Kapitel 48

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Die ganze Fahrt über weinte Leyla und ich versuchte meine Tränen zurückzuhalten. Dadurch, dass es glücklicherweise nicht so viel Verkehr gab, kamen wir auch rechtzeitig an. Am Empfang fragten wir sofort nach, wo sich Leylas Bruder befand. Wir erfuhren, dass er im OP ist und unsere Familie schon da wäre. Eilig begaben wir uns zu ihnen. Leylas Eltern saßen und beteten traurig, während Azra und Nihat versuchten, Cems Frau und die Kinder zu beruhigen sowie zu trösten.
"Anne (Mama), Baba (Papa)", sprach Leyla traurig und alle blickten auf, zu uns. Azra kam auf uns zu und ich übergab ihr Cansu, damit sie sich um sie kümmerte, während wir mit Leylas Eltern sprachen.

"Kižim (Meine Tochter), Oğlum (Mein Sohn). Cem wird gerade operiert. Er wurde von jemandem angeschossen. Sie konnten aber nicht sehen, wer es war. Cems Leben ist jetzt in Gefahr", schluchzte Leylas Vater. Leyla hielt sich ihre Hände vor ihr Gesicht und weinte. Ich nahm Leyla in den Arm und weinte ebenfalls. Ich erinnerte mich wieder an Cansus Tod. Als sie angeschossen wurde und ins Krankenhaus kam, war es genauso gewesen. Ich erinnere mich noch ganz genau an den Moment, an dem die Ärzte uns sagten, dass sie gestorben sei. Dieser Moment, als alles in mir zerbrach. Als alle Hoffnung erlosch. Als alles zu einem Alptraum wurde. Innerlich betete ich, dass Cem es überleben würde. Leyla durfte nicht das selbe wie ich durchmachen. Es würde sie zerstören. Sie würde daran zerbrechen. Mit jedem Tag immer mehr. Stück für Stück. Alle hier hofften und beteten und hofften und beteten. Viele unerträgliche Stunde vergingen. Dann irgendwann kam endlich der Arzt zu uns. Sofort standen wir alle auf und blickten ihn hoffnungsvoll an. Er seufzte und wirkte ratlos. Nein. Bitte lass das nicht wahr sein, dachte ich mir ängstlich.

"Es tut mir wirklich sehr leid. Wir haben alles erdenkliche versucht, was in unserer Macht steht. Wir konnten ihn leider nicht retten. Ihr Sohn ist tot", sagte er und zuerst herrschte absolute Stille. Keiner konnte das so richtig glauben und einordnen. Ich blickte Leyla an, die wie erstarrt da stand. Nur ihre Tränen flossen. Doch schon ein paar Sekunden später fiel sie um und sofort half ich ihr. Sie war ohnmächtig geworden.
"Leyla", schrien alle panisch nach ihr, doch sie hatte ihre Augen geschlossen. Sofort wurde sie in ein Zimmer verlegt, damit sie wieder zu sich kommen konnte. Ich blieb bei ihr ,während die anderen versuchten, die schreckliche Warheit zu verkraften. Doch es fiel allen schwer. Keiner wollte die Warheit glauben. Auch ich wollte und konnte es einfach nicht fassen. Cem war tot. Mein Schwager war tot. Leylas Bruder war tot. Ich blickte in ihr schlafendes Gesicht, während ich mir tausende von Fragen stellte.

Wie sollte sie das bloß verkraften? Wie sollte sie das durchstehen? Ich konnte ihr Cem nicht zurückbringen und mich rächen konnte ich auch nicht, da ich nicht wusste, wer ihn getötet hatte. Wer war es? Welches Arschloch hatte ihm das angetan? Wer würde so etwas Krankes bloß tun? Ach, Leyla. Sie durfte nicht wie ich damals zerbrechen.Doch auch egal, wie sehr ich versuchen würde, sie zu trösten. Sie würde immer mit diesem Schmerz leben. Es ist einfach ein unvergesslicher und gleichzeitig qualvoller Schmerz. Er hält ein Leben lang an. Ich nahm ihre kalte Hand in meine und streichelte sie. Eine Träne kullerte über ihre Wange, die ich mit meinem Finger sofort weg wischte und danach ihre Wange streichelte. Was soll ich bloß tun?, fragte ich mich ratlos.

Leyla POV

Es ist dunkel. Dunkel und still. Ich habe fürchterliche Angst, da ich alleine bin. Niemand ist hier, außer ich. Ich öffne eine große Tür und sehe sofort ein schreckliches Szenario vor mir. Mein Bruder liegt mit einer Schusswunde auf dem kalten Boden und sein Mörder ist auf der Flucht. Ohne zu zögern folge ich diesem Mistkerl. Egal wie weit ich gehen müsste, ich würde mich rächen. Koste es, was es wolle. Tatsächlich hole ich ihn ein. Völlig aus der Puste, ziehe ich eine Waffe, die sich in meiner Jackentasche befindet, hervor und ziele auf ihn. Langsam dreht er sich um. Er trägt unglücklicherweise eine Maske, wodurch ich sein Gesicht nicht erkennen kann.
Wer ist er?
Ich forder ihn auf, seine Maske abzunehmen, doch er lacht nur hämisch und zielt plötzlich ebenso mit einer Waffe auf mich.Wie erstarrt stehe ich nur da und zittere am ganzen Körper. Wer ist er? Nein. Es darf noch nicht vorbei sein. Ich muss mich doch an ihm rächen. Dieses Arschloch hat meinen Bruder auf dem Gewissen. Nein. NEIN!

Sofort schreckte ich hoch und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Ich sah mich etwas ängstlich um. Wieso befand ich mich im Krankenhaus? Nach einigen Minuten fiel es mir dann wieder ein und sofort kamen mir wieder die Tränen. Mein Bruder wurde ermordet. Warum nur? Warum er? Er war doch noch so jung. Er hatte doch eine kleine Tochter und eine Frau, um die er sich kümmern musste. Warum nur musste er so unglaublich früh von uns gehen? Warum musste das Leben die guten Menschen bestrafen? Ich wischte mir meine Tränen weg und hatte nur noch eines im Kopf. Rache. Wer hatte ihn getötet? Welcher Mistkerl war es?
Wer hatte meinen Bruder umgebracht?

Wütend nahm ich das Glas Wasser und trank daraus. Dann starrte ich nachdenklich in die Leere. Ich werde mich rächen. Mein Bruder hat das nicht verdient. Ich hätte an seiner Stelle sterben sollen. Er hat das Leben verdient. Sein Mörder hat den Tod verdient. Ja. Er wird sterben. Dieser Mistkerl. Egal wie, ich werde ihn finden und töten. Niemand hat das Recht, meine Familie anzugreifen. Niemand hat das Recht, ihnen zu schaden. Absolut niemand, dachte ich mir fest entschlossen. Ohne es zu bemerken, schmiss ich das Glas einfach auf den Boden. Ich konnte es nicht kontrollieren. Es passierte einfach so.
"Leyla?", hörte ich dann jemanden in einem schockierten Ton sagen.
"Was?", sagte ich nur abwesend und kalt.
"Was soll das? Geht es dir gut?", fragte Can mich. Ja, es war Can. Er blickte fassungslos auf den Boden mit den Scherben und dann wieder zu mir. Ich blickte ihn an und lächelte leicht, mit Tränen in den Augen. Dann schüttelte ich langsam meinen Kopf.
"Nein, Can. Mir geht es überhaupt nicht gut", sprach ich traurig und sofort nahm er mich in den Arm.
"Alles wird gut. Ich bin hier, Leyla. Ich bin bei dir. Mach dir keine Sorgen", sagte er und ich klammerte mich fest an ihn. Doch trotz allem wollte ich es unbedingt wissen. Ich war fest dazu entschlossen, den Mörder meines Bruders zu finden. Wer auch immer ihn getötet hatte, würde dafür bezahlen. Koste es, was es wolle.

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt