Kapitel 59

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Inzwischen waren drei Tage vergangen. Irgendwie versuchte ich einen geregelten Tagesablauf zu haben und normal weiter zu leben. Doch es funktionierte einfach nicht. Jedes Mal dachte ich an ihn. Jede Sekunde. Er verschwand einfach nicht aus meinen Gedanken. Jedes Mal fragte ich mich das Selbe. Geht es ihm gut? Wo befindet er sich gerade?Was denkt er gerade? Was fühlt er gerade?
Ich machte mir schreckliche Sorgen um Can. Ja, ich wusste, dass er ein erwachsener Mann ist, der für sich selbst sorgen und sich selbst beschützen kann. Doch ich wusste auch, wie gefährlich sein Leben war und wie viele Feinde er hatte. Duzende. Und sie alle wollten ihn töten. Sie alle waren hinter ihm her, verletzten ihn, kämpften gegen ihn und er ließ das alles über sich ergehen. Er wehrte sich mit seinen Fäusten und zeigte keine Furcht. Doch ich wusste, wie viele Sorgen er hatte und es verletzte mich zu sehen, wie er verletzt wird. Doch noch mehr verletzte es mich, nicht bei ihm sein zu können und mich um seine Verletzungen zu kümmern können.

Ob er nun wieder auf den Straßen rebellieren wird? Ob ich ihn jemals wieder sehen werde?, fragte ich mich und ärgerte mich über diese Gedanken.
Warum machte ich mir eigentlich noch Hoffnungen?
Es ist vorbei, dachte ich mir. Alles. Er war schließlich nicht mehr ein Bestandteil meines Lebens. Nur noch meines Herzens. Ich blickte auf die Uhr. 18:45 Uhr, Sonntag. Morgen würde ich meinen ersten Arbeitstag in der Firma meines Vaters haben. Dann würde für mich ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Bin ich wirklich bereit dazu?, fragte ich mich unsicher. Ich musste irgendwie versuchen, weiter zu leben. Ohne Can. Ich war erst 18 Jahre alt. Noch sehr jung. Ich hatte noch viel vor mir. Deswegen durfte ich nicht traurig sein und schwach werden. Ich musste stark bleiben, mich durchkämpfen. Meine innere Stimme redete mir jedoch ständig ein, dass ich ihn brauchen würde und ohne ihn verloren wäre. Ich betete einfach nur dafür, dass ich es ohne ihn schaffen würde.

Azra hatte gemeint, dass sie auf Cansu für mich aufpassen würde, während ich auf der Arbeit bin. Sie arbeitete ebenfalls, jedoch nur abends. Deshalb hatte sie Zeit und tat mir diesen Gefallen.
"Du schaffst das schon. Du siehst super aus und musst denen beweisen, dass du das Zeug zu einer perfekten Geschäftsfrau hast", sagte sie aufmunternd. Ich trug eine schwarze Hose, ein schwarzes Oberteil und darüber einen langen, braunen Mantel. Dazu noch eine schwarze Tacshe und beige Schuhe. Im Auto hatte ich notfalls noch einen Blazer, doch Azra meinte, dass ich so gut aussehen würde. Es war wirklich ziemlich ungewohnt, in diesen Schuhen zu laufen. Schließlich hatte ich bis jetzt immer nur Sneakers angezogen. Nur zu besonderen Anlässen trug ich ab und zu mal Schuhe mit Absatz. Oh man. Hoffentlich läuft das gut, sprach die Stimme in meinem Kopf. Ich war so unglaublich nervös. Ich verabschiedete mich von Azra und begab mich dann in mein Auto. Da mich die Sonne etwas blendete, setze ich mir meine Sonnenbrille auf.

Ich hatte noch etwa fünfzehn Minuten und die Firma war nur ein paar Minuten von mir entfernt. Lieber zu früh als zu spät. Also dann mal los, motivierte ich mich selbst und fuhr los. Erstaunt stand ich dann vor der riesigen Firma meines Vaters. Diese hatte er mit Cans Vater aufgebaut und sie war ziemlich erfolgreich geworden. Lange war ich hier nicht mehr gewesen. Eigentlich sollte diese Firma meinem Bruder gehören, aber da er leider nicht mehr unter uns weilte, würde Azra sie wohl erben, da sie die zweitälteste ist. Oder einer der Schwiegersöhne bekommt sie. Also entweder Nihat oder Ca-
Ich schüttelte den Kopf. Stimmt ja. Can ist nicht mehr da und außerdem hat er schon die Firma seines Vaters übernommen, dachte ich mir betrübt. Na ja. Wie auch immer, diese Firma war sehr erfolgreich. Sie war schon oft in den Nachrichten zu sehen. Mein Vater war ein ziemlich angesehener Geschäftsmann, was diese Branche betraf. Er und Cemal waren zu diesen Zeiten ziemlich erfolgreich und bekannt. Can ebenso. Halt! Nicht mehr an Can denken!, ermahnte ich mich selbst.

Schließlich betrat ich dann die Firma und ging an den Empfang.
"Ich habe ein Vorstellungsgespräch mit dem Vorgesetzten. Mein Name ist Leyla Ateş", sagte ich zu der Empfangsdame und sie blickte mich erstaunt an, als sie aufstand.
"Sie sind doch die jüngste Tochter des Vorgesetzten. Oder?", fragte sie mich ungläubig. Ich lächelte und nahm meine Sonnenbrille ab.
"Bleiben Sie ruhig sitzen. Ja, die bin ich. Kann ich zu dem Vorgesetzten?", fragte ich sie, woraufhin sie sich hinsetzte. Ich wollte hier wirklich nicht besonders gut behandelt werden, nur weil ich die Tochter des Vorgesetzten bin. Das wäre den anderen Mitarbeitern gegenüber nicht fair, dachte ich mir.
"Oh. J-Ja. Er ist in seinem Büro", sagte sie und ich bedankte mich bei ihr. Sofort begab ich mich dann zu dem Büro, welches sich in der obersten Etage befand. Super. Dann hieß es erst einmal fünf Etagen nach oben. Oh man. Seufzend verweilte ich in diesem Fahrstuhl, bis ich dann endlich ankam und an die Tür klopfte.
"Kommen Sie herein", erklang die Stimme meines Vaters und ich betrat sein Büro. Er begrüßte mich lächelnd, während ich mich ihm gegenüber setzte.

"Wow. Ich bin ziemlich beeindruckt. Diese Firma ist seit dem letzten mal noch größer geworden", sagte ich und blickte mich überwältigt um.
"Ja. Das ist sie", antwortete er und mein Vater fragte mich einige Fragen, die ich ihm beantwortete. Es spielte keine Rolle, dass wir Vater und Tochter waren. Zu diesem Zeitpunkt waren wir nur Chef und Angstellte.
"Okay, gut. Du bist genau richtig für diese Stelle. Aber es gibt noch eine Sache. Ich weiß nicht, ob wir dich hier fest einsetzen können. Also kann es sein, dass du in eine andere Firma wechseln musst", erklärte er mir.
"Das ist okay. Hauptsache ich habe Arbeit", sagte ich zufrieden.
"Aber, Leyla. Diese Firma-", ich unterbrach ihn. Hätte ich ihm doch nur zugehört.

"Alles gut. Es ist unwichtig, ob sie nicht in der Nähe ist. Was werden meine Aufgaben sein?", fragte ich ihn. Er seufzte, als würde ihn etwas bedrücken.
"Du bekommst die Stelle als meine persönliche Assistentin und wirst Kunden betreuen. Falls du in eine andere Firma versetzt wirst, werden das ebenso deine Aufgaben sein. Einverstanden?", fragte er mich und ich nickte.
"Einverstanden", antwortete ich zufrieden und reichte meinem Vater die Hand. Jetzt hatte ich also einen Job. Ich machte mir wegen einer Versetzung in eine andere Firma überhaupt keine Sorgen. Das einzige, was sich schließlich ändern würde, wären meine Umgebung, meine Kollegen und mein Chef. Doch meine Arbeit bleibt immer gleich. Das dachte ich zumindest. Ich war meinem Vater so unglaublich dankbar. Obwohl ich keine Erfahrungen, geschweige denn eine Ausbildung hatte, hatte er mich einfach aufgenommen und mir diese Stelle gegeben. Jetzt kann ich Cansu in Ruhe ernähren, dachte ich mir zufrieden. Mir fiel ein Stein vom Herzen und mit einem guten Gefühl startete mein erster Arbeitstag.

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