Kapitel 94 (Ende)

658 9 5
                                    

Angespannt sitze ich hier und warte. Worauf ich warte? Ich erhebe meinen Blick, als er in Handschellen auf mich zukommt und sich mir gegenüber setzt. Sein Blick ist emotionslos. Weder Trauer noch Wut spiegelt sich in seinen Augen wieder. Ich habe beschlossen, Mert einen letzten Besuch abzustatten. Bevor ich mein neues freies Leben mit Leyla beginnen würde, wollte ich ihn noch einmal zur Rede stellen.
,,Warum?'', frage ich ihn. Auf seinen Lippen bildet sich ein leichtes Lächeln. Er sieht zufrieden aus.
,,Darauf hast du all die Jahre bestimmt gewartet. Mich endlich so zu sehen. Eingesperrt.'', antwortet er.
,,Das war nicht meine Frage.'', sage ich auffordernd. Ich will es unbedingt wissen. Warum würde er all das für Leyla und mich tun? Seufzend senkt er seinen Blick.
,,Nachdem Leyla mir die Augen geöffnet hat, konnte ich nicht anders.'', sagt er. Einen Moment mal. Leyla war bei ihm? Er bemerkt meine Verwirrung und beginnt mir von dem Tag zu erzählen, als Leyla bei ihm gewesen war. Ihre Worte konnte er seit diesem Tag nicht vergessen. Sie haben ihn nicht mehr losgelassen.
,,Es ist von Anfang an meine Schuld gewesen. Ezras Tod ist meine Schuld, Can. Ich werde mir das niemals verzeihen können. Als großer Bruder hätte ich für sie da sein sollen. Aber das einzige, was ich gesehen habe, war Hass. Hass auf meinen unschuldigen besten Freund.'', erklärt er mir unter Tränen. Er ist außer sich, enttäuscht von seinen Taten.

,,Ich habe Menschen verletzt, getötet und habe nicht begriffen, dass ich selbst eigentlich an allem Schuld bin.'', sagt er. Still höre ich ihm nur zu, lasse ihm diesen Moment.
,,Ich habe verloren, Can. Meine kleine Schwester ist tot, die Jungs von der Straße hassen mich und ich habe meinen besten Freund verloren. Ich bin so ein schlechter Mensch. Wie konnte ich Leyla und dir das nur antun? Wie konnte ich Cansu das nur antun? Sie hat so einen Tod nicht verdient. Wäre ich doch nicht so blind gewesen.'', sagt er bereuend. Ja, er bereut alles von tiefstem Herzen. Doch seine Taten sind leider nicht rückgängig zu machen.
,,Ja. Unsere Schwestern sind gestorben, Mert. Du hast bis heute nur Schlechtes getan. Aber vielleicht musste das alles passieren, damit wir heute hier sitzen.'', erkläre ich ihm, woraufhin er mich wieder anblickt.
,,Alles, was ich wollte, war so zu sein wie du. Deshalb habe ich mir immer eingeredet und es so ausgesehen lassen, als wärst du der Schlechte. Dabei bin ich es die ganze Zeit gewesen. Ich weiß, dass kommt viel zu spät. Aber es tut mir wirklich aufrichtig leid. Hätte ich damals anders gehandelt, hätte ich dich niemals als Freund verloren.'', sagt er. Dass ich mal eine Entschuldigung von ihm hören würde, hätte ich niemals gedacht. Ich lächle. Stumm stehe ich auf. Mit glasigen Augen blickt er zu mir auf.

,,Du hast jetzt einige Jahre vor dir, um dich selbst aufzubauen. Nutz diese Chance und komm stark zurück, kardesim. (Mein Brüderchen)'', sage ich.
,,Wenn du willst, kannst du es jetzt tun. Schlag mich, töte mich. Ich habe es verdient.'', sagt er schuldbewusst. Ich blicke auf ihn herab.
,,Ich habe das nie getan und ich werde es auch heute nicht tun.'', sage ich nur. Auf seinen Lippen bildet sich ein zufriedenes Lächeln.
,,Ich wünsche dir nur das beste.'', sagt er, mein ehemaliger Erzfeind. Ich kehre ihm den Rücken zu und gehe anschließend. Ich weiß nicht, was die Zukunft mit sich bringt. Heute ist mir bewusst geworden, dass Mert tief im Inneren ein guter Mensch ist. Sein Herz wollte niemandem schaden. Es wollte nur Gerechtigkeit für einen Vorfall, der nie hätte passieren dürfen. Nur hat sein Hass ihn leider übernommen. Seine schlechte Seite hat ihm eingeredet, dass die Welt ein schlechter Ort wäre. Somit hat er auch Schlechtes getan. Er wurde von seinem Hass so dermaßen geblendet, dass er jedem schaden musste. Doch wer weiß? Vielleicht sieht seine Zukunft für ihn besseres vor. Vielleicht sieht sie für uns beide  besseres vor. Ich weiß auf jeden Fall, dass meine Zukunft mit Leyla und unserer kleinen Familie in nächster Zeit schön aussehen wird. Wir können wieder nach Hause und von vorne anfangen. Ohne Angst. Ohne Gewalt. Ohne Folgen der Vergangenheit. Dieses Kapitel ist nun abgeschlossen. Wir beide sind bereit für ein neues.

Vielen Dank an alle, die diese Geschichte mitverfolgt und mich unterstützt haben.
Vielleicht kommt ja in Zukunft ein Teil 2 ;)

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt