Einige Monate später
Heute ist es endlich soweit. Seit Monaten warte ich auf diesen Tag. Und nicht nur ich warte schon so lange darauf, sondern auch Ayaz. Heute ziehen wir endlich zusammen. Es war ein langes hin und her, bis wir uns dafür entscheiden haben, aber ich denke, es ist das Richtige für uns. In meiner Wohnung hab auch schon alles zusammengepackt und ein paar Kartons haben wir auch gestern schon zu Ayaz gebracht. Nur den Keller müssen wir noch ausräumen, aber da ich sowieso nicht mega viele Dinge besitze und den Keller auch kaum genutzt habe, sollte das sehr schnell gehen. „Freust du dich umzuziehen, Shira?", frage ich meine französische Bulldogge, die schon den ganzen Tag wild herumrennt und mit dem Schwanz wedelt. „Jaaa, du freust dich!" Meine Möbel haben wir größtenteils verkauft, verschenkt oder weggeworfen, weil Ayaz ja alle Möbel schon bei sich hat. In einer halben Stunde kommt Ayaz zum letzten Mal zu mir, um alle Kartons zu sich zu bringen. Vielleicht sollte ich schonmal in den Keller gehen und einen letzten Karton füllen. Ja, das ist wahrscheinlich eine gute Idee.
Ich schließe die Kellertür auf, mache das Licht an und schaue mich um. Wie lange ich hier schon nicht mehr war. Von Werkzeug, über einen Drucker, bis zu... Stop, ist das... Das ist doch Emilios Box. Ich habe diese Box komplett vergessen. Ein paar Monate vor seinem Tod, hat er sich diese Box gekauft und mir gesagt, dass ich diese erst öffnen darf, wenn er sie mir gibt. Als ich nach seinem Tod umgezogen bin, habe ich die Box schnell in den Keller geschmissen, weil ich sie nicht sehen wollte. Ich wollte sie garnicht öffnen und habe sie seit dem wirklich vergessen. Mittlerweile bin ich mitten in meiner psychologischen Ausbildung und habe mit ihm abgeschlossen, aber gerade in diesem Moment, fange ich an zu zittern und bekomme schwer Luft. Ich muss wissen, was in dieser Box ist. Total aufgelöst schmeiße ich alles in eine Kiste und renne dann zurück in meine Wohnung. Bevor Ayaz kommt, muss ich es wissen. Ich setze mich auf den Boden in meinem ehemaligen Schlafzimmer und Shira hüpft auf meinen Schoß. Die kleine schwarze Box liegt jetzt vor mir und ich habe wirklich Angst. Ich habe Angst davor, was ich gleich sehen werde. Ich habe Angst, gleich komplett in meiner Entwicklung zurück geworfen werde und ich habe Angst, nach dem was ich gleich sehe, meinen Job nicht mehr machen zu können. Mit zitternden Händen ziehe ich den Deckel von der Box und schaue hinein. Ein Zettel. Ein Blatt Papier. Ich hole ihn heraus und starre für eine geschlagene Minute auf das karierte Papier und traue mich nicht, es aufzufalten. Langsam und so vorsichtig, als wäre es höchst zerbrechlich, öffne ich den Zettel und starre auf die geschriebenen Worte. Er hat mir einen Brief geschrieben. Wahrscheinlich einen Abschiedsbrief. Es wird bestimmt schmerzhaft das zu lesen, aber ich habe mit etwas schlimmeres vorgestellt. Ich lehne mich am Kopfende meines Bettes an und beginne zu lesen.
Hannah,
Mit Absicht schreibe ich hier nicht „Liebe Hannah", denn Liebe empfinde ich schon lange nicht mehr. Wenn du diesen Brief liest, bin ich hoffentlich tot. Höchstwahrscheinlich bist du jetzt total schockiert, aber mein Unfall war nicht wirklich ein Unfall und daran bist du nicht unschuldig. Bringen wir es hinter uns: Ich habe mich umgebracht. In diesem Brief kann ich das erste Mal wirklich ehrlich zu sein, denn jetzt kann ich sowieso nichts mehr fühlen. Aber fangen wir ganz am Anfang an. Mit dir zusammen gekommen bin ich nur, um keinen zu enttäuschen. Es wurde immer von mir erwartet, eine solide Frau zu heiraten und das wollte ich einfach hinter mich bringen. Versteh mich nicht falsch. Es gab Momente, in denen ich schon eine Art Liebe zu dir empfunden habe. Was dich aber wahrscheinlich am meisten interessiert, ist wieso ich mich umgebracht habe. Ich war einfach nicht mehr glücklich, aber ich wusste genau, dass ich kein gutes Leben mehr hätte führen können. Mein schlechtes Gewissen dir gegenüber hätte mich umgebracht (Wortspiel;)) und meine Eltern würden denken, dass ich in meinem Leben nichts mehr hätte erreichen können. Eine Sache muss ich dir noch beichten, auch das ist ein Grund, weshalb ich jetzt tot bin. Ich habe dein Vertrauen ausgenutzt. Ich wusste genau, dass du mir ohne zu Überlegen vertraust. Meine Kollegin Stella war nie nur eine Kollegin. Wenn ich Überstunden reingedrückt bekommen habe, waren das nie Überstunden. Vielleicht verstehst du jetzt auch, dass ich selten Lust hatte mit dir zu schlafen. Stella war einfach mehr mein Typ, sie war nicht so anspruchsvoll wie du. Ich hoffe, du hast meinen Tod gut verkraftet und kannst jetzt verstehen, dass ich dieses beschissene Leben nicht weiterführen wollte.
Mit unlebendigen Grüßen EmilioMeine Hand ist auf meinen Mund gepresst, weil ich mir mein Schluchzen unterdrücken muss. Das Blatt ist nass, weil meine Tränen auf das Papier getropft sind. Diesen Mann habe ich geliebt? Ich wollte ihn heiraten. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und versuche meine Gedanken zu sammeln. Er ist mir egal. Ich bin so weit gekommen und sollte mir das nicht von diesen Informationen kaputt machen lassen. Trotzdem kann ich nicht aufhören zu weinen. Ich muss mit Ayaz sprechen. Emilio hat mich betrogen und ich habe nicht mal eine Sekunde damit verbracht, daran zu denken, dass er mich mit dieser Stella hätte betrügen können. Er hatte Sex mit einer anderen, während ich zuhause Essen für ihn gekocht habe. Ich fühle mich wertlos, obwohl ich weiß, dass ich das nicht bin. Es klingelt an der Tür und ich laufe langsam in den Flur. Ich öffne die Haustür und sehe Ayaz grinsend dastehen. Als er mich sieht, erlischt sein Lachend und er sieht bedrückt aus. „Was ist los?" Ich gebe ihm den Abrieb, den ich immer noch in der Hand hatte. Er schaut ihn sich kurz an, kommt dann rein und schließt die Tür hinter sich. „Was ist das?" „Lies einfach." Er steht im Flur und liest. Die vollen Minuten die er braucht, starre ich ihn einfach nur an und sehe, wie er kreidebleich wird und genau wie ich, nicht fassen kann, was er da liest. Statt etwas zu sagen, kommt er auf mich zu und umarmt mich. Er teilt seine Stärke und seine Wärme mit mir. Er gibt mir Kraft, obwohl ich gerade total am Tiefpunkt bin. Mein ganzer Körper kämpft dagegen an, mich so tot zu fühlen, aber er versagt. Genau wie ich anscheinend in der Beziehung mit Emilio versagt habe. „Bin ich wirklich sondern schlechter Mensch?", schluchze ich und drücke mich noch mehr an ihn. „Du bist alles, aber kein schlechter Mensch. Hätte er sich nicht umgebracht, hätte er dir das alles niemals gesagt. Er ist feige und nur mutig, weil er jetzt nichts mehr mitbekommt." Ja, er hat Recht. Aber trotzdem tun diese Worte so weh. Wie kann ein Mensch, den ich so geliebt habe, so etwas sagen. All diese Jahre, die ich in diese Beziehung gesteckt habe und die ich damit verbracht habe, um ihn zu trauern, waren verschwendet. Er hat mich keine Sekunde lang geschätzt. Alles war eine Lüge. Ich fühle mich dumm. Ich fühle mich wie ein Kind. Total hilflos. Ayaz hält mich und ich verliere das Zeitgefühl. Ich kann nicht mehr einschätzen, ob erst eine Minute oder schon zehn vergangen sind. Ich löse mich von ihm und sehe den Schmerz in seinen Augen. Wie schwer es für ihn sein muss. „Sollen wir den Umzug verschieben?" Entschlossen schüttele ich den Kopf. „Die Ablenkung kann ich jetzt gebrauchen und Möbel habe ich sowieso keine mehr." Ich schnappe mir einen Karton und signalisiere Ayaz, dass wir das Auto beladen. Gerade bin ich mehr als nur dankbar, für mein Leben. Auch wenn das komisch klingt, weil ich gerade die womöglich schlimmste Nachricht bekommen habe, die man überhaupt bekommen kann, bin ich dankbar. Hätte ich Ayaz nicht kennengelernt und mein Leben wieder in den Griff bekommen, würde ich diesen Tag heute nicht überleben. Ob ich Tara und Ilenia davon erzählen soll? Wahrscheinlich eher nicht. Als Freundin wäre es wahrscheinlich das Richtige, aber ich weiß nicht, ob es für mich persönlich gut ist. Vermutlich wirft es mich nur zurück, wenn sie mich bemitleiden. Ich weiß zwar, dass ich Ayaz leid tue, aber bei ihm ist es auf eine andere Art. Bei ihm fühle ich mich einfach verstanden. Er schaut nicht bemitleidend von oben auf mich runter, sondern versucht alles was ich fühle zu verstehen und das schätze ich. Gerade würde ich es sowieso nicht schaffen, ihn gegenüber auszudrücken was ich fühle, aber ich muss mich bei ihm revanchieren. In den letzten Monaten hat er viel zu viel Gutes getan. Seit dem ich ihn kenne, hat er nur gutes getan. Womit habe ich ihn verdient? Allerdings hatte ich ein ähnliches Gefühl auch bei Emilio. Was, wenn Ayaz es nicht ernst mit mir meint und genauso schlechte Absichten wie Emilio hat. Ich will nicht, dass ich solche Zweifel habe, aber wie kann ich mein Leben normal weiterführen, während sich mein Verlobter wegen mir umgebracht hat. Ich stelle den Karton in Ayaz' Wagen ab und habe überhaupt nicht mitbekommen, dass Ayaz hinter mir ist und die nächsten Kartons absetzt. „Mach dir keine Sorgen, Hannah. Du bist so weit gekommen." „Er hat sich wegen mir umgebracht. Ich bin schuld. Ich habe ihn umgebracht." „Hannah, du bist nicht schuld. Er sucht jemanden, dem er die Schuld geben kann, weil er ein schlechter Mensch war und immer noch ist." „Wahrscheinlich hast du Recht, aber es tut so weh." Ich umklammere seinen Bauch und drücke meine Stirn an seine Schulter. Bei kleineren Problemen ist das meine Heilung, aber die Wunde, die Emilio erzeugt hat, obwohl er seit zwei Jahren nicht mehr liebt, ist wahrscheinlich einfach zu groß. Es wird ein paar Tage dauern, bis ich diesen Schock überwunden habe, aber ich bin mir sicher, dass ich es mit Ayaz Hilfe schaffen werde. Gibt es überhaupt irgendwas, das wir zusammen nicht bewältigen würden? Ich glaube nicht. Ich hebe meinen Kopf und lasse mich von ihm küssen. Er spricht mit diesem Kuss Bände, obwohl er garnichts sagt. Langsam komme ich mir vor wie eine Kassette, die einen Sprung hat, aber auch für diese Eigenschaft bin ich mehr als dankbar.
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BACK TO LOVE
RomanceEin Schicksalsschlag, der ihr ganzes Leben von Heute auf Morgen verändern sollte. Ihr Leben scheint keinen Sinn mehr zu machen, bis sie auf ihn trifft. Jung, gutaussehend und wohlhabend - All das ist er, doch wird er ihr helfen, den Weg zurück ins...