Kapitel 79

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Irgendwann dann stehen wir vor dieser Tür. Der Bodyguard öffnet sie und vor mir sehe ich einen großen Raum, der einem Wohnzimmer und einem Büro gleichzeitig ähnelt. Zwei schwarze Ledersessel, ein dunkelbrauner Schreibtisch und dahinter ein dunkelbrauner Sessel. Vor dem riesigen Fenster, welches den Raum lebendig wirken lässt, steht er und blickt auf die Stadt, die sich vor ihm erstreckt. Dadurch, dass sich dieses Haus weiter oben, auf einem Hügel befindet, kann man die ganze Stadt durch dieses Fenster betrachten. Er kann die Menschen sehen, doch sie können ihn nicht sehen. Merts Bodyguard, der mich hierher geführt hat, verlässt den Raum und schließt dabei die Tür hinter sich. Stille. Nichts als Stille. Bis er spricht.
"Man sagt, dass die Welt sehr klein ist und man dadurch den Menschen wieder begegnet, von denen man es nicht gedacht hätte", sagt er. Da hat er Recht. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass ich Mert jemals wiedersehen würde? Ich hatte eine Vorahnung, hätte jedoch niemals gedacht, ihn tatsächlich wieder zu treffen. Nun stehe ich hier. Er dreht sich zu mir und geht ein paar Schritte auf mich zu. Verändert hat er sich nicht. Nur ein paar Kratzer, die sein Gesicht zieren, die er wohl von einigen Kämpfen abbekommen hat. Auf seinen Lippen ist ein leichtes Lächeln zu erkennen. Das Lächeln, welches ich so sehr verabscheue. Es ähnelt dem eines Teufels.
"Sieh an. Damals war ich es, der dich gesucht hat. Und nun bist du es, der nach mir sucht. Was willst du, Can?", fragt er mich nun ernst. Ohne zu zögern komme ich direkt zum Punkt.
"Die Frage ist, was du willst. Warum hast du das getan? Wann wirst du endlich damit aufhören und mich in Frieden lassen?", frage ich ihn. Er denkt kurz nach, lächelt aber dann wieder.
"Ah, du meinst das Video", sagt er und lacht kurz auf, als wäre das nur eine Art Scherz von ihm gewesen. Ein sehr schlechter Scherz.
"Was soll ich sagen? Ich habe doch gesagt, dass ich nicht aufgeben werde, bis du endgültig auf dem Boden liegst. Meine Rache ist noch nicht vollendet", erklärt er, während er sich ein Glas Whisky einschenkt. Macht er sich darüber lustig? Interessiert es ihn nicht? Er hält mir das Glas hin, will mich wohl damit fragen, ob ich auch trinken wolle. Denkt er ernsthaft, dass ich hier bin, um mit ihm gemeinsam einen zu trinken?
"Ich trinke nicht", sage ich kalt, woraufhin er das Glas wieder absetzt und an seinem vollen Glas nippt.

"Warum genau musst du diese Rache unbedingt bis zum Ende durchziehen?", frage ich ihn nun, woraufhin er sein Glas absetzt und mich wieder ernst anblickt. Er ändert seine Emotionen wirklich schnell. Gerade noch hat er so hämisch gelacht.
"Ich sage es immer und immer wieder. Das, was du meiner kleinen Schwester angetan hast, ist unverzeihlich. Deswegen muss ich dich vernichten. Ezra hat das alles nicht verdient", antwortet er. Den Schmerz sehe ich ihm an. Er vermisst sie sehr.
"Wann wirst du einsehen, dass ich nicht Schuld an ihrem Tod bin? Wie oft muss ich es dir noch sagen? Das Kind war nicht von mir. Ich habe nie mit Ezra geschlafen und habe sie nicht ohne Grund verlassen. Sie hat einen anderen kennengelernt, mit dem sie mich betrogen hat. Das Kind war von ihm", erkläre ich ihm, woraufhin er sein Glas wütend auf den Boden wirft. Es zerbricht in mehrere Teile. Hat er den Verstand verloren?
"Alles Lüge! Du stellst sie in ein schlechtes Licht, obwohl du für all das verantwortlich bist! Deinetwegen hat sie sich das Leben genommen. Nur deinetwegen", schreit er. Nein, tatsächlich war es nicht meinetwegen gewesen. Sie hatte sich sogar noch mit mir getroffen, da sie es mir sagen wollte. Sie hatte mir erzählt, dass sie sich in einen anderen verliebt hatte und wir beide deswegen miteinander Schluss machen sollten. Ich hatte es akzeptiert, da ich nur ihr Glück wollte. Die Beziehung ging nicht lange. Es war auch keine richtige Beziehung gewesen. Es war nur eine Art Zuneigung, die zwei Menschen füreinander empfanden, es aber nie richtig versucht hatten, eine Beziehung miteinander einzugehen. Ich war nie mit Ezra zusammen gewesen.
"Hör mir nur einmal zu, Mert", sage ich dann in einem lauten Ton. Er atmet tief ein und hört mir dann tatsächlich zu.

"Ich war nie mit Ezra zusammen. Wir beide fühlten uns nur zueinander hingezogen, hatten aber nie eine richtige Beziehung miteinander. An einem Tag haben wir uns getroffen und sie hat mir erzählt, dass sie sich in einen anderen verliebt hat. Sie wollte das ganze mit mir beenden. Deswegen hatte ich dann auch keinen Kontakt mehr zu ihr. Ich weiß nicht, wer der andere Kerl war. Aber ich bin mir sicher, dass er das Ezra angetan hat. Ich schwöre es dir, Mert. Nicht einmal habe ich daran gedacht, deiner kleinen Schwester etwas anzutun. Warum auch? Sie war wie eine kleine Schwester für mich. Ich war nicht einmal richtig in sie verliebt. Meine erste und letzte Liebe ist Leyla. Das weißt du ganz genau. Glaub mir, hätte ich den Bastard damals gefunden, hätte ich gewusst, was er Ezra angetan hatte, hätte ich ihn fertig gemacht", erkläre ich ihm, woraufhin er seinen Blick senkt und seine Augen schließt. Das ist die Wahrheit. Meine kleine Schwester musste umsonst sterben. Mert hat umsonst solch einen Hass gegen mich entwickelt. Es hätte alles anders kommen können.
"Lass mich alleine, Can", sagt er nur emotionslos, nachdem er mir den Rücken zukehrt und wieder die Stadt betrachtet. Ich weiß nicht, ob er mir glaubt. Doch was soll ich sonst sagen? Schließlich ist das die Warheit. Ich drehe mich um.
"Ezra und Cansu hätten nicht gewollt, dass wir uns so verändern", spreche ich noch aus und lasse ihn schließlich alleine. Mit der Hoffnung, dass er endlich zur Vernunft kommen würde.

Mert POV

In dem Moment, in dem er die Tür schließt und somit geht, wiederholt sich dieser Satz immer und immer wieder in mir.
,,Ezra und Cansu hätten nicht gewollt, dass wir uns so verändern.''
Unsere kleinen Schwestern, die beide tot sind. Wegen dieser Feindschaft. Was wäre wohl passiert, hätte es diesen Vorfall niemals gegeben? Hat Can wohlmöglich gerade die Wahrheit erzählt? Ezra hatte damals nie etwas von ihm erwähnt. Nur, dass sie Can attraktiv und süß fand. Doch nie hatte sie wirklich von ihm gesprochen. Aber von dem anderen Typen, in den sie sich angeblich verliebt hatte, hatte sie auch nie gesprochen. Ich wusste nicht einmal, dass er existierte. Hat Can mich angelogen? So vieles spricht dagegen. Doch einiges auch dafür. Ich bin verwirrt und auch ratlos. So ratlos, dass ich nicht einmal darüber nachdenke, wie er mich gefunden hat. Was soll ich bloß tun?

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt