Kapitel 84

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Zwei Tage zuvor
Leyla POV

Überraschenderweise ist Cans Freund Kadir gekommen, um mich zu besuchen und nach mir zu sehen. Wahrscheinlich hat Can ihn geschickt. Er scheint sich wirklich große Sorgen zu machen.
"Setz dich doch. Möchtest du etwas trinken?", frage ich ihn, doch er lehnt dankend ab.
"Can hat mich gebeten, nach dir zu sehen", bestätigt er meine Gedanke. Sofort werde ich aufmerksam.
"Was hat er gesagt? Geht es ihm gut?", frage ich ihn.
"Er sitzt in U-Haft und wird oft verhört. Bis zu seinem ersten Gerichtstermin wird es wohl so weitergehen. Er macht sich Sorgen um dich. Er denkt ständig an dich. Ich soll dir von ihm sagen, dass du auf dich Acht geben sollst und er dich liebt", erzählt er mir. Ich muss stark bleiben, da ich kramphaft versuche, meine Tränen zurückzuhalten. Ich schlucke sie runter und schweige.
"An was denkst du?", fragt Kadir mich, woraufhin ich meinen Blick hebe..
"Ich will ihn sehen, bei ihm sein. Ich will seine Stimme hören, ihn umarmen und ihm sagen, wie sehr ich ihn vermisse und liebe. Jeden Tag rufe ich ihn an. Sobald Besuchszeit ist, besuche ich ihn. Doch das reicht nicht. Ich will ihn bei mir haben. Ich kann das nicht länger ohne ihn aushalten. Ich brauche ihn. Kadir, ich liebe ihn doch so sehr", spreche ich nun unter Tränen, woraufhin Kadir sich neben mich setzt und mich umarmt. Er streicht mir über den Rücken, versucht mich zu trösten.
"Mach dir keine Sorgen, Leyla. Can ist stark, ihm geht es gut und bald wird er wieder bei dir sein. Er ist unschuldig. Das wissen wir beide und die Welt wird es bald auch wissen. Du musst stark bleiben und weiterleben. Für ihn", sagt Kadir aufmunternd. Ja, er hat recht. Ich muss mich zusammenreißen. Sofort wische ich meine Tränen weg, richte mich anschließend auf.
"Übermorgen kannst du ihn besuchen. Ich werde ihn auch bald besuchen", sagt er und ich lächele leicht.
"Ja, ich werde ihn besuchen", antworte ich. Tatsächlich bin ich ein wenig glücklich, da ich ihn endlich wieder sehen werde.
"Wie wäre es, wenn wir ihn zusammen besuchen gehen? Ich gehe zuerst rein und dann kannst du ihn überraschen. Er wird sich dann bestimmt freuen", meint Kadir dann lächelnd und ich nicke einverstanden.
"Das klingt gut", antworte ich und freue mich schon darauf, ihn wiederzusehen.

Zwei Tage später
Can POV

"Sie ist hier?", frage ich Kadir verwundert, woraufhin er nickt.
"Ja, ich werde sie zu dir bringen und dann gehen. Dann könnt ihr euch gemeinsam unterhalten", sagt er, woraufhin ich lächele.
"Danke, Kadir. Ich habe was gut bei dir", spreche ich, doch er winkt nur ab.
"Dafür sind Freunde da, Can. Du weißt, dass wir schon vieles miteinander durchgestanden haben und ich dir einiges zu verdanken habe. Wärst du nicht gewesen, wäre ich heute nicht der, der ich bin. Ich werde jetzt zu Leyla gehen. Ihr beide solltet euch sehen und miteinander reden. Ihr gehört zueinander. Also, machs gut und bleib stark. Du packst das. Du bist Can Yalçin", sagt er lächelnd, woraufhin auch ich lächele. Dann geht er. Kadir ist einfach ein guter Freund. Er hat mir Mut gemacht und Freude bereitet.

Keine zwei Minuten später geht auch schon die Tür auf und sie tritt ein. Ich hebe meinen Blick, musterte sie ganz genau. Als würde ich sie analysieren. Ich überprüfe jede einzelne Stelle ihres Körpers. Glücklicherweise ist sie nirgendwo verletzt, doch sie scheint etwas dünner geworden zu sein. Hat sie wieder damit angefangen, unregelmäßig zu essen? Als ich dann ihr Gesicht mustere, bin ich etwas schockiert. Sie hat leichte Augenringe, ist sehr blass und scheint so emotionslos. Doch trotz allem ist sie wunderschön. Ihre Augen sind glasig, als sie auf mich zukommt. Ihre Schritte sind langsam. So, als müsste sie aufpassen, nicht zu fallen. Während sie auf mich zukommt, hängt ihr Blick fest an mir. Sie scheint in Gedanken zu sein. Als könne sie nicht glauben, dass sie mich wirklich vor sich sieht. Sie setzt sich mir gegenüber und ich blicke sie genauer an. Sofort erkenne ich, dass es ihr miserabel geht. Ich seufze.
"Ich habe dir doch gesagt, dass du auf dich aufpassen sollst", sage ich etwas streng, aber leise. Sie legte ihren Kopf etwas schief und blickt mir tief in die Augen. Sie wendet ihren Blick überhaupt nicht von mir ab. Sie scheint wie gefesselt zu sein.
"Leyla", sage ich dann etwas sanfter, woraufhin ihre Augen sich mit Tränen füllen und sie ihren Blick senkt. Als könne sie mir nicht mehr in die Augen schauen. Als hätte sie etwas verbrochen. Was ist los mit ihr? Wir sind nicht für all zu lange Zeit getrennt gewesen, doch trotz allem scheint sie schon am Ende zu sein.
"Ich habe dich so sehr vermisst", sagt sie dann und hält ihren Blick gesenkt, während sie kurz davor ist, zu weinen. Doch sie versucht es kramphaft zurückzuhalten. Das erkenne ich sofort. Nein. Auch wenn es weh tut sie weinen zu sehen, tut es mir noch mehr weh, zu sehen, wie sie versucht ihren Schmerz vor mir zu verstecken. Also stehe ich auf und setze mich neben sie. Ich nehme ihre Hand in meine, da ich sie durch die Handschellen schlecht in den Arm nehmen kann, woraufhin sie mich wieder anblickt. Vetraut lächele ich. Diese Augen sind alles.
"Ist schon okay. Du darfst weinen. Teile deinen Schmerz mit mir", spreche ich, woraufhin sie mich nun in den Arm nimmt und anfängt, schmerzvoll zu weinen. Ihr Schluchzen erfüllt mein Herz mit Schmerz und ihr schnell schlagendes Herz lässt meines ebenfalls schnell schlagen. Behutsam streiche ich über ihre weichen, braunen Haare und lasse sie weinen. Intensiv atme ich ihren Duft ein, während mir ebenfalls die Tränen kommen. Sie darf das nicht sehen. Das würde sie noch trauriger machen, weswegen ich meine Tränen krampfhaft zurückhalte. Sie hält mich noch fester, vergräbt ihren Kopf in meinen Nacken. Sie will und kann mich nicht loslassen. Genau wie ich sie. Es scheint, als würde sie jede einzelne Sekunde, die wir in diesem Augenblick miteinander haben, auskosten. Wir beide wollen nicht, dass die Besuchszeit vorüber geht.

"Ich kann das nicht, Can. Bitte, sag mir, dass du bald zurückkommen wirst. Ich brauche dich doch so sehr", sagt sie schluchzend und verzweifelt. Ich kann ihr keine richtige Antwort darauf geben und sie anlügen kann ich auch nicht, weswegen ich mich langsam von ihr entferne und wieder in ihr zartes Gesicht blicke. Ich lächele leicht, während ich ihre Hand streichele. Auf einmal
packt sie leicht mein Oberteil und zieht etwas daran. Ihr Anblick ist schwer zu ertragen.
"Wieso sagst du nichts, Can? Werden wir etwa doch für immer getrennt sein?", fragt sie mich dann, woraufhin ich nur meinen Blick senke.
"Ich weiß es nicht, Leyla", gebe ich ihr nur als Antwort. Ich will und kann sie einfach nicht anlügen, auch wenn es sie verletzt und sie die Wahrheit nicht verkraften kann. Sie lockert ihren Griff und senkt ebenfalls ihren Blick. Als sie dies tut, blicke ich sie wieder an. Niemals hätte ich gedacht, sie wieder so kraftlos und verzweifelt zu sehen. Wenn ich sie angelogen hätte, hätte es sie im Nachhinein nur noch mehr verletzt. Sie soll sich keine falschen Hoffnungen machen und es dem Schicksal überlassen. Doch natürlich verstehe ich sie. Nach einigen Minuten lässt sie von mir ab und wischt sich ihre Tränen weg. Dann blickt sie wieder mich an.
"Ich komme bald wieder. Pass auf dich auf", spricht sie leise und geht dann auch schon. Sie scheint durch meinen Satz gekränkt zu sein. Sie will die Wahrheit einfach nicht einsehen. Nachdem sie gegangen ist, werde ich wieder in meine Zelle geführt und seufze, während ich die Betonwand anblicke. Über unsere Zukunft bin ich mir unsicher. Unsere einst gemeinsame Zukunft.

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