Frauen den Blick verschämt senken lassen, wenn wir ihm beim Bäcker, beim Tanken oder gar im Baumarkt begegnen. Weil wir glauben, einem Traummann wie ihm niemals zu genügen. Er...