Kapitel 54

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Ich war fest davon überzeugt, dass das kein Zufall gewesen war. Sie hatte mich gehört. Ja, so war es gewesen. Glücklich stieg ich in mein Auto und fuhr geradewegs zu Azra, um Cansu abzuholen und ihr die schöne Nachricht zu verkünden.
"Danke, dass du auf sie aufgepasst hast", sagte ich zu Azra.
"Du musst dich nicht bedanken, Can. Das mache ich doch gerne", sprach sie, während sie mir Cansu übergab.
"Warst du wieder im Krankenhaus?", fragte mich Nihat, der sich zu uns gesellte.
"Ja, das wollte ich euch noch erzählen. Leyla hat sich heute bewegt und der Arzt meinte, dass sie bald erwachen könnte", erzählte ich.
"Wirklich? Gott sei Danke", sagte Azra erleichtert. Ich sah, wie glücklich die beiden diese Nachricht machte.

Nachdem ich mich von den beiden verabschiedet hatte, stieg ich wieder in mein Auto und setzte Cansu rein. Sie lächelte und blickte mich mit ihren großen, braunen Augen an. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und lächelte ebenfalls. Doch mein Lächeln verschwand, je länger ich sie ansah und nachdachte.nIch konnte doch nicht einfach meine Frau und meine Tochter verlassen. Aber irgendwann würde Mert noch weiter gehen und es dann auf Cansu absehen. Dann würde er Leyla und sie zusammen versuchen zu töten. Das durfte nicht geschehen. Die beiden durften nicht so wie meine Schwester enden. Noch einmal würde ich so etwas nicht ertragen. Den Menschen, die ich mehr als mich selbst liebte, durfte nichts geschehen.

Auch wenn ich es mein Leben lang bereuen werde. Je länger ich bei ihnen bin, desto gefährlicher ist ihr Leben. Ich lebe lieber gerne mein Leben lang mit Reue, als dass ich meine Familie von Tag zu Tag immer mehr in Gefahr bringe.nSie sind mir zu kostbar. Sie sind mir zu wertvoll. Sie sind mein Ein und Alles. Schon wieder plagten mich diese schrecklichen Gedanken. Ich fuhr nach Hause und wusste selbst nicht mehr, wohin mit meinen Gedanken. Ich war irritiert von meinen eigenen Gedanken. Ich wusste einfach nicht mehr weiter. Noch nie war ich so ratlos gewesen. Leyla wird wieder gesund, dachte ich mir. Bis sie vollkommen genesen ist, musste ich bei ihr bleiben. Ich musste mich um sie kümmern. Doch wie es danach weiter ging, das wusste ich nicht.

Leyla hatte mir so viel gegeben. Sie hatte in mir wieder die Liebe erweckt, die schon längst gestorben war. Sie hatte mich wieder zu dem Can gemacht, der ich damals nie sein wollte. Zu dem Menschen, den ich immer verabscheut hatte. Zu einem liebenden, fröhlichen, guten Menschen. Dank Leyla bin ich zu dem Mann geworden, der ich heute bin. Ich war ihr für so vieles dankbar. Vor allem aber dafür, dass sie immer zu mir gehalten hatte. Sie liebte mich trotz meines gefährlichen Lebens. Sie hatte mir ihre Liebe gestanden, obwohl ich ihre Gefühle nicht erwidert hatte. Sie stand immer zu mir und hatte mir die schönen Seiten des Lebens und der Liebe gezeigt. Sie war einfach ein ganz besonderer Mensch. Sie war einzigartig. Deswegen liebte ich sie. Sie war die Frau, die es geschafft hatte, mein Herz für sich zu gewinnen und die mir alles bedeutete. Einfach alles. Es gab so unglaublich viel, womit ich sie beschreiben konnte. Sie, diesen wundervollen Menschen.

Mit einem Lächeln und gleichzeitig mit Tränen in den Augen schaute ich mir einige Bilder von Leyla und mir an. Sie ist so unglaublich schön und besitzt dazu auch noch so ein gutes Herz.
Wieso habe ich nur so viel Glück?, fragte ich mich ratlos. Ich habe sie doch überhaupt nicht verdient. Sie hatte meiner Meinung nach einen besseren Mann verdient. Einen anständigen, guten, treuen Ehemann, der ein gutes Herz besitzt und immer für sie da ist. Ich bin unfähig, herzlos, unanständig und untreu, dachte ich. Schließlich dachte ich darüber nach, sie zu verlassen. Das ist etwas, was mich zu einem sehr schlechten Ehemann macht, dachte ich mir angewidert von mir selbst. Deswegen hatte sie es verdient, einen besseren Mann an ihrer Seite zu haben. Wie schon gesagt, bin ich zu unfähig, sie zu lieben. Ich klappte das Album zu und legte es auf die Kommode, die sich neben mir befand. Meine Gedanken waren einfach widerlich. Wie konnte ich nur so negativ eingestellt sein? Schließlich hatte ich doch alles, was ich brauchte.

Ich wischte mir meine Tränen weg und begab mich in Cansus Zimmer. Sie schlief friedlich in ihrem Bettchen und auf meinen Lippen bildete sich sofort ein leichtes Lächeln. Meine kleine Prinzessin ist so unglaublich süß, dachte ich mir. Ich gab ihr einen sanften Kuss und ließ die Tür einen kleinen Spalt offen, als ich das Zimmer wieder verließ. Doch meine Gedanken wollten mich einfach nicht loslassen. Ich erstickte in ihnen. Sie waren drauf und dran mich wahnsinnig zu machen. Ständig sah ich Leyla und mich vor meinen Augen, wie wir eine erfüllte und glückliche Ehe miteinander führen. Ja, ich war glücklich und ich war es auch schon immer gewesen. Jetzt hoffte ich einfach nur noch, dass sie bald erwacht und wir da weitermachen konnten, wo wir aufgehört hatten. Ich brauchte einfach noch etwas Bedenkzeit. Schon ein paar Tage später, als ich mich wieder ins Krankenhaus begab, hieß es, dass Leyla erwacht sei. Leyla war tatsächlich erwacht. So schnell. Mein Herz machte Freudensprünge.

Nun stand ich aufgeregt vor ihrem Zimmer. Jetzt würde ich nach so vielen Monaten endlich wieder mit ihr reden können, dachte ich mir. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich war sehr glücklich. Ich würde ihr endlich wieder in die Augen blicken können. Ich atmete einmal tief ein und betrat dann das Zimmer. Sie saß auf ihrem Bett und sah wirklich etwas besser aus. Bei ihrem Anblick wurde mir sofort warm ums Herz. Langsam ging ich auf sie zu und setzte mich dann neben sie. Dabei blickte ich ihr lange in die Augen. Meine Frau war zu mir zurückgekehrt. Sie war wieder bei mir. Nach so langer Zeit.

Leyla POV

Überglücklich blickte ich in Cans Augen. Ich konnte einfach nicht fassen, dass ich über sechs Monate im Koma lag. In diesen vielen Monaten hatte ich nur Albträume gehabt, aus denen ich nicht mehr erwachen konnte. Es war einfach der Horror gewesen. Ständig hatte ich nur Can gesehen, wie er nicht schlief, nicht aß und sich selbst die Schuld für alles gab. Ich glaube sogar ernsthaft daran, dass ich geweint hatte. Ich hatte mit ihm geweint. Langsam hob ich meine Hand und berührte seine Wange. Zum Glück lebte ich. Ich könnte mir nicht vorstellen, nie wieder in sein schönes Gesicht zu blicken. Das wäre ein Albtraum für mich, dachte ich mir. Ich musterte ihn von oben bis unten. Tatsächlich war er etwas dünner und blasser geworden. Ist es ihm wirklich wie in meinem Traum ergangen?, fragte ich mich besorgt.

Er näherte sich mir langsam und umarmte mich dann vorsichtig. Mir kamen die Tränen, da ich einfach froh war, überlebt zu haben. Er streichelte mir behutsam über den Kopf und schien zu weinen. Langsam lösten wir uns voneinander und wischten die Tränen des jeweils anderen weg.
"Geht es dir gut?", fragte ich ihn.
"Jetzt geht es mir viel besser", antwortete er mit einem Lächeln und streichelte meine Wangen. Er gab mir einen sanften Kuss. Wie sehr ich ihn vermisst hatte. Dann erzählte ich ihm von meinen ganzen Träumen.
"Diese ganzen Monate ohne dich waren schrecklich, Can.bIch habe dich gesehen, wie du zerbrochen bist. Du hast nicht geschlafen, nichts gegessen, niemals gelacht. Du hast ständig geweint und dir selbst die Schuld für alles gegeben. Ich habe mit dir geweint", erklärte ich ihm traurig, woraufhin sein Lächeln verschwand.

"Mir geht es gut, Leyla. Ja, ich habe nicht besonders gut auf mich aufgepasst in den letzten Monaten. Aber das ist nicht wichtig. Die Hauptsache ist, dass es dir gut geht", erwiderte er und senkte seinen Blick. Mir wurde klar, dass ich die Realität gesehen hatte. Ich nahm seine Hand in meine und streichelte sie. Mit glasigen Augen blickte er in die meine.
"Nein, Can. Warum gibst du dir selbst für all das die Schuld? Du hast mich nicht angefahren. Ich habe gespürt, dass du jeden Tag hier an meiner Seite warst. Ich habe dich bei mir gespürt. Für dich habe ich mit mir selber gekämpft und wollte erwachen. Bitte, gib dir nicht die Schuld dafür", sagte ich, doch er schwieg nur. Es schien so, als würde er etwas sagen wollen, was er jedoch nicht sagen konnte. Das sah ihm nicht ähnlich. Verheimlichte er etwa etwas vor mir?
Was lag ihm auf dem Herzen?

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt