Kapitel 8

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Wir fuhren endlich nach Hause. Als ich im Auto auf meine Eltern wartete, sah ich von weitem Can, der sich mit jemandem unterhielt. Es war aber nicht irgendjemand. Es war dieses Arschloch Deniz. Über was reden die beiden miteinander? Was haben die beiden miteinander zu tun? Sie sahen beide sehr wütend aus und stritten wohl miteinander. Was ist da los? Wütend blickte ich zu Deniz. Wie ich ihn hasste, ihn verabscheute. Am liebsten wäre ich jetzt dahin gegangen und hätte ihn geschlagen, wenn nicht sogar umgebracht. Er wird noch sehen. Ich werde mich an ihm rächen und ihn fertig machen. Ich war wieder kurz vor den Tränen, schluckte diese jedoch runter. Ich muss irgendwie stark bleiben. Zu Hause dann hatte ich mir erstmal gründlich den ganzen ekligen Dreck abgewaschen. Während ich unter der Dusche stand, schrie ich meinen ganzen Frust heraus und weinte. Ich stützte mich an der Wand an und war mit den Kräften am Ende. In den Spiegel schauen konnte ich nicht mehr. Ich ekelte mich vor mir selbst und stellte mir ständig die selben Fragen, auf die ich natürlich keine Antworten hatte. Warum muss ausgerechnet mir so etwas passieren? Habe ich das etwa verdient? Warum ich? Warum?!
Nach langem Schreien und Weinen ging ich schließlich ins Bett. Doch ich bekam die ganze Nacht kein Auge zu.

Ich muss es meinen Eltern erzählen. Sonst würde ich es für immer in mich rein fressen und es bereuen. Deswegen begab ich mich am nächsten Morgen mutig nach unten und beschloss es ihnen am Frühstückstisch zu sagen. Ich wollte es so gerne sagen, aber es ging nicht. Ich bekam kein einziges Wort heraus. Was ist da los? Ich seufzte traurig und blickte betrübt auf das Essen. Ich hatte überhaupt keinen Hunger, konnte einfach nichts essen.
"Ne oldu, Leyla? (Was ist los, Leyla?). Du siehst nicht gut aus", sagte meine Mutter besorgt. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, mir war schlecht, ich hatte Kopfschmerzen und war immer noch in einem Schockzustand.
"Iyi misin? (Geht es dir gut?)", fragte mich dann mein Vater und ich nickte nur stumm, blickte meine beiden Eltern jedoch nicht an. Ich schämte mich irgendwie.
"Ich habe keinen Hunger. Ich gehe auf mein Zimmer", sagte ich, stand auf und ging nach oben. Ich ließ sie einfach ohne ein Wort alleine.

Müde legte ich mich in mein Bett, schloss erschöpft meine Augen und wollte nur noch schlafen. Doch ich bekam eine Nachricht, weswegen ich meine Augen wieder öffnete und mein Handy genervt in die Hand nahm. Die Nachricht war von Can.
Was will er?
"Nasilsin? (Wie geht es dir?)", fragte er mich.
"Iyim (Mir geht es gut). Warum fragst du?", schrieb ich.
"Wegen deinen Kopfschmerzen und du sahst gestern nicht gut aus", antwortete er. Das ist irgendwie echt süß. Er macht sich Gedanken um mich. Ich musste ein wenig schmunzeln.
"Mir geht's gut, Can. Sen nasilisin? (Wie geht es dir?)", fragte ich ihn wiederum. Ich wollte nicht desinteressiert wirken. Plötzlich klingelte mein Handy. Er rief mich tatsächlich an. Überrascht ging ich ran.

"Hallo?", sagte ich etwas verwirrt.
"Was machst du so?", fragte er mich.
"Nichts. Ich liege im Bett und du?", fragte ich ihn nun.
"Ich auch", antwortete er.
"Warum hast du angerufen?", fragte ich ihn nun neugierig und er räusperte sich.
"Keine Ahnung. Mir war langweilig", meinte er und mir kam etwas in den Sinn. Soll ich es Can villeicht erzählen? Kann ich es ihm anvertrauen? Würde er mir weiter helfen? Nein. Unsinn. Ich bin ihm egal. Er ist ein Badboy, hat andere Probleme und ist herzlos. Ich bin ihm sowieso egal und außerdem würde es ihn bestimmt anwidern. Ich wäre für ihn nur noch Abschaum.
"Tamam, Can (Okay Can). Ich lege jetzt auf, weil ich schlafen will. Habe ganze Nacht nicht geschlafen", erklärte ich.
"Du warst die ganze Nacht wach?", fragte er etwas schockiert.
"Ja", antwortete ich nur ohne jegliche Emotionen in meiner Stimme.
"Tamam (Okay). Schlaf. Gute Nacht", sagte er und ich schmunzelte.
"Gute Nacht", sagte ich und legte auf. Er ist irgendwie voll süß. So besorgt und liebevoll.

Die nächsten Wochen dann war das so. Ich traute mich jeden Tag nicht, es meinen Eltern zu erzählen und wurde mit jedem Tag immer schwächer. Ich war mit den Kräften am Ende und wollte nur noch schlafen. Ich aß auch nicht, da ich einfach nichts runter bekam, weswegen ich etwas dünner wurde. Manchmal erlitt ich einen Nervenzusammenbruch und bekam eine Panikattacke, weil ich immer zu daran denken musste. Ich musste an diese furchtbare Vergewaltigung denken und hatte schon Angstzustände. Nichts war mehr so, wie es einmal war. Ich ging nicht mehr raus, blieb nur noch zu Hause. Ich meldete mich krank und mein Studium war in meinen Augen schon dahin. Mein ganzes Leben war dahin. Alles ist zerstört. Ruiniert. Ich bin zerstört, am Ende. Nur Can zaubert mir ein kleines Lächeln auf die Lippen. Er fragt mich jeden Abend, wie es mir geht und ruft mich an. Jeden Abend lüge ich ihn an und meine, dass es mir gut gehen würde. Er ist so aufmerksam, so fürsorglich, so süß. Als wäre er mein Freund. Das ging wochenlang so.

Dann an einem Abend, nach langen Überlegungen wollte ich es meinen Eltern schließlich erzählen. Ich begab mich nervös ins Wohnzimmer, wo sie sich befanden und setzte mich ihnen gegenüber. Ich schluckte und zitterte am ganzen Körper.
"Anne (Mutter), Baba (Vater)", sagte ich mit einer brüchigen Stimme und versuchte nicht zu weinen.
"Ne oldu, kizim? (Was ist los, meine Tochter?)", fragte mich meine Mutter besorgt. Ich musste mich überwinden.
"Ich-Ich muss euch etwas sagen. Aber-Aber werdet b-bitte nicht-nicht laut", stotterte ich nervös und sie wurden aufmerksam.
"Söyle, Leyla (Sag es, Leyla)", sagte mein Vater und ich sammelte meinen ganzen Mut zusammen.
"Ich-Ich wurde am Tag der Hochzeit ver-vergewaltigt", sprach ich nun endlich aus und danach war Stille. Meine Eltern waren mehr als geschockt und weiteten ihre Augen.
"N-Ne?! (W-Was?!)", fragte mein Vater empört und in einem lauten Ton.

"Es- Es tut mir so leid. Ich habe versucht mich zu wehren, aber dann wurde ich bewusstlos und dann ist-ist es passiert", erklärte ich und mir kamen die Tränen.Wer es war, erzählte ich ihnen nicht. Ich konnte es einfach nicht.
"Allahim (Mein Gott). Kizim, öyle bişe nasil ola bilir?! (Meine Tochter, wie kann sowas sein?!). Kim sana bunu yapdi?! (Wer hat dir das angetan?!)", fragte meine Mutter mich ungläubig und hatte Tränen in den Augen.
"Bilmiyorum, Anne (Ich weiß es nicht, Mutter). Gercekten bilmiyorum (Ich weiß es wirklich nicht)", sagte ich unter Tränen. Ich weiß bis heute nicht nicht, weshalb ich Deniz Namen damals nicht ausgesprochen hatte. Es kam einfach nicht über meine Lippen.
"Das ist eine Schande. Leyla, sen daha 17 yaşindasin (Leyla, du bist erst 17 Jahre alt). Evli değilsin (Du bist nicht verheiratet). Öyle olmaz (So geht das nicht). Was werden die anderen denken und sagen? Sie werden sagen, dass meine Tochter vor ihrer Ehe entjungfert wurde. Nein, das kann ich nicht zulassen. Sen evlenmek zorundasin (Du musst heiraten)", sagte mein Vater plötzlich, stand auf und ich blickte ihn geschockt an. Heiraten?
Aber ich bin doch erst 17 Jahre alt.

"Baba (Vater). Lütfen bana bunu yapma (Bitte tu mir das nicht an). Evlenemem (Ich kann nicht heiraten). Ich bin noch viel zu jung und habe noch mein Studium", erklärte ich ihm und flehte ihn an, während ich zu ihm auf blickte.
"Dein Studium kannst du vergessen. Ich weiß schon, wen du heiraten wirst. Evleneceksin (Du wirst heiraten)", sagte er streng und ich weinte. Ich will nicht heiraten. Noch nicht. Nicht jetzt. Ich bin viel zu jung und habe doch noch viel vor mir.
"Ahmet. Bunu yapmak zorunda misin? (Musst du das tun?). Kiz daha 17 yaşinda (Das Mädchen ist erst 17 Jahre alt)", versuchte meine Mutter, meinen Vater zu beruhigen und stand ebenso auf. Doch er war zu hartnäckig.
"Evet, zorundayim (Ja, Ich muss es tun). Es ist nicht, um sie zu bestrafen, Özlem. Es ist, damit die anderen nicht schlecht über unsere Familie reden und kein Mann wird sie sowieso mehr wollen", meinte er und das verletzte mich irgendwie.

Es klang, als wäre ich schmutzig und nichts Wert. Als wäre ich Dreck, obwohl ich keine Schuld trage. Ich kann doch nichts dafür. Beschämt schaute ich auf den Boden und schluchzte. Die Worte meines Vaters waren hart und trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht.
"Sag so etwas nicht. Sie ist unsere Tochter. Onu untuma (Vergiss das nicht). Kimlen evlenderinceksin ki? (Mit wem willst du sie überhaupt verheiraten?)", fragte meine Mutter ihn dann. Das wüsste ich auch gerne. Ich fand es rührend, dass meine Mutter zu mir hielt und mich in Schutz nahm.
"Mit Cemals Sohn. Can", sagte mein Vater dann, ging und mein Herz schien für eine Sekunde stehen zu bleiben. Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. Ich war sprachlos, geschockt, verzweifelt. Mein Vater konnte das doch niemals ernst meinen. Entweder habe ich mich verhört oder das ist ein Albtraum. Oder es ist die bittere Realität. Ist das sein Ernst? Ich soll allen ernstes Can heiraten? Can?!
Can Yalçin?!

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt