Kapitel 35

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Es ist Mert. Mert Arslan! Ich schluckte und hielt mich am Geländer fest, um nicht umzukippen. All die schrecklichen Vorfälle, die mit ihm zusammen hängen, kamen in diesem Moment alle wieder hoch und mir wurde augenblicklich übel.
"Was willst du, Mert? Warum rufst du an?Woher hast du meine Nummer?", fragte ich ihn ängstlich.
"Fragen über Fragen. Aber die Antworten, meine Liebe, wirst du erst später erfahren. Wir drei sind noch lange nicht fertig miteinander. Du, ich und dein Ehemann", meinte er ernst und legte dann auf. Was sollte das bedeuten? Es war noch nicht vorbei? Mert war zurück? Mein Herz schlug wie verrückt und Tränen schossen in meine Augen. Das hieß dann, dass Can wieder in Gefahr war und Mert uns bald angreifen würde, dachte ich mir. Ich bekam Panik. Was sollten wir nur tun? Was konnten wir tun? Can hatte sein Gangsterleben schließlich aufgegeben. Das Kämpfen. Er hatte somit auch das Kämpfen aufgegeben. Er war zu schwach und ich ebenso. Beruhig dich Leyla!

Can ist nicht schwach. Er ist dein Ehemann und du wirst ihm beistehen. Komme, was wolle! Wenn er kämpfen muss, wird er kämpfen. Er ist Can Yalçin. Er ist ein mutiger, starker Kämpfer, dachte ich mir und glaubte fest an meinen Ehemann. Mert und er sind immer Feinde gewesen. Doch den Grund wusste ich nie und es fing an mich nun zu interessieren, weshalb die beiden sich so hassten. Can hatte es mir nämlich nie erzählt.
War seine Vergangenheit mit Mert so schrecklich? Hasste er Mert so sehr? Was hatte Mert so schlimmes getan? Was hatte Can so schlimmes getan? War etwas so unfassbar schreckliches vorgefallen, dass die beiden den jeweils anderen am liebsten umbringen würden? Musste Deniz deswegen sterben? Wegen einer Feindschaft? Was könnte so schlimmes vorgefallen sein, dass zwei Menschen sich jahrelang so sehr hassen? Ich hatte so viele Fragen. Doch laut Mert würde ich diese noch erfahren. Nachdem ich mir noch etwas den Nachthimmel angesehen hatte und mir die ganze Zeit diese Fragen gestellt hatte, begab ich mich ins Badezimmer und wischte mir meine Tränen weg. Diese Übelkeit ging einfach nicht weg und es kam soweit, dass ich mich wieder übergab. Was war los mit mir?

Ich wusch mir mein Gesicht am Waschbecken, blickte mich lange im Spiegel an. Ich war ziemlich blass und unter meinen Augen waren Augenringe zu erkennen. Meine Lippen waren etwas trocken und ich wirkte etwas müde. Doch meine Augen funkelten, sie wirkten so lebendig. Cans Liebe hatte mich wieder zum Leben erweckt. So kam es mir vor. Ich hatte lange nicht mehr so einen Ausdruck in meinen einst so leer wirkenden Augen gesehen. Plötzlich sah ich im Spiegel, wie Can mich von hinten umarmte und seinen Kopf auf meine Schulter legte. Seine starken Arme umklammerten meinen Körper und er schloss seine Augen. Hatte ich ihn geweckt? Seine Locken waren verwuschelt und er sah auch ziemlich müde aus. Ich lächelte verlegen, senkte meinen Blick und legte meine Hände auf die seine, die sich auf meinem Bauch befanden. Ich blickte wieder überglücklich in den Spiegel und legte meinen Kopf etwas schief. Er war viel größer als ich und natürlich auch breiter. Doch irgendwie passten wir, wie füreinander geschaffen, zueinander. Es war in meinen Augen einfach die perfekte Größe. Das perfekte Paar. Ich hatte mir immer so einen Mann gewünscht. Ein großer, starker, liebevoller und mich beschützender Mann. Mit einem Herz aus Gold und einem unersetzbaren Charakter.

Mein Traum ist wahr geworden und meine Wünsche sind in Erfüllung gegangen. Mit einem mal vergaß ich den Anruf von Mert und die Fragen, die in meinem Kopf schwirrten von vorhin, denn ich hatte nur noch Augen für Can.
"Habe ich dich geweckt?", fragte ich ihn verlegen, woraufhin er seine Augen öffnete und mich zu sich drehte.
"Was ist los? Warum übergibst du dich? Bist du krank?", fragte er mich besorgt und auffordernd. Ich seufzte. Er hatte es also doch erfahren.
"Ich weiß es nicht. Ich will aber auch nicht darüber nachdenken. Ich bin ziemlich erschöpft. Lass uns einfach weiter schlafen", erwiderte ich nur und begab mich wieder ins Bett. Dann kam mir automatisch wieder der Anruf von Mert in den Sinn. Can legte sich neben mich und wir blickten uns gegenseitig still an. Doch ich fand einfach keine Ruhe. Ich wollte nicht, dass er sich wieder in Gefahr begibt und ein Krimineller wird. Ich wollte nicht, dass ihm etwas zustößt oder das er überhaupt verletzt wird. Er war zu jung und besaß ein viel zu gutes Herz, um wieder ein Gangster zu sein. Außerdem liebte ich ihn viel zu sehr. Ich würde die gleichen Ereignisse nicht noch einmal ertragen können. Ich hatte Angst vor ihnen. Deswegen wollte ich ihn fragen, ob es jemals wieder zu so etwas kommen könnte. Wir setzten uns auf und ich überlegte, wie ich ihn das fragen könnte.

"Ich muss dich etwas Wichtiges fragen", fing ich an.
"Frag", sagte er, strich mir eine Strähne hinter mein Ohr und hörte mir aufmerksam zu. Er blickte mich wie jedes Mal so an, als wäre ich das Schönste auf dieser Welt. Ich blickte ihm in seine unschuldigen, braunen Augen und stellte dann schließlich meine Frage. Es fiel mir jedoch sehr schwer, ihn das zu fragen.
"Würdest du irgendwann...Also könntest du dir vorstellen....Was ich meine, wenn es notwendig wäre, würdest du jemals wieder zurückkehren?", fragte ich ihn stotternd und er hatte das wohl nicht erwartet. Sein Blick wirkte jedenfalls ziemlich überrascht, doch er verstand genau, was ich wissen wollte.
"Warum fragst du mich das?", fragte er mich nun wiederum. Ich seufzte.
"Es interessiert mich einfach. Sag mir bitte die Warheit, Can. Kann es passieren, dass du irgendwann wieder zu einem Gangster wirst?Wirst du jemals wieder kämpfen?", fragte ich ihn abermals und sein Blick wirkte etwas niedergeschlagen.

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Leyla. Ich kann die Zukunft nicht voraussagen. Das kann nur Gott alleine. Ob ich jemals wieder kriminell werde, weiß ich nicht. Alles ist aber möglich. Aber mach dir keine Sorgen. Ich werde dich, wenn es dazu kommen sollte, mit allem was ich habe beschützen", erklärte er mit einem sanften Lächeln und streichelte meine Wange. Ich musste automatisch auch lächeln und nickte nur leicht. Cans Worte und er beruhigten mich und ließen all die negativen Gedanken wieder verschwinden. Ich war froh darüber, dass er sich keine Sorgen machte und einfach zufrieden war. Denn das gab mir schließlich ein gutes Gefühl und machte mich glücklich.

Can POV

Als Leyla nach einiger Zeit in meinen Armen einschlief, blieb ich noch etwas wach und dachte nach. Ich hatte vorhin ein wenig gelogen. Schließlich wusste ich, dass ich bald wieder kriminell sein und zu meinem Gangsterleben zurückkehren würde. Ich wollte sie nicht beunruhigen. Es gab einige Dinge, von denen sie nicht wusste. Der Anruf von Aleyna, der Mord an Deniz und das ich manchmal Nachrichten, sowie Anrufe von Mert bekommen hatte. Ja, er war wieder zurückgekehrt und wartete nur darauf, dass auch ich wieder zurückkehren würde. Er drohte mir oft und ich ahnte schon, dass es bald wieder anfangen würde. Wir beide waren noch lange nicht fertig miteinander. Aber was war mit Leyla? Weshalb hatte sie mich das gefragt? Hatte Mert auch sie kontaktiert?

Ich wusste, dass Leyla wieder in Gefahr sein und es wieder gefährlich für sie werden könnte. Ich musste sie beschützen und hoffte inständig, dass ich die Kraft dazu noch hatte. Die Kraft, die ich zum kämpfen benötigte. Die Kraft, die ich damals durch den Tod meiner Schwester bekommen hatte. Die Kraft, mit der ich es jahrelang schaffte, zu alldem fähig zu sein. Diese Kraft brauchte ich, um zu kämpfen und mich durchzusetzen. Ich brauchte sie, um erneut zu beweisen, dass ich stark und unberechenbar war. Auch wenn ich es eigentlich nicht wollte, musste es geschehen. Es muss irgendwann tatsächlich geschehen, dass Can Yalçin wieder zurückkehrt und gegen jeden seiner Feinde kämpft. Das war schließlich mein wahrer Name, der mich mein ganzes Leben begleitete und mir Respekt auf den Straßen eingebracht hatte. Der Name, den jeder hier kannte und fürchtete. Der Name, den jeder hier respektierte und bewunderte.
Can Yalçin.

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt