Kapitel 12

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Am liebsten hätte ich ihn von ihr weg gezerrt. Schließlich würden wir in ein paar Tagen schon heiraten. Er hatte nicht das Recht sich so vertraut mit anderen Mädchen zu unterhalten und sich mit ihnen treffen. Das machte mich in diesem Moment zugegeben ziemlich wütend. Weshalb auch immer. Ich stieg seufzend ein und zu Hause begann erst einmal ein riesen Streit.
"Du wirst deine Schule abbrechen, Leyla! Duydun mi beni?! (Hast du mich gehört?!)", schrie mein Vater mich an. Meine Schwester und meine Mutter sahen uns nur dabei zu, wie wir uns gegenseitig bekriegten. Noch nie hatte ich so schlimm mit meinem Vater gestritten.
"Hayir! (Nein!). Duymiacam seni (Ich werde dir nicht zuhören). Ich will nicht heiraten. Ich will mein Leben so leben, wie ich es will. Ich will glücklich sein. Hayatimi mahvetin! (Du hast mein Leben zerstört!)", schrie ich ihn an, woraufhin er mir eine harte Ohrfeige gab, weswegen ich auf dem Boden landete. Noch nie hatte mein Vater mich geschlagen. Geschockt blickte ich ihn an, während ich mir meine Wange hielt.
"Ich schäme mich für dich. Weißt du eigentlich, wie schlimm es ist, wenn die eigene Tochter vergewaltigt wurde?", fragte er mich traurig, woraufhin ich aufstand und ihn ebenfalls traurig ansah.
"Weißt du eigentlich, wie schlimm es ist, vergewaltigt und gegen seinen eigenen Willen verheiratet zu werden?", fragte ich ihn nun. Er seufzte.
"Leyla. Du wirst deine Schule abbrechen und Can heiraten. Ende der Diskussion", sagte er und ging. Ich nickte nur wütend und starrte auf den Boden.
"Göreçez (Wir werden sehen)", murmelte ich ernst, beachetete meine Mutter und Azra nicht und ging einfach auf mein Zimmer.

Ich ließ mich müde in mein Bett fallen und dachte nach. Über alles. Ich dachte über diesen Streit mit meinem Vater von eben nach. Er hatte nicht das Recht dazu. Meine Wange brannte immer noch und mein Herz war zerbrochen. Ich hatte einen Hass gegen meinen eigenen Vater. Er denkt überhaupt nicht an mich. Ich hasste den Mann, den ich eigentlich immer respektiert und zu dem ich immer aufgesehen hatte. Er nahm mir meinen großen Traum. Ich wollte doch unbedingt eine Lehrerin werden. Doch selbst das wurde mir genommen. Meine Gedanken wurden nicht besser. Nun dachte ich erneut über Can und dieses Mädchen nach. Die beiden passen wirklich gut zueinander und sehen auch glücklich zusammen aus, dachte ich mir. Weitere Fragen folgten. Liebt er sie? Liebt sie ihn? Sind sie zusammen? Sind sie eng miteinander befreundet? So hatte ich ihn noch nie Lächeln gesehen. Neben mir hatte er noch nie gelächelt. Ich stand auf und schlug wütend gegen die Wand. Ich wusste nicht genau, weshalb ich das tat. Aus Frust? Aus Trauer? Aus Wut? Mehrere Male heftig. So hart, dass meine Hand irgendwann anfing zu bluten. Ich war aggressiv, aber wusste nicht warum. Ich fing wieder an zu weinen und ging in mein Badezimmer. Traurig sah ich mich im Spiegel an und fing an zu lachen. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Bin ich seelisch kaputt? Bin ich verrückt geworden? Ich haute hart gegen den Spiegel. Meine Hand fing an immer mehr zu bluten. Dann nahm ich eine Schere und kratzte damit die Innenseite meiner Hand auf. Was tat ich da bloß? Ich spürte die Schmerzen überhaupt nicht. Sie waren mir egal. Ich schnitt mir in meine Arme und setzte mich dann irgendwann erschöpft auf den Boden. Dann fing ich an zu schreien und wieder zu weinen. Ich vergrub meinen Kopf und wippte hin und her, während ich meinen Tränen freien Lauf ließ. Ich war am Ende. Zerstört, kraftlos, leblos.

Was fällt meinem Vater einfach so ein, über mein Leben zu bestimmen und mich zu schlagen? Was fällt Can ein, sich einfach so mit einem anderen Mädchen zu treffen? Was fällt Deniz ein, mich so zu behandeln, als wäre ich seine scheiß Puppe und mir meine Jungfräulichkeit zu nehmen? Was fällt allen ein so zu tun, als wäre alles einfach und wunderschön?! Ich war sauer. Sauer auf jeden einzelnen. Ich war traurig. Traurig über mein erbärmliches Leben und außerdem hasste ich alles. Einfach alles. Alles und jeden. Ich kam die nächsten Tage nicht aus meinem Zimmer raus und hatte mich eingeschlossen. Nur am Hennabend war ich anwesend und hatte nur geweint, aber nichts gesagt. Ich hatte jegliche Emotionen verloren. Mir war alles egal. Ich könnte hier auch ganz leicht verrecken, es wäre mir egal gewesen. Schon morgen wäre meine Hochzeit. Morgen. Ich weinte den ganzen Tag lang und spürte nur Schmerzen. Meine Arme waren immer mehr voller Wunden. Ich dachte, dass heute nichts mehr passieren würde. Schließlich war es schon so spät. Doch ich hörte plötzlich, wie jemand an meine Tür klopfte. Ich machte jedoch nicht auf. Ich wollte nicht. Ich konnte nicht. Irgendwann dann sagte die Person etwas.
"Leyla. Aç (Mach auf)", sagte eine mir vetraute Stimme. Es war Can. Es war tatsächlich Can. Ich schluckte und stand dann tatsächlich auf. Nach langem Zögern öffnete ich zitternd die Tür und er trat sofort ein. Er trug eine graue Jogginghose, einen schwarzen Hoodie, eine dunkelblaue Bomberjacke und Jordans. Seine Haare waren natürlich. Nicht gestylt. Er sah einfach wie immer unwiderstehlich aus. Er blickte mich besorgt an und schloss die Tür hinter sich. Dann kam er mir immer näher. Seinen Blick wandte er nicht von mir ab. Er blickte mich so an, als wäre ich das kostbarste und schönste für ihn. Ein Blick, der mein Herz höher schlagen ließ und in mir tatsächlich Emotionen auslöste. Was war das nur? Ich ging unsicher einen Schritt zurück. Was will er?, fragte ich mich ein wenig ängstlich.

Can POV

Leylas Vater hatte mich angerufen und zu mir gemeint, dass es ihr überhaupt nicht gut gehen würde und er nicht mehr weiß, was er tun soll. Morgen wäre jedoch unsere Hochzeit und ich musste nach ihr sehen. Ich erkannte sie nicht wieder und blickte sie mitleidig an. Leyla wirkte viel abgemagerter und kaputter. Außerdem erkannte ich dadurch, dass sie die Ärmel ihres Pullis hochgekrempelt hatte, viele Wunden an ihren Armen. Was hat sie getan?
"Leyla. Bu ne? (Was ist das?)", fragte ich sie schockiert und hielt ihren rechten Arm. Sie zog ihn wieder weg und senkte ihren Blick.
"Nichts. Was willst du, Can?", fragte sie mich in einem leisen Ton. Ein Ton, der mir überhaupt nicht gefiel und beängstigend war. Ihre Stimme. Ihre Stimme war weg. Sie klang sehr brüchig und schwach. Ich seufzte.
"Was ist los? Sag es", sprach ich auffordernd.
"Nichts, Can. Bin nur müde", log sie und setzte sich auf ihr Bett. Meine Fresse. Ich seufzte und setzte mich neben sie.
"Sag es mir. Was hast du mit deinen Armen gemacht? Was ist passiert? Antworte mir", sagte ich, woraufhin sie aufstand und mich anschrie.

"Siehst du es denn nicht?! Ich bin am Ende. Ich hasse mein Leben, ich hasse alles und jeden. Ich will nur noch sterben, Can. Ölmek istiyorum! (Ich will sterben!) Was kann ich dafür, dass ich verdammt nochmal vergewaltigt wurde? Was kann ich dafür? Weißt du, was für Schmerzen ich erleide? Die sind noch schlimmer als diese Wunden, die du an meinen Armen siehst. Mein Herz brennt, Can. Es blutet. Alles ist unerträglich. Ich habe keine Kraft mehr. Es tut weh", schrie sie und sackte zusammen. Sie weinte und ich blickte sie nur geschockt an. Langsam begab ich mich zu ihr, kniete mich nieder und musterte sie lange. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen oder tun sollte, so schockiert war ich. Es zerbrach mir das Herz, sie so kaputt zu sehen. Dieser Anblick war unerträglich.
"Geh einfach, Can. Lütfen git (Bitte geh). Deine Anwesenheit kann ich gerade nicht ertragen", meinte sie dann. Was habe ich damit zu tun Hat sie etwa auch einen Hass gegen mich?, fragte ich mich. Ich hatte ihr doch nie etwas getan. Sie machte mich wütend, aber auf einer Seite verstand ich sie auch. Ich stand einfach nur stumm auf und kehrte ihr den Rücken zu.
"Alles wird noch schlimmer, wenn du so weiter machst, Leyla", sagte ich dann und ließ sie alleine. Sie machte sich selbst kaputt. Sie war depressiv, war am Ende, war einfach zerstört. Sie war in einem dunklen Loch gefangen. Doch den Ausweg würde sie schon noch finden und ich werde ihn ihr zeigen. Denn in meinen Augen wird sie immer unschuldig sein.

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