Kapitel 85

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Leyla POV

Ich wollte weg. Ihn so hoffnungslos zu sehen, das konnte ich einfach nicht länger ertragen. Es tat mir weh. Er hat so verzweifelt, so besorgt, so traurig gewirkt, weswegen ich gegangen war. Ja, es klingt egoistisch von mir. Doch um ehrlich zu sein, wollte ich ihn nicht mit meinem Anblick verletzen. Ich wollte nicht weinen, konnte es jedoch letzendlich nicht mehr zurückhalten. Ich wollte ihn nicht bedrängen, in dem ich von ihm verlangte, mir nicht die Wahrheit zu sagen. Die Warheit, dass wir beide nicht genau wussten, was genau geschehen würde. Weder er noch ich wussten, ob wir eine gemeinsame Zukunft miteinander haben würden. In diesem Moment bin ich egoistisch gewesen. Schließlich hätte ich bedenken müssen, wie hart das alles für ihn sein muss. Er ist derjenige, der in der Zelle sitzt und alles daran setzt, um mich zu beschützen. Selbst im Gefängnis will er sichergehen, dass es mir gut geht, weswegen er Kadir geschickt hatte. Doch nun bin ich an der Reihe. Nun muss ich ihn beschützen. Ihn retten. Nun sitze ich im Auto, mit einer Waffe, vor Merts Haus. Ich habe ihn gebeten sich mit mir zu treffen, weswegen ich nun seine Adresse weiß. Zu meinem Glück hat er zugesagt. Die Waffe stecke ich gut ein, sodass sie niemand sehen könnte und steige aus meinem Auto. Tief atme ich einmal ein. Ich muss jetzt stark sein. Für Can. Also werde ich etwa zehn Minuten später zu Mert geführt. Wieso erst nach zehn Minuten? Das erfahrt ihr noch. Erstaunt sehe ich mich um. Er hat sich wirklich ein gutes Versteck ausgesucht. Dieser Mistkerl. Ich stehe vor ihm und weiß, dass es nun ernst wird. Er dreht sich zu mir und blickt mich mit diesem widerlichen Grinsen an. Das Grinsen eines Teufels.

"Wow. Leyla Yalçin steht ganz alleine vor mir. Ohne ihren treuen Ehemann. Wirklich beeindruckend", spricht er in einem spöttischen Ton, was mich etwas wütend macht. Ich balle meine Hände zu Fäusten. Handle mich bedacht, Leyla.
"Was führt dich zu mir?", fragt er mich nun auffordernd.
"Wie lange willst du dieses Spiel noch mit uns spielen? Findest du nicht, dass du dich langsam zeigen und ergeben solltest?", frage ich ihn, woraufhin er laut lacht. Was zur Hölle ist so witzig?
"Wie lange wollt ihr vor dem Gesetz noch die Unschuldigen spielen? Es dauert nicht mehr all zu lang, dann wird dein geliebter Ehemann sein restliches Leben im Gefängnis verbringen. Ich habe doch gesagt, dass ich euch trennen werde", sagt er siegessicher und langsam wird es mir zu viel. Ist das alles für ihn etwa nur ein lustiges Spiel? Er hat unser Leben abermals zerstört. Ich spüre, wie mein Herz in Flammen steht und zittere am ganzen Körper. Noch nie bin ich so wütend gewesen.
"Wie kannst du es wagen so mit unserem Leben zu spielen? Hast du nicht genug?", frage ich ihn in einem dunklen Ton.
"Ich werde erst genug haben, wenn dieser Mistkerl ein für alle mal hinter Gittern ist. Meine kleine Schwester ist nur seinetwegen gestorben. Umsonst", erklärt er, woraufhin ich mich etwas beruhige.
"Nein, Mert. Nicht deine kleine Schwester ist seinetwegen gestorben. Cansu, Cans kleine Schwester, musste deinetwegen sterben. Ihr Blut klebt an deinen Händen. Can hat deiner kleinen Schwester nichts getan. Die Warheit ist, dass Ezra von einem anderen Mann schwanger gewesen war. Ja, Can hat sie verlassen. Doch er war nicht der Grund für ihren Selbstmord gewesen. Der Grund könnte entweder dieser andere Mann oder du gewesen sein. Hast du auch nur eine einzige Sekunde daran gedacht? Auch du trägst die Schuld an alledem", erkläre ich ihm.

"Ich?", fragt er dann verwirrt.
"Ja, du Mert. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich deine Schwester bestimmt sehr einsam und verletzt gefühlt. Hast du sie jemals gefragt, wie es ihr geht oder jemals mit ihr geredet? Das hast du nicht, weil du bestimmt nicht einmal gemerkt hast, dass sie depressiv war. Auch wenn sie es nicht gesagt hatte, hättest du bemerken sollen, dass sie eine sehr schwere Zeit durchmachte. Das einzige, was du getan hast, war Can zu beschuldigen. Du hast ihm Vorwürfe gemacht. Nur, weil er mit ihr Schluss gemacht hat. Aber er hat nicht mit ihr Schluss gemacht, weil er sie verletzen wollte. Es war, um sie glücklich zu machen, da sie zu diesem Zeitpunkt ihr Herz an einen anderen verloren hatte. Er hatte sie aus Verständnis verlassen ", erzähle ich ihm. Das ist die Wahrheit, die Can mir erzählt hat. Nicht einmal hatte er daran gedacht, Merts kleine Schwester zu verletzen.
"Woher willst du wissen, dass Can dich nicht belügt? Woher willst ausgerechnet du wissen, wie meine kleine Schwester sich damals gefühlt haben muss? Was gibt dir das Recht dazu, mir das alles vorzuwerfen?", fragt er mich dann.
"Ja, ich habe nicht das Recht dazu, überhaupt davon zu sprechen. Aber ich weiß, wie sich ein Mädchen fühlt, wenn es verzweifelt ist. Auch ich war in so einer Situation gewesen. Deine Schwester hatte diesen Mann, der sie wahrscheinlich nur wegen ihren Körpers benutzt hatte, so sehr geliebt, dass es ihr schon weh tat. Dieser Mann gab vor, deine Schwester zu lieben, nur um dann mit ihr zu schlafen und sie dann fallen zu lassen. Danach zerbrach für deine kleine Schwester ihre Welt. Ich weiß das, da ich selber benutzt wurde. Das weißt du ganz genau. Auch ich musste vieles durchstehen und war am Ende. Ich wollte ebenfalls aufgeben und sterben. Deswegen solltest du noch einmal gut darüber nachdenken und dich in die Lage deiner Schwester versetzen. Glaube mir, Can wollte dich nicht zu seinem Feind machen", erkläre ich ihm unter Tränen und will, doch er hält mich mit einem "Warte" auf. Ich bleibe stehen, höre ihm zu, während ich ihm den Rücken zugekehrt habe.
"Wie hast du es damals geschafft, weiter zu kämpfen? Was war der Grund dafür, dass du nicht, wie Ezra, aufgeben hast?", fragt er mich, woraufhin ich ihn anblicke.

"Ganz einfach. Eine Person ist in mein Leben getreten und hat meine zerbrochene Welt erleuchtet. Es war Can. Er war es, der mich damals geheiratet hat, um mich glücklich zu machen. Genau wie er Ezra verlassen hatte, um sie glücklich zu machen. Er, der eine gebrochene Frau geheiratet hat, obwohl er selbst die ganze Zeit über gebrochen war. Und selbst nach all diesen Jahren ist ihm mein Wohl viel wichtiger, als sein eigenes. Er, von dem du behauptest, dass er dein Leben zerstört hätte, hat meines gerettet. Und er würde es immer wieder tun, denn genau diese Art von Person ist er. Er ist weder ein Monster, noch ein Mörder. Er ist mein Ehemann, der alles dafür geben würde, um mich zu beschützen", antworte ich ihm, woraufhin er mich verblüfft anblickt. Noch nie habe ich diesen Ausdruck bei Mert gesehen.
"Dein Fehler war und ist immer noch, dass du über die Menschen falsch urteilst. Genau deswegen wirst du gehasst. Nur weil du die Welt als ungerecht bezeichnest, bedeutet das nicht, dass sie ungerecht ist. Öffne deine Augen und denk einmal darüber nach, was Ezra wohl nun empfinden würde, wenn sie wüsste, wie ihr großer Bruder, ihr Held, über die Welt sowie die Menschen denkt. Du hättest sie damals nur einmal fragen müssen, ob alles okay ist. Hättest du das getan, wäre alles villeicht anders gekommen und ihr beide, du und Can, hättet eure Schwestern sowie eure Freundschaft noch. Es hätte nicht so weit kommen müssen", sage ich noch und lasse ihn dann alleine. Mit Tränen in den Augen verlasse ich das Haus, steige anschließend in mein Auto. Das, was ich gerade gesagt habe hat mich emotional gemacht. Die beiden hätten das alles nicht durchmachen müssen. Sie wären jetzt noch Freunde, hätten ihre kleinen Schwestern noch und wären innerlich nicht zerbrochen. Traurig, was durch ein einziges Missverständnis alles zerstört werden kann. Mir ist bewusst geworden, dass es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Mert würde sich der Polizei nicht stellen und das heißt, dass ich wohl das tun muss, was ich eigentlich vorhatte.

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt