KAPITEL ZEHN

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Oh Gott, ich bin wirklich aufgeregter, als ich gedacht hätte. Ayaz und ich haben für heute geplant, dass wir die Freunde des Anderen kennenlernen. Um genauer zu sein: den einen besten Freund. Er lernt Ilenia kennen, worauf sie sich schon sehr freut und ich lernen seinen besten Freund kennen. Seinen Namen weiß ich noch nicht. Wir gehen in ein indisches Restaurant und Ayaz und ich werden gemeinsam hinfahren. Es fühlt sich wirklich schon so an, als wären wir zusammen. Emilio hat Ilenia erst relativ spät kennengelernt. Zumindest waren wir schon zusammen, aber wer sagt denn, dass bei Ayaz alles genauso laufen muss? Ich zupfe nochmal mein weißes Kleid zurecht und fahre mir durch die Haare. In ein paar Minuten holt mich Ayaz ab. Ist der Schlitz des Kleides nicht zu viel? Was, wenn es jemand unangebracht findet? Was denke ich denn da? Man sieht doch nur mein Bein. Mein Handy klingelt und ich muss nichtmal drauf schauen, weil ich weiß, dass Ayaz da ist. Ich fahre ungeduldig nach unten und bleibe erst wieder stehen, als ich vor Ayaz stehe. Dieser vornehme Look steht ihm einfach ausgezeichnet. Sein schwarzes Hemd hat er ein wenig hochgekrempelt und man kann ein kleines Stück seiner tollen Tattoos erkennen. „Hey, alles gut?", fragt er und zieht mich sofort in seine Arme. „Ja, ich bin total aufgeregt. Und du?" „Ich auch. Arvid wartet schon vor dem Restaurant." „Okay, dann lass uns losfahren.", sage ich und steige schnell auf der Fahrerseite ein. Ich mag es, dass er es einfach ohne nachzufragen akzeptiert, dass ich sein Auto fahre. Mittlerweile habe ich mich an den großen Wagen auch schon echt gut gewöhnt. „Schalte Musik an. Das lockert uns bestimmt ein wenig auf.", fordere ich. Er nimmt sofort sein Handy und schaltet ein Lied ein, welches ich nicht kenne. Hört sich aber nicht schlecht an. Ich fahre das Fenster nach unten, um die frische Luft zu genießen. Wenn ich aufgeregt bin, neige ich dazu zu schwitzen und das kann ich gerade wirklich nicht gebrauchen. „Hey, Arvid wird dich sicherlich mögen. Mach dir keine Gedanken." Ich nicke und versuche ihm zu glauben. Es wäre wirklich beschissen, wenn er mich nicht mögen würde. Da ich Ilenia schon viel von ihm erzählt habe weiß ich schon, dass sie ihn nicht schlecht findet. Ob Ayaz Arvid auch von mir erzählt hat? An unserer Verlobung hat Emilio mir gestanden, dass er gleich nach unserer ersten Begegnung seinem Bruder geschrieben hat. Ich fand es wirklich süß, auch wenn ich mich nie besonders gut mit seinem Bruder anfreunden konnte. Aber mit wem kann ich mich schon gut anfreunden?

Ich parke das Auto und schaue Ayaz nochmal tief in die Augen, bevor wir aussteigen. Zusammen gehen wir auf das moderne Restaurant zu und ich sehe, dass Ilenia und Arvid sich schon unterhalten. „Wir schaffen das.", flüstert Ayaz bevor wir vor den beiden stehen bleiben. „Hallo.", begrüße ich beide und umarme nicht nur Ilenia, sondern auch Arvid zur Begrüßung. Er hat schwarze, verwuschelte Haare und braune Augen. Sein Gesicht ist markant, aber nicht so markant wie Ayazs. Und genau wie bei Ayaz kann man selbst durch das Hemd erkennen, dass er seine Zeit gerne im Fittnesstudio verbringt. Ilenia steht, auch wenn sie sich wenigstens heute mal etwas schickeres anziehen hätte können, wie immer in einer altrosanen Sportleggins und einem weißen Top hier und umarmt Ayaz zur Begrüßung. „Du wirst selbst auf meiner Hochzeit im Sportoutfit kommen, nicht wahr?", frage ich Ilenia schmunzelnd, was sie sofort lachend bejaht. „Die Hochzeit wird hoffentlich mit mir sein.", haucht mir Ayaz ins Ohr, als wir nach drinnen gehen. Seine Stimme an meinem Ohr verpasst mir eine angenehme Gänsehaut. Ich mag solche Bemerkungen. Ich schaue ihn nur schmunzelnd an.

„Wir haben auf Salvani reserviert.", sagt Ilenia lächelnd zur nett aussehenden Kellnerin. „Für vier Personen, genau. Kommen sie mit." Sofort bringt sie uns zu einem schönen Platz am Fenster. Ich setze mich neben Ayaz und Ilenia und Arvid setzen sich gegenüber von uns hin. Wir schauen in die Karten und keiner sagt etwas. Die Stimmung ist angespannt und irgendwie unangenehm. „Wie lange kennt ihr euch jetzt eigentlich schon?", fragt Arvid. Ayaz und ich schauen uns sofort an. „Seit ungefähr drei Wochen.", antwortet er dann für mich. Oh nein, meine sozialen Ängste! Ich fühle mich gerade, als würde ich keinen Ton rausbekommen, wenn ich etwas sagen wollen würde. „Was nimmst du?", will Ayaz wissen. Mein Hals ist wie zugeschnürt. Ich kann ihm nicht antworten und atmen kann ich gerade auch nicht. „Alles in Ordnung?", flüstert er, weil Ilenia und Arvid sich gerade über ihre Berufe austauschen. Ich nicke, obwohl wir beide wissen, dass es nicht stimmt. „Willst du kurz nach draußen gehen?" Ich kann nicht antworten, versteh' es doch! „Wir kommen gleich wieder.", entschuldigt uns Ayaz und hilft mir aufzustehen. Die beiden scheint es nicht wirklich zu interessieren, weil sie sich gut unterhalten. Draußen lehne ich mich an Ayazs Auto und er holt mir aus dem Kofferraum eine Flasche Wasser. „Hier, trink.", fordert er und öffnet mir das Wasser. „Danke.", kriege ich endlich raus. „Was war grade los?", fragt er sanft und legt seinen Arm um mich. „Alles hat mich plötzlich verunsichert. Ich konnte nicht sprechen, geschweige denn atmen." Er drückt mich an sich. „Bei dir fühle ich mich gleich besser", hauche ich, stütze mich vom Auto ab und schaue ihm wieder in die Augen. „Am liebsten würde ich dich einpacken und nach Hause fahren." „Das müssen wir jetzt wohl hinter uns bringen.", schmunzele ich. Er legt seine Hände auf meine Hüften und zieht mich an sich. Kurz küsst er mich sanft und schaut mich dann lächelnd an. „Lass uns wieder reingehen."

„Wir nehmen das Malai Korma, das scharfe Lamm Curry und dazu eine Cola und ein stilles Wasser.", bestellt Ayaz für uns beide und legt dann seine Hand auf meinem Oberschenkel. Auch Ilenia und Arvid bestellen ihr Essen. „Kennt ihr euch schon lange?", frage ich Arvid. „Ja, schon ziemlich lange. Seit der zehnten Klasse." Ich nicke staunend. Komisch, dass er ihn nie erwähnt hat. „Das können wir toppen. Hannah und ich sind schon seit der fünften Klasse befreundet.", erzählt Ilenia und klatscht bei mir ein. Ich lache nur. „Und bist du eigentlich in einer Beziehung?", fragt Arvid meine beste Freundin. „Halt! Machst du dich gerade an meine Freundin ran?", frage ich ihn lachend. Er schaut verlegen weg. „Ja, bin ich.", entgegnet Ilenia.

Unsere Bestellung kommt an und wir beginnen zu essen. „Wie lange bist du schon single?", fragt Ilenia Ayaz. Er überlegt kurz antwortet dann aber schließlich: „Seit drei Jahren." Wieso antwortet er nur so kurz? Hat ihn seine letzte Beziehung etwa auch mitgenommen? Würde ich nicht genau wissen, dass Gegenfragen kommen würden, würde ich ihn auf seine letzten Beziehungen ansprechen. Auch an Arvids Blick merke ich, dass Ayaz die Frage schwer fiel. Vielleicht ist dieses lästige Gespräch bald wirklich nötig. „Wo arbeitest du eigentlich?", will Ayaz von Ilenia wissen. „Als medizintechnische Assistentin im Krankenhaus. Und du?" Sie weiß doch als was er arbeitet. Vielleicht will sie auch nur das Gespräch am laufen halten. „Bei einer Computertechnikfirma.", antwortet er wieder knapp. Wieso verhält er sich vor anderen so anders? Wenn wir uns alleine unterhalten, hätte er sicher mehr geantwortet. „Und du?", frage ich nun Arvid. Wenigstens habe ich es rausbekommen, ohne zu stottern. „In der selben Firma wie Ayaz." Ayaz ist also Arvids Chef? Dazu muss ich ihn, wenn wir alleine sind, unbedingt mehr fragen. „Wo du arbeitest hat mir Ayaz schon erzählt.", erklärt Arvid. „Ja, aber er und ich machen uns jetzt auf die Suche nach meinem Traumjob, da ich nicht wirklich zufrieden bin." Er schaut schmunzelnd zu Ayaz, der versucht seinem Blick auszuweichen. Ist es ihm peinlich, dass ich noch keinen festen Beruf habe, den ich für den Rest meines Lebens machen will. Ich schaue ihn fragend an, aber er ignoriert es nur und isst weiter sein Curry. „Man, schmeckt das gut.", staunt Ilenia und schaufelt weiter. Normalerweise stärkt Ayaz mein Selbstvertrauen, aber gerade macht er mich total unsicher, weil es so wirkt, als würde er sich für mich schämen. Manchmal würde ich gerne mehr verstehen, was im Kopf der Menschen passiert.

Wir haben noch fast zwei Stunden geredet und ich habe jetzt das Gefühl, dass ich Arvid besser kenne als mich selbst. Er ist ein lustiger und offener Typ und ich glaube, dass ich schon lange nicht mehr so viel gelacht habe, wie ich es heute getan hab. Ich mag Arvid und ich glaube, Ilenia mag ihn auch ein wenig mehr, als sie es vielleicht zugeben möchte. Jetzt gehen Ayaz und ich gerade auf sein Auto zu. Sein Verhalten wirft in mir aber immernoch ein paar Fragen auf, die ich jetzt klären muss. „Du, Ayaz? Wieso hast du vorhin so komisch reagiert als ich erzählt habe, dass ich einen neuen Job suche? Schämst du dich für mich?", forsche ich unsicher nach und schaue aus dem Fenster, weil ich ihn nicht anschauen möchte. Ich spüre aber seinen Blick auf mir und wie er seufzt, bevor er antwortet. „Nein, ganz und garnicht, aber vor meiner Zeit als Chef war ich selbst in der selben Situation in der du jetzt bist. Unglücklich im Job - Auf der Suche nach Neuem. Und ich wurde in dieser Zeit von vielen Menschen verurteilt und so behandelt, als könnte ich es zu nichts bringen. Deshalb ist es mir auch so wichtig dir zu helfen.", antwortet er ehrlich. Okay, wow. „Das... Das wusste ich nicht. Tut mir leid." „Es braucht dir nicht leid zu tun. Ich arbeite jetzt liebend gerne in meinem Beruf und mein bester Freund ist angestellt bei mir. Ich bezahle ihm monatlich sein Gehalt. Könnte es besser laufen?", fragt er lachend und ich kann ihn endlich wieder anschauen. Ich mag es so sehr, wenn er lacht. „Weißt du, dass es verdammt süß ist, wie du immer weg guckst, sobald du etwas ernstes ansprichst." Wieder muss ich lächeln. „Du stehst also auf dieses Machtverhältnis? Du über jedem, selbst über deinem besten Freund?" „Es klingt wirklich komisch, wenn du das sagst.", lacht er, was auch mich lachen lässt.

Vor meinem Haus bleibe ich stehen, steige aus und warte, bis er zu mir auf die Seite gelaufen ist. „Schau, selbst das haben wir jetzt hinter uns gebracht und ich glaube, wir haben uns ganz gut geschlagen." Er hat Recht. „Total.", nuschele ich, weil ich es garnicht mehr erwarten kann seine Lippen auf meinen zu spüren. Endlich kann ich dieses tolle Gefühl wieder erleben. Ich fühle mich wieder richtig lebendig. Am liebsten würde ich ihn die ganze Nacht lang küssen und auch morgens nicht damit aufhören. „Du bist unfassbar.", flüstert er, als er sich von mir löst.

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