Kapitel 82

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Seine Worte wiederholen sich ständig in mir. Bevor er gegangen ist, hatte er mir ein Versprechen gegeben. Und ich habe ihm ebenfalls eins gegeben.

2 Stunden zuvor

Die Stimme der Polizisten dringt durch das gesamte Haus und ich weiß sofort, was los ist. Eilig begebe ich mich nach unten und sehe, dass mein Alptraum tatsächlich wahr geworden ist. Nein. Lass das bitte nicht wahr sein. Can blickt für einen Augenblick zu mir.
"C-Can?", spreche ich nervös und leise, während mein Herz mir bis zum Hals schlägt. Als er sich wieder zu den Polizisten dreht, flüstert er kurz etwas zu ihnen, was ich auch höre.
"Geben Sie mir ein paar Minuten. Ich muss mit ihr reden", bittet er die beiden. Sie blicken mich beide mitleidig an. Es kommt mir so vor, als wüssten sie etwas von mir, weswegen sie wohl auch einverstanden sind und diese Ausnahme machen. Sie gewähren uns diese paar Minuten. Ein paar Minuten. Nach diesen Minuten würde mein Mann festgenommen werden. Ich versuche meine Tränen krampfhaft zurückzuhalten, will meinen erniedrigenden Schmerz verstecken. Die Polizisten blicken wieder mich an. In ihren Augen sehe ich wieder diese Mischung aus Reue, Verständnis und auch Mitleid. Aber warum? Die beiden blicken wieder Can an.K
"Fünf Minuten", sagt der eine Polizist und die beiden gehen raus, während Can mir immer noch den Rücken zugekehrt hat. Erst als sie draußen sind, dreht er sich zu mir. Er scheint hoffnungslos und auch verzweifelt. Ja, ohne Zweifel. Das hier ist kein Alptraum. Es ist die bittere Realität und die schmerzhafte Erkenntnis, dass ich diesen Mann, für den ich alles geben würde, nach diesen fünf Minuten nicht mehr an meiner Seite haben werde. Er, mein Leben, der langsam auf mich zukommt.
"C-Can. Bitte, sag mir, dass-dass das wieder nur ein Albtraum ist. B-Bitte, sag mir, dass du mich jetzt nicht v-verlassen wirst", flehe ich ihn an, ziehe ihn an seinem Oberteil und muss gegen meine Tränen ankämpfen, da ich die Antwort schon weiß. Während ich spreche, stottere ich, da mir diese Worte so unglaublich schwer fallen. Er legt seine großen Hände auf meine Wangen und lächelt vertraut. Seine Hände wärmen mein Gesicht. Die Berührung macht alles irgendwie schlimmer, gleichzeitig aber auch besser.

"Hey", sagt er sanft, woraufhin mir tatsächlich die Tränen kommen. Ich senke meinen Blick und weine im Stillen. Seine Stimme werde ich am meisten vermissen. Das weiß ich jetzt schon. Die Stimme, die mich nächtelang aus diesen schrecklichen Alpträumen gerettet hatte. Nicht nur die Stimme allein. Ich werde den Mann vermissen, der mich zu seiner Frau genommen hatte, obwohl er mich nicht richtig kannte.
"Sieh mich an, Leyla", sagt er dann und ich kann nicht anders, als in diese schönen Augen, die mir Kraft geben, zu blicken. Ich bekomme nicht genug von ihnen. Behutsam wischt er mir meine Tränen weg.
"Ich gebe dir ein Versprechen. Ich verspreche dir, dass wir beide nicht getrennt sein werden. Ich verspreche dir, dass wir beide gemeinsam alt werden. Das ist nicht unser Ende, Leyla", sagt er. Dies ist sein Versprechen. Wir beide werden trotz allem eine Zukunft miteinander haben. Das will er mir damit sagen.
"Aber du musst mir dafür auch etwas Versprechen", sagt er dann und ich höre ihm nur schweigend zu. Er lehnt seine Stirn an meine, während ich sein Oberteil fester halte und er meine Hände, die sich an seinem Oberteil befinden. Ich schließe meine Augen, versuche nicht den Verstand zu verlieren.

"Zerbrich nicht", spricht er, woraufhin ich meine Augen wieder öffne.
"Denn wenn du zerbrichst, zerbreche ich ebenfalls", fügt er noch mit Tränen in den Augen hinzu und mein Herz scheint gleichzeitig zu zerbrechen sowie zu heilen. Er spricht weiter, ich höre ihm nur wie gebannt zu, während seine glasigen Augen mir nur noch mehr wehtun. Ich kann es nicht ertragen, ihn so zu sehen.
"Versprich mir, dass du auf dich acht gibst und dich nicht selbst verletzt. Versprich mir, dass du dir niemals Vorwürfe machst und nicht weinst. Versprich mir, dass du gesund bleibst und du, auch wenn es nur meinetwegen sein sollte, nicht verletzt sein wirst. Und versprich mir, dass du stark bleiben und weiterleben wirst. Für dich, für Cansu und für mich. Versprochen?", fragt er mich dann, doch ich habe noch eine Frage, bevor ich ihm dieses Versprechen geben würde. Mein Herz will es ihm irgendwie nicht versprechen, da es für mich so geklungen hat, als wäre das hier endgültig das Ende. Ich will es einfach wissen.
"Wirst du wieder zurückkommen oder werden wir für immer getrennt sein? Ist das der Moment, in dem du mich für immer verlässt?", frage ich ihn ängstlich, woraufhin er seufzt, sich langsam vom mir entfernt und seine Tränen wegwischt. Er versucht stark zu bleiben.
"Ich werde alles daran setzen, um zurückzukommen. Für dich werde ich alles tun, was ich tun muss. Ich habe dir versprochen, dass ich dich immer beschützen und bei dir bleiben werde. Ich liebe dich, Leyla"
Und das war sein letzter Satz gewesen. Diese Worte, die mein Herz abermals getroffen haben.
"Ich liebe dich auch, Can", erwidere ich und mit einem Lächeln lässt er dann meine Hand los. Er geht. Meine Welt scheint wie zerbrochen. Genau wie damals, als wir getrennte Wege gegangen waren. Es ist hart, doch wir haben uns gegenseitig ein Versprechen gegeben, welches uns weiterhin verbindet und mir Kraft gibt. Dieser Moment, als er meine Hand losgelassen hat, ist der Moment des brennenden Schmerzens, der sich in mir ausgebreitet hatte. Doch wir beide haben zu diesem Zeitpunkt noch nicht geahnt, was noch auf uns zukommen würde. Oder eher gesagt, was ich noch tun würde.

Can POV

Meine Gedanken sind ständig bei Leyla. Ich mache mir schreckliche Sorgen um sie und auch Vorwürfe. Denn um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wie lange wir getrennt sein würden. Ich weiß nicht, ob wir für immer getrennt sein werden. Ich weiß nicht, ob wir jemals wieder zusammenleben können. Ich weiß nicht, ob ich sie jemals wieder in meine Arme schließen und sie beschützen kann. Ich weiß überhaupt nichts und hasse mich selbst dafür.
"Tut mir leid. Ich weiß, wie hart es für Sie ist, sie alleine zu lassen. Aber wir müssen uns nach dem Gesetz halten", sagt der Kommissar, als er mich verhört. Ich schweige nur, starre auf den Tisch und versuche meine Tränen zurückzuhalten. Der Schmerz in meinem Handgelenken, der durch die Handschellen entstanden ist, ist in diesem Moment auch nicht mehr relevant.

Meine Gedanken drehen sich nur noch um Leyla. Leyla. Meine Frau. Meine Liebe. Mein Leben. Sie ist so zerbrechlich. So jung. So einsam. Wie soll sie das bloß aushalten? Wie soll sie das verkraften? Was wenn sie sich verletzt? Was wenn sie sich etwas antut? Was wenn sie ihrem Leben ein Ende setzt? Nein. Das darf nicht geschehen. Ihr darf nichts passieren. Ich verdecke mit meinen Händen mein Gesicht und spüre, wie mir die Tränen kommen. Es tut mir so sehr weh alleine schon daran zu denken, was mit ihr alles geschehen könnte. Ich weiß, dass sie diese Trennung nicht akzeptieren und verkraften wird. Bis zu meinem ersten Gerichtstermin rief ich sie tagtäglich an und ich versicherte ihr, dass alles wieder gut werden würde. Dabei sah die Realität anders aus. Schließlich habe ich keine Beweise. Ich bin in ihren Augen der Schuldige. Was konnte ich also sonst tun, als zu warten und zu hoffen, dass alles wieder gut werden würde?

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt