Kapitel 11

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Dieses wunderschöne Gefühl war leider wieder weg, als wir uns voneinander lösten und er sich von mir verabschiedete. Wir beide hatten vergessen, dass wir eigentlich miteinander heiraten mussten. Wir hatten vergessen, was für eine Beziehung wir zueinander haben würden. Mein Herz, dass vorhin die ganze Zeit wie verrückt geschlagen hatte, schlug wieder normal und meine Gänsehaut war auch weg. Außerdem war da noch so ein ganz bestimmtes Kribbeln, was mir fremd war. Wenn Can nicht bei mir war, musste ich an diese schreckliche Nacht denken. Doch wenn er bei mir war, konnte ich lächeln und irgendwie auch glücklich sein. Doch egal was passieren würde, ich würde das niemals aus meinem Kopf bekommen. Ich zitterte wieder am ganzen Körper, als ich daran dachte. Ich bekam eine Nachricht.
"Denk nicht nach", hatte Can mir geschrieben. Konnte er Gedanken lesen? Stalkte er mich?
Woher vedammt nochmal weiß er, dass ich gerade nachdenke?, fragte ich mich verwundert. Es schien so, als wäre er mein Seelenverwandter, der von Gott vorherbestimmt wurde, um an meiner Seite zu sein.

"Alles wird gut, Leyla. Geh schlafen", schrieb er noch und das beruhigte mich etwas. Alles wird gut. Ist er villeicht doch nicht so schlimm? Wäre eine Ehe mit ihm villeicht sogar schön? Ist er villeicht der richtige Mann für mich?
Diese Fragen stellte ich mir, konnte sie jedoch nicht beantworten. Keine einzige.
"Tamam (Okay). Geh du auch schlafen. Gute Nacht", schrieb ich und legte mich, nachdem ich mir etwas bequemeres angezogen hatte, hin. Ich dachte über Cans und meine bevorstehende Zeit sowie die Hochzeit nach. Werden wir glücklich sein? Werden wir uns jemals lieben können? Werden wir Kinder bekommen? Ich seufzte, schloss meine Augen und schlief irgendwann ein. Damals schwirrten 1000 Gedanken in meinem Kopf, die jedoch kein Ende nehmen wollten. Wie auch? Schließlich konnte ich die Zukunft nicht sehen.

3 Uhr Nachts

Ich schreckte hoch und atmete sehr schnell. Mein Herz raste. Ich hatte einen schlimmen Albtraum. Can und ich waren verheiratet und wirkten anfangs glücklich. Doch dann wurde er immer mehr zum Gangster und wurde zu einem anderen Menschen. Er tötete andere und wurde mir gegenüber immer gewalttätiger. Dann trug ich ein Brautkleid und es war Blut verschmiert. In der einen Hand hielt ich eine Waffe und die andere, auf der Blut klebte, hatte ich ausgestreckt. Was hat das zu bedeuten?
Eigentlich hatte ich immer Albträume von Deniz und von dieser Nacht. Doch das war das erste Mal, dass ich solch einen schlimmen Traum von Can hatte. Hoffentlich habe ich da gerade nicht die Realität gesehen, dachte ich mir besorgt. Ich setzte mich auf und versuchte mich zu beruhigen. Ganz ruhig, Leyla. Komm runter. Das war nur ein Albtraum. Can würde dich niemals so behandeln. Oder?

Er hatte schließlich mal gesagt, dass er schon so einige geschlagen, verletzt und vielen das Herz gebrochen hatte. Aber getötet hatte er noch niemanden. Ich schluckte, wenn ich nur an so etwas dachte. Er sieht so unschuldig aus, baut aber so viel Scheiße. Müsste ich meinen Mann jeden Abend mit Wunden und blauen Flecken zu Hause erwarten? Nein. Das wollte ich nicht. Can war gefährlich und das, was er da trieb ebenso. Ich legte mich wieder hin und schloss, etwas besorgt um meine Zukunft, meine Augen. Wieder 1000 Fragen, die sich nicht beantworten ließen. Was, wenn Can und ich uns niemals lieben werden? Ich werde niemals Kinder kriegen können, niemals richtig erfahren, wie es ist zu lieben und geliebt zu werden, mich niemals wie eine Ehefrau fühlen können. Dann werde ich immer älter und unglücklicher. Mein gesamtes Leben ist dahin. Hoffentlich ist es nicht so, wie ich es mir vorstelle. Hoffentlich wird es nicht so sein. Das dachte ich mir.

Die Wochen vergingen wie im Flug und nachdem auch die Verlobungsfeier überstanden war, konnte ich mich nun endlich etwas zurück lehnen. Der Hennabend würde schon in ein paar Tagen sein und ein Tag später dann schon die Hochzeit. Ich hatte meiner Schwester noch vor der Verlobungsfeier alles erzählt und sie war sprachlos. Sie freute sich zwar, dass Can der Bräutigam ist, war aber gleichzeitig mehr als traurig wegen dem Grund dieser Hochzeit. Ich versuchte die Glückliche zu spielen, dabei zerbrach in mir immer mehr. Tag für Tag. Stück für Stück. Als würde mein Inneres aus leicht zerbrechlichem Glas bestehen. Von Can hörte ich nicht besonders viel. Nur wenn seine Familie und er uns besuchen kamen. Aber sonst, nach dieser Nacht, war er ziemlich abweisend. Er schrieb mir auch nichts oder redete nicht mit mir. Es war, als würde es zwischen uns keine Bindung geben. Als hätte er etwas gegen mich. Seltsam.

Wenigstens sorgte sich endlich mal eine Person um mich, von der ich es nie erwartet hätte und es mir immer gewünscht hatte. Mein Bruder Cem. Ja. Dieses Mal war er ein großer Bruder und war für mich da. Als meine Eltern ihm von der Vergewaltigung erzählt hatten, fuhr er sofort zu uns und hatte sich liebevoll um mich gekümmert. Einer meiner größten Wünsche war wahr geworden und an diesem Tag war ich mehr als glücklich gewesen. Mein großer Bruder hatte mich aufgemuntert und mir versichert, dass er immer für mich da ist. Mir kamen die Tränen und ich umarmte ihn sehr lange. Am nächsten Tag fuhren meine Mutter und meine Schwester fuhren mit mir in die Stadt, um mir ein Hennakleid und ein Hochtzeitskleid zu suchen. Das fanden wir natürlich bei Melek Teyze. Sie dachte natürlich, dass ich aus Liebe heiraten würde. Keiner, außer meiner und Cans Familie wusste, dass ich vergewaltigt wurde und wir deswegen nur heiraten. Sie spielen alle die Glücklichen. Unsere Familien belügen unsere Verwandten. Alles gelogen. Ich liebe Can nicht. Ich will ihn nicht heiraten. Ich bin überhaupt nicht glücklich. Ich hasse mein Leben. Das alles dachte ich mir Tag für Tag. Zurück zu dem Kleiderkauf. Tante Melek gab mir ein wunderschönes Kleid für den Hennaabend. Es war dunkelrot, schulterfrei und wirkte wie ein Ballkleid. Es war einfach so schön. Als ich dann mein Brautkleid anprobierte, war ich kurz vor den Tränen. Es war so traumhaft schön, aber es bedeutete mir nichts. Meiner Mutter kamen die Tränen.
"Cok güzelsin (Du bist wunderschön)", sagte sie mit einem Schluchzen. Mir kamen tatsächlich die Tränen. Dieses Kleid war schließlich einfach bedeutungslos. Ich wollte es nicht. Ich konnte es nicht tragen.

"Ich freue mich schon auf deine Hochzeit, Leyla. Auch wenn du noch ziemlich jung bist, ist er bestimmt der Richtige für dich und du wirst glücklich", sagte meine Tante Melek glücklich. Ach, wenn sie nur wüsste. Wenn sie alle nur wüssten. Ich setzte mir ein Lächeln auf, nahm meine Kleider und versuchte, nicht zu weinen. Doch als wir nun in einem Cafè saßen, ging ich auf die Toilette und weinte wie nie zuvor. Ich wollte einfach nicht heiraten. Nicht jetzt. Ich wollte das alles nicht. Nur wegen einem einzigen Abend, war nun mein ganzes Leben ruiniert. Hatte ich das alles wirklich verdient? Ich schlug mir aus Verzweiflung selbst auf den Arm und bekam einen Nervenzusammenbruch. Ich war am Ende. Mit allem. Wütend und Traurig raufte ich mir meine Haare und schlug um mich. Dann kratze ich mir mit meinem Finger meinen Arm entlang. Ich kratzte so hart, dass meine Nägel sich in meine Haut bohrten und ich anfing ein wenig zu bluten. Ich seufzte, schloss meine Augen und legte meinen Kopf in den Nacken. Ach, wäre mein Leben doch nur zu Ende. Das wünschte ich mir in diesem Moment am meisten. Ich wischte mir meine Tränen weg und versuchte einigermaßen okay auszusehen, nachdem ich mich beruhigt hatte. Meinen Ärmel krempelte ich nach unten, um die Wunden zu bedecken.
"Alles okay, Leyla?", fragte meine Mutter mich. Meine Augen wurden zu schlitzen. Warum tat sie auf unwissend?
Sie wusste schließlich ganz genau was los war. Sie wusste alles. Ich hatte einen unglaublichen Hass auf sie sowie auf meinen Vater. Ich nickte nur stumm und seufzte. Dann sah ich kurz zu Azra, die mich besorgt anschaute. Sie erkannte es immer, wenn es mir nicht gut ging.

Als wir endlich ins Auto stiegen, sah ich von Weitem plötzlich Can. Er trug eine blaue Jeans, einen grauen Hoodie, eine schwarze Lederjacke und schwarze Sneaker. Wie immer sah er einfach top aus. Ich sah ihn wirklich immer dann, wenn ich nicht damit rechnete. Er unterhielt sich mit jemandem. Es war aber nicht irgendjemand. Es war ein Mädchen?!
Ein mir fremdes Mädchen. Ein anderes Mädchen. Warum trifft er sich mit einer anderen?, fragte ich mich verwirrt. Sie war zugegeben ziemlich hübsch. Sie trug eine weiße Hose, einen schwarzen Hoodie und weiße Sneaker. Ihre Haare waren schwarz, lang und glatt. Sie war wirklich sehr hübsch und schien sehr vertraut mit Can. Über was sprachen die beiden? Woher kannte er sie? Wer war sie?

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt