Kapitel 26

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Ich hatte Glück, denn dieses Mal war er nicht betrunken. Also hatte ich die Chance, normal mit ihm zu reden. Ich erkannte es daran, da er nicht nach Alkohol roch. Doch trotz allem sah er mal wieder ziemlich fertig aus und hatte eine kleine Wunde an der Lippe. Er blutete etwas und selbst das zu sehen, tat mir weh.
"Du bist noch wach?", fragte er in einem etwas verwunderten, jedoch sehr ruhigen Ton und setzte sich auf das Bett, um anschließend seine Schuhe auszuziehen. Ich saß ebenfalls auf dem Bett und schaute gedankenverloren auf seinen Rücken. Nachdem er seine Schuhe ausgezogen hatte, zog er seine Jacke aus und stand auf. Er setzte sich erschöpft auf die andere Seite des Bettes und blickte mir dann tief in die Augen.
"Was ist?", fragte er mich, doch ich bekam irgendwie keinen Ton raus und blickte nur besorgt auf seine blutende Lippe. Sachte streichte ich mit meiner rechten Hand über seine Lippe und war kurz vor den Tränen. Damals hatte ich mich davor gefürchtet, dass er jeden Tag mit Verletzungen nach Hause kommen würde. Welche Ehefrau würde schon wollen, dass ihr Ehemann jeden Tag verletzt ist?

Ich spürte seinen Blick auf mir und schaute ihm nun wieder in seine leuchtenden, braunen Augen. Er blickte mich nun nicht mehr mit diesem harten Gesichtsausdruck an. Sondern eher etwas besorgt und sanft. Je länger wir uns gegenseitig so anschauten, desto schneller schlug mein Herz. Selbst ein einfacher Blick von ihm raubte mir den Verstand. Er nahm plötzlich meine Hand in seine und ich fing dann an zu reden.
"Wann wird das ein Ende haben, Can?", fragte ich ihn ruhig. Er war wohl etwas verwirrt und fragte mich, was ich genau damit meinte. Ich ließ seine Hand los und legte meine Hände auf seine weichen Wangen.
"Weißt du eigentlich, wie weh es mir tut, dich so zu sehen? So verletzt, so einsam, so kalt, so am Ende. Du stürzt ab, Can. Jeden Tag immer mehr. Ich mache mir Sorgen um dich. Ich könnte es niemals durchstehen, wenn dir etwas zustoßen würde. Du begibst dich ständig in Gefahr. Dieses Leben ist gefährlich.Dein Leben auf der Straße", erklärte ich und er blickte mich genau an. Er sagte nichts, sondern hörte mir nur weiter zu.

"Ich weiß, dass ich nicht das Recht dazu haben, dir irgendetwas vorzuschreiben. Du bist ein erwachsener Mann. Aber ich will nicht, dass dir etwas passiert und dass du am Boden liegst. Du bist noch so jung und sollst ein glückliches Leben, ohne Probleme haben. Das wünsche ich mir für dich. Deswegen bitte ich dich inständig darum. Bitte, Can, lass dieses Gangsterleben hinter dir und fang ein normales Leben an. Zusammen können wir ein wunderschönes Leben haben, als Ehepaar. Bitte, Can", flehte ich ihn an und war wirklich kurz vor den Tränen, da ich ich ihm so gerne meine Gefühle gestanden hätte. Er nahm langsam meine Hände von seinen Wangen und stand dann, ohne ein Wort vom Bett auf. Mein Blick war die ganze Zeit auf ihn gerichtet, während er zum Fenster ging. Er blickte kurz nach draußen und blickte dann wieder mich an.
"Warum sollte ich, Leyla? Kriminell zu sein, zu kämpfen, mich in Gefahr zu begeben, Risikos einzugehen. Das gehört alles zu meinem Leben dazu und ich kann nicht einfach davon lassen. Wenn man einmal angefangen hat, gibt es kein zurück mehr. Vergiss nicht, dass ich der gefährlichste in dieser Stadt bin und alle mich fürchten. Mir kann also nichts passieren. Du machst dir umsonst Gedanken", meinte er nur lässig und daraufhin stand auch ich vom Bett auf.

"Nein, Can. Auch du bist nur ein Mensch. Du kannst dich ebenso verletzen und du kannst auch sterben. Egal wie mächtig oder gefürchtet du sein magst. Du bist immer noch ein ganz normaler Mensch mit einem schlagenden Herz. Ich will doch nur das Beste für dich und will nicht, dass du dich ständig in Gefahr begibst", sprach ich dann und ging etwas auf ihn zu. Nun schaute er mich fragend an.
"Du willst nur das Beste für mich? Du willst nicht, dass ich mich in Gefahr begebe? Warum, Leyla? Vor ein paar Wochen war es dir nicht so wichtig, was ich auf den Straßen tue. Jetzt plötzlich sorgst du dich um mich. Warum?", fragte er mich und verschränkte seine Arme ineinander.

Er wartete auf eine Antwort, doch ich konnte ihm keine geben. Eher gesagt, konnte ich ihm nicht die Warheit sagen. Die Warheit wäre, dass ich das alles aus Liebe zu ihm sagte und tat.
"Du bist mein Ehemann und du bedeutest mir viel. Du bist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Du bist mir sehr wichtig", sagte ich. Das stimmte natürlich. Doch dass ich das am meisten aus Liebe tat, konnte ich nicht sagen. Er würde mich verabscheuen und los werden wollen, dachte ich mir. Ich behielt meine Gefühle für mich.
"Warum aber bin ich dir in so kurzer Zeit so wichtig geworden? Wieso sollte ich auf dich hören und für ein normales Eheleben, mein Gansgterleben aufgeben? Ich bin noch so jung wie du sagtest, Leyla. Unser Eheleben hat noch Zeit", meinte er dann und da lag er falsch.

Es hatte überhaupt keine Zeit. Eine Ehe hat nichts mit Zeit zu tun. In einer Ehe ist die Liebe und der Zusammenhalt wichtig. Die Treue, die Zärtlichkeit, die Fürsorglichkeit. Einfach alles, was Can mir gegenüber nicht empfand. Aber ich ihm gegenüber. Ich schwieg nur und er sprach weiter. Ich fand in diesem Moment keine richtigen Worte.
"Du verwirrst mich von Tag zu Tag immer mehr, Leyla. Du tust so viel für mich, setzt sogar dein Leben aufs Spiel für mich. Warum?Warum tust du dir so etwas für mich an? Aus Dummheit? Aus Zuneigung? Aus Angst? Aus welchem Grund? Warum Leyla? Warum würdest du für mich töten und sterben?Warum?", fragte er mich und kam mir dabei immer näher. Er bedrängte mich mit all diesen Fragen. Die Antwort konnte ich einfach nicht aussprechen.
"Ist es so schwer für dich, diese Fragen zu beantworten? Du bist zu nichts verpflichtet. Ich kann dir kein richtiges Eheleben geben. Aber trotzdem bist du bei mir. Doch welche Frau würde so ein Leben einfach so leben wollen? Eine Ehe ohne Liebe, ohne Zuneigung, ohne die Nähe des anderen. Warum lässt du das zu? Beantworte mir meine Fragen Leyla. Warum tust du das alles für mich?", fragte er mich auffordernd, in einem lauten Ton und ehe ich mich versah, hatte ich es auch schon ausgesprochen.

"Weil ich dich liebe", platzte es aus mir heraus und es herrschte eine unendliche Stille. Er blieb sofort stehen und ich spürte die Wand an meinem Rücken. Ich blickte ihm ernst in die Augen. Dieser kleine Satz hatte ihn zum schweigen gebracht. Ihn, Can Yalçin, dessen Blick ich in diesem Moment nicht ganz einordnen konnte. Er schien wieder mal verwundert zu sein. Dann realisierte ich, dass ich ihm gerade meine Gefühle gestanden hatte. Mein schnell schlagendes Herz raste wie verrückt und ich zitterte etwas. Was er wohl jetzt sagen wird? Warum hatte ich das gesagt?
Ich bereute es wieder in der nächsten Sekunde. Ich hätte besser meinen Mund halten sollen. Scheiße! Wir blickten uns gegenseitig an. Doch etwas wunderte mich. Sein Blick war nicht wie zu erwarten verwirrt oder hart. Sein Blick war weich und seine Augen funkelten. Was er wohl dachte?

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt