Kapitel 71

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Schon seit einer ganzen Stunde sitze ich nun hier und blicke den Polizisten vor mir genau an. Wir befinden uns in einem dunklen Raum, in dem uns nur die Tischlampe, die auf dem Tisch steht, Licht spendet. Ich sitze an einem Tisch, habe meine Arme ineinander verschränkt, während der Polizist vor mir steht und auf mich herab blickt. Ich bin sichtlich genervt und angespannt, da ich in dieser Stunde nicht besonders weit gekommen bin. Er hat mich gefragt, was in jener Nacht passiert ist. Die Warheit habe ich ihm erzählt. Dann hat er mich gefragt, weshalb ich dort gewesen bin und wer dort alles noch war. Auch das habe ich ihm erzählt, obwohl diese Geschichte nicht besonders realistisch klingt. Ein Mann geht in das Haus seines Feindes, um seine Frau zu retten, die von dem selben Mann erneut vergewaltigt wurde. Der Polizist wirkte ein wenig verstört, nachdem ich ihm diese Geschichte erzählt habe. Doch das ist nun einmal die Warheit. Die bittere Wahrheit. Diese Geschichte hört sich an, als würde sie aus einem Buch oder einem Film stammen. Doch es ist die absolute Realität. Ich stütze meine Arme auf dem Tisch ab, beuge mich dabei etwas vor.
"Hören Sie mal. Ich bin unschuldig. Ja, ich habe eine Waffe in dieser Nacht benutzt und ja, ich habe auch damit geschossen. Aber ich habe niemanden getötet", versuche ich ihm zu erklären. Lügen kann ich nicht. Ich muss ihm sagen, dass ich geschossen habe.
"Weshalb haben Sie geschossen? Auf wen haben Sie geschossen?", fragt er mich und setzt sich mir gegenüber. Mit Kopfschmerzen atme ich aus,  will nichts weiter, als nur noch nach Hause zu gehen.

"In dieser Nacht war ich sehr wütend und nicht mehr bei Sinnen gewesen. Sie haben meine Frau entführt und sie missbraucht. Sie haben sie verletzt und sie eingesperrt. Als sie mir sagte, dass sie vergewaltigt wurde, wollte ich Mert sofort zur Rede stellen. Ich war nicht ich selbst. Sie ist schließlich meine Frau und es ist nicht das erste Mal gewesen, dass ihr so etwas passiert ist. Sie musste so viel durchmachen, war auf dem Weg der Besserung. Doch die beiden haben sie wieder krank gemacht", erkläre ich ehrlich und spüre, wie mein Herz dabei etwas schmerzt. Wenn ich an Leylas Vergangenheit denke, bricht es mir jedes Mal das Herz. Wie hilflos sie mich immer angesehen und förmlich nach Hilfe geschrieen hatte. Wie zerbrochen und traurig sie gewesen war. Zum Glück ist das nun vorbei.
"Ihre Frau wurde davor schon mal vergewaltigt?", fragt der Polizist mich dann neugierig. Ich nicke.
"Ja. An dem Tag, an dem ihre Schwester geheiratet hat, hatte Deniz sie wieder vergewaltigt. Er war immer besessen nach ihr gewesen, hat sie auch gestalkt, obwohl wir schon miteinander verheiratet waren. Er hat sich dann mit Mert zusammen getan, um uns zu trennen und Leyla ganz alleine für sich zu haben. So ist es dann irgendwann zu dieser Nacht gekommen", erkläre ich bedauernd.
"Und was denken Sie, wer für Deniz Tod verantwortlich ist?", fragt er mich.
"Dieses Video ist nicht das Originale. Vieles wurde weggeschnitten. Nachdem ich gegangen war, haben Deniz und Mert noch miteinander gestritten. Dann ist es schließlich dazu gekommen, dass Mert Deniz erschossen hat. Er ist der Schuldige", sage ich und bete inständig, dass er mir glaubt.
"Woher wissen Sie das?", fragt er mich. Langsam will ich wirklich nicht mehr hier sein. In mir entsteht ein Druck.

"Er hat es mir in einer Nacht, in der wir uns getroffen haben selbst gesagt. Er ist der wahre Mörder. Glauben Sie mir. Dieser Mann ist wahnsinnig. Er hat auch meine Schwester sowie meinen Schwager auf dem Gewissen und ist besessen davon, mein Leben zu zerstören. Er ist krank", erkläre ich dem Polizisten.
"Was glauben Sie, von wem dann dieses Video stammt?", fragt er mich schließlich. Fragen über Fragen.
"Es muss von jemandem sein, der Mert sehr nahe steht und auf seiner Seite ist. Jedoch fällt mir niemand ein", sage ich. Er schreibt seinen anscheindend letzten Satz auf seinen Notizblock. Wann ist diese Befragung endlich zu Ende? Seufzend legt er Block sowie Stift auf den Tisch und blickt mich an.
"Zurzeit werden Sie als Einziger verdächtigt, da Sie noch in der Öffentlichkeit zu sehen sind. Von ihrem vermeintlichen Feind Mert gibt es keine Spur. Doch falls Sie ihn sehen sollten, versuchen Sie ihn hierher zu bringen. Er sollte ebenfalls verhört werden, bevor ein Urteil gefällt wird. Schließlich war auch er in diesem Video zu sehen", erklärt der Polizist und ich nicke einverstanden. Mert wird gebraucht, um die Wahrheit herauszufinden. Nun bin ich also derjenige, der nach Mert sucht. Ich muss ihn finden und hierher locken. Nur so kann ich meine Unschuld beweisen. Ich muss mit ihm reden. Wer hat dieses vedammte Video nur reingestellt? Als ich endlich zu Hause ankomme, bin ich mehr als erleichtert. Sofort kommt Leyla auf mich zu. Ihr Blick ist voller Sorge.
"Can? Was ist passiert? In den Nachrichten bist ständig du zu sehen. Warum denkt jeder, dass du Deniz getötet hättest?", fragt sie mich völlig außer sich. Doch ich gebe ihr keine Antwort, da ich einfach viel zu erschöpft bin. Ich habe keine Kraft mehr. Das, was ich jetzt aber am meisten brauche, ist eine Umarmung. Ich brauche sie. Also ziehe ich sie stumm zu mir und halte sie ganz fest in meinen Armen. Nicht nur ich musste viel durchmachen. Auch sie hatte mit Vielem zu kämpfen. Hass, Angst, Trauer, Schmerz. Das alles musste sie ertragen. Doch ihr geht es gut. Sie ist gesund und glücklich. Das macht mich glücklich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir Mert noch einmal begegnen würden. Doch ich weißt, dass unser nächster Kampf, unser härtester und auch unser aller letzter sein würde.

Leyla POV

Verwundert erwidere ich diese plötzliche Umarmung und mache mir schreckliche Sorgen. Can scheint sehr erschöpft zu sein. Als hätte er keine Kraft mehr in sich. Später erzählt er mir alles. Ich kann es einfach nicht glauben. Also ist Mert Deniz Mörder. Ich habe Mitleid mit Can. Ständig hat er gedacht, dass er Deniz auf dem Gewissen hätte. Er hat so lange mit Reue gelebt. Doch ich hatte schon immer geahnt, dass Can unschuldig sein musste. Auch wenn er es wollen würde, er könnte niemals jemanden töten. Ich lege meine Hand auf seine, blicke ihn dabei vertraut an.
"Ich wusste es, Can. Ich wusste einfach, dass du ihn nicht getötet hast", erkläre ich ihm erleichtert, was ihn wohl erleichtert. Seufzend legt er seinen Kopf auf meinen Schoß und schließt seine Augen. Er scheint wirklich sehr kaputt zu sein. Er muss so viel durchmachen. Sachte streichle ich seinen Kopf. Er ist mein Mann und ich weiß, dass er niemals etwas Schlimmes tun würde. Auch wenn er ein Gangster ist. Er ist nicht gefährlich.
"Und auch wenn deine Firma bankrott gehen sollte, werde ich immer hinter dir stehen. Vergiss niemals, dass du nicht alleine bist und ich dich immer lieben werde", sage ich aufmunternd. Ich will ihm mehr Mut machen. Mut, zu Kämpfen. Mut, sich nicht runterziehen zu lassen. Mut, aufzustehen und weiter zu gehen. Seine Mundwinkel ziehen sich nach oben. Er legt sich auf den Rücken, blickt mir anschließend tief in die Augen. Dann nimmt er meine Hand in seine und streichelt sie.
,,Danke'', spricht er leise aus, woraufhin ich lächle. Anschließend schließt er seine Augen und ich betrachte ihn nur still.

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt