SECHZEHN

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Kurz nach zwei verschwand Javier und mit ihm auch die Musik samt der guten Stimmung am Strand. Die Party löste sich ohne Nachhelfen der Polizei völlig von selbst auf, nach und nach kehrte Ruhe ein. Hier und da blieben ein paar Grüppchen zurück, die noch nicht genug hatten. Ihr Lachen wehte über den Strand, gefolgt von gemurmelten Gesprächen.
Mit meinen Zigaretten in der Hand lehnte ich mich gegen den Rumpf des Bootes mit dem mein Trailer den Stellplatz teilte.

„Hey! Wo hast du nur die halbe Nacht gesteckt? Oder sollte ich fragen in wem?" Erschrocken zuckte ich zusammen. Anna, die auf der anderen Seite des Rumpfes saß und in den Himmel starrte, hatte ich im Dunkeln nicht bemerkt.
„Die anderen haben nach dir gesucht. Wollten anstoßen. Weil Sylvester ist, weißt du?", erklärte sie mir mit weit ausholenden Bewegungen ihres Arms, in der Hand eine Flasche. Ihrer verwaschenen Aussprache nach musste, was immer in der Flasche war, ziemlich hochprozentig sein. Statt meine Kippe anzuzünden, schob ich sie mir hinters Ohr und ging neben Anna in die Hocke. Scheiße. Die Kleine roch wie ein verdammter Schnapsladen!
„Hab ihnen gesagt, du brauchst uns überhaupt nicht. Kommst auch ohne uns super rein", nuschelte sie.
Ihre Augen wirkten glasig und ihre Wangen röteten sich leicht. Der einzige Hinweis darauf, dass ihre Worte genauso doppeldeutig gemeint waren, wie sie klangen.
„Was trinkst du da Schönes?"
Völlig ohne Argwohn hielt sie mir ihre Flasche entgegen.

„Whiskey, natürlich. Irischen Whiskey!"
Was auch sonst. Ich griff nach der Flasche, doch erstaunlich flink zog Anna sie weg. „Du trinkst nicht mehr, Carter. Is alles meins."
Selbst im Sitzen schwankte sie leicht bei der schnellen Bewegung. Jesus! Das Mädchen wusste noch nie wann genug war! Trotzdem musste ich über sie schmunzeln.
„Hast du nicht gesagt, du hättest dazugelernt?", neckte ich sie und Anna schenkte mir ein ehrliches Lächeln. Lattenvoll wie sie war, kümmerte sie die Narbe im Gesicht gerade einen Scheiß.
„Hab ich ja. Deswegen trink ich im Dunkeln. Allein!"
Ich schnaubte.
„Was für ein Fortschritt, Anna!" Ich konnte einfach nicht anders als sie zu necken. „Aber jetzt, jetzt bist du nicht mehr allein", raunte ich ihr ins Ohr. „Was willst du also tun? Vor mir weglaufen?"
Forschend sah sie mich an. In ihre Augen trat ein boshaftes Funkeln.
„Wozu weglaufen? Du hast dein Pulver heute schon mit Soraya verschossen."
Sie lehnte sich zur Seite und kuschelte sich gegen meine Schulter. Einen Arm legte sie um meine Taille und durch mein Shirt fühlte ich die angenehme Wärme, die sich zwischen uns sammelte, dort, wo sich unsere Körper berührten. Die andere Hand umklammerte weiterhin ihren Whiskey. Nach einer Weile hob sie den Blick und einmal mehr verlor ich mich im Meer ihrer Augen.
„Weißt du, was ich noch immer nicht verstehe? Warum eine blöde Decke?"
Um Zeit zu schinden, sie ein wenig auf die Folter zu spannen, zündete ich in aller Ruhe die Zigarette an, die ich noch immer hinter meinem Ohr steckte.
„Ist doch völlig egal", gab ich zurück.
„Mir nicht. Ich zermartere mir das Gehirn und find keine Lösung."
Belustigt machte ich ihr einen Vorschlag, von dem ich sicher war, sie würde ihn ablehnen. Einen Versuch war es dennoch Wert. Wenn sie betrunken genug war, ging sie mir möglicherweise sogar auf den Leim.
„Du könntest deine Frage dafür einsetzen. Du weißt schon. Diese eine, auf die ich antworten muss."

Empörung sprach aus ihrer Antwort.
„Bin ich bescheuert? Im Leben nicht! Das wäre totale Verschwendung."
„Deine Entscheidung. Dann musst du weiter grübeln."
„Gott, Carter, jetzt sei nicht so ein Arsch!"
Sie pflückte mir die Zigarette aus der Hand, nahm einen tiefen Zug und kuschelte sich dann wieder an mich. An das Gefühl ihres Kopfes an meiner Schulter hätte ich mich genauso gewöhnen können wie an die wilden Locken, die auf meinem Oberarm kitzelten wie hunderte winziger Ameisen.

„Okay. Ich könnte raten und du sagst mir, wenn ich richtig liege?", schlug sie mir vor.

„Von mir aus", stimmte ich zu, weil sie es im Leben nicht erriet. Sie angelte nach meiner Hand und führte sie vor ihren Mund, damit sie noch einmal an meiner Kippe ziehen konnte. Ihre Lippen berühren meine Finger. Nur für einen winzigen Augenblick, trotzdem reagierte mein Körper, als hätte ich seit Tagen nicht mehr gevögelt.

BLINDFOLDED - Blindes VerstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt