KAPITEL NEUN

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Ich steige aus meinem Auto aus und gehe die wenigen Meter bis ich vor meiner Arbeit stehe. Ich will hier nicht sein. Viel lieber würde ich zuhause in meinem Bett liegen. Am liebsten mit Ayaz. Naja, jetzt stehe ich hier und trete gerade durch die große Eingangstür. Zwar wäre es vermutlich angebracht meine Kollegen und Kolleginnen zu grüßen, aber ich mag hier niemanden und meine sozialen Ängste vereinfachen es auch nicht gerade. Wenn alles gut läuft, bin ich hier in wenigen Monaten sowieso raus. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und sehe, dass meine Kollegin, die gegenüber von mir sitzt noch nicht da ist. Ich mag sie nicht besonders, sie kichert mir zu viel und scheint irgendwie eingebildet zu sein. Ich suche meinen Ordner und öffne die Formulare, die ich noch ausfüllen muss. Eigentlich ist das auch das einzige, was ich den ganzen Tag lang mache. Formulare ausfüllen. Meine Kolleg*innen nehmen die Bestellungen unserer Kund*innen auf und ich fülle die Formulare mit den Daten aus, unterschreibe sie und schicke sie ab. Das ist alles. Mehr tue ich nicht und das den ganzen Tag lang. „Guten Morgen ihr Lieben.", begrüßt Michelle, die gerade reinkommt, alle und setzt sich dann mit ihrem Starbucks Kaffee auf den Platz gegenüber von mir. Sie sitzt zwar ungefähr einen Meter von mir entfernt, aber trotzdem wird mir übel von ihrem extrem süßen Parfüm.

Endlich haben wir Pause und ich gehe nach draußen, um ein wenig Luft zu schnappen. Ich hole mein Handy aus meiner Tasche und sehe, dass Tara mir geschrieben hat. Sie hat mir ein Foto von meiner Mutter und ihrem Freund geschickt. Die beiden sehen so glücklich aus, wie sie sich auf dem Foto anlächeln. »Mein Herz geht auf!!«, schreibe ich und schrecke dann auf, weil jemand direkt vor mir steht. „Was machst du denn hier?", frage ich staunend und schaue in Ayazs grünen Augen. Er antwortet nicht, sondern streicht mir eine Strähne meiner Haare hinter mein Ohr. „Du siehst toll aus.", haucht er in mein Ohr. „Dankeschön." „Ich muss gleich ein paar Erledigungen hier machen.", beantworte er nachträglich meine Frage. Ich nicke verstehend. „Hast du schon etwas gegessen?" Ich schüttele den Kopf. Das habe ich ehrlich gesagt vergessen. „Komm, wir gehen uns etwas zum Frühstücken kaufen."

Wir beiden stehen vor der Theke einer hübschen kleinen Bäckerei und warten, bis ich mir etwas ausgesucht habe. „Eine Zimtschnecke und ein Schokocroisant.", sage ich so leise, dass nur Ayaz es versteht. „Wir nehmen eine Zimtschneke, ein Schokocroisant und ein Caprese Brötchen.", bestellt er und ich möchte gerade mein Geld rausholen, da hat er schon bezahlt. Wir gehen mit unserem Essen nach draußen. „Dankeschön, aber das ist wirklich nicht nötig." „Doch.", antwortet er und legt seine Hand auf meinen Rücken, ehe wir zurück zum großen Bürogebäude laufen. Wir beide essen unser Frühstück. Es schmeckt wirklich fabelhaft. Keine Ahnung, warum ich in dieser tollen Bäckerei noch nie vorher war. „Du hast meine Arbeitszeit wirklich verbessert. Danke." „Das freut mich." „Wie lange bist du heute noch hier?", hake ich nach und beiße von meiner Zimtschnecke ab. „Ungefähr ein bis zwei Stunden." Ich nicke lächelnd. „Weißt du eigentlich, wie gut du in diesem Anzug aussiehst?", schmeichele ich ihm. Aber es stimmt. Er sieht unfassbar aus in diesem körperbetonten Anzug. „Das höre ich nicht zum ersten Mal.", scherzt er, was mich lachen lässt. Ich schaue auf meine Armbanduhr und sehe, dass meine Pause schon in fünf Minuten zu Ende ist. „Ich muss gleich weiter arbeiten. Die Zeit mit dir vergeht wie im Flug.", flüstere ich und gebe ihm dann einen schüchternen Kuss, den er genauso sanft erwidert. „Versuch das beste draus zu machen.", verabschiedet er sich von mir. Wir beide gehen rein, aber leider muss er in ein anderes Stockwerk als ich. Ich setze mich zurück an meinen Platz und fülle weiter Dokumente aus.

Michelle kommt ungefähr zehn Minuten zu spät aus der Pause und setzt sich kichernd auf ihren Platz. „Kiki, schau mal da drüben. Siehst du diesen Mann? Er ist unfassbar heiß.", versucht Michelle zu flüstern, was ihr aber nicht gut gelingt. Ich schaue unauffällig auch zu dem angeblich heißen Mann und sehe, dass sie über Ayaz spricht. Wäre ich nicht zu schwach, würde ich meine Computermaus gerade zerdrücken. Was fällt dieser Schlampe ein? „Oh mein Gott, dieser Mann sieht himmlisch aus." Ja, das tut er. Ich versuche mich weiter auf meine Arbeit zu konzentrieren, was mir aber nicht gut gelingt, während diese zwei Schlampen Ayaz anschmachten. „Denkst du ich sollte ihn ansprechen? Was der wohl alles mit mir machen könnte.", fragt Michelle schließlich. Okay, es reicht. „Nein, solltest du nicht. Er ist nicht interessiert.", antworte ich etwas zu laut, bevor Kiki es konnte. „Ach, du kannst sprechen?" „Ja, und zwar nicht nur Scheiße, so wie du es tust.", fauche ich und stelle mich hin um besser auf sie hinab zu sehen. Gerade, als Michelle antworten wollte dreht sich Ayaz zu uns um und schaut mich an. Er kommt sofort auf mich zu. „Alles in Ordnung?" „Nein.", brülle ich schon fast, was ihn offensichtlich verwundert. „Komm. Du solltest jetzt gehen.", bestimmt Ayaz, packt schnell meine Sachen zusammen und zieht mich dann an meinem Oberarm nach draußen.

Am Parkplatz angekommen, lässt er meinen Arm los. „Was war da gerade los?" „Nichts.", versuche ich der Situation zu entkommen. „Hannah.", sagt er warnend. Ach man. Ich will ihm auf keinen Fall erzählen, dass ich eifersüchtig wurde und deswegen eine meiner Kolleginnen angeschrien habe. Habe ich vielleicht zu sehr im Effekt gehandelt und mich von meiner Wut leiten lassen? „Hannah, entweder du erzählst es mir jetzt, oder ich gehe wieder rein und frage sie." Das kann nicht dein Ernst sein. Ich öffne die Fahrertür, setze mich hinein und warte einige Sekunden, bis er auf dem Beifahrersitz sitzt. „Also... Sie hat eben Sachen gesagt, die mich gestört haben." Hoffentlich fragt er nicht weiter nach. „Was denn für Sachen?" Scheiße. „Über dich.", presse ich schließlich raus und schaue stur aus dem Fenster. Er lacht. Damit habe ich jetzt irgendwie nicht gerechnet. „Über mich? Was hat sie denn gesagt?" „Naja, eben wie sie dich findet und so." „Wie sie mich findet? Also wurdest du eifersüchtig?" „Man! Ja, vielleicht.", schreie ich verzweifelt und starte den Wagen. Er lacht einmal auf und schaut mich dann an. Ich erwidere seinen Blick. „Du weißt garnicht, wie sehr du mir gefällst, Hannah." „Und du weißt garnicht, wie sehr du mir gefällst, Ayaz."

„Dank dir habe ich jetzt Minus Stunden.", maule ich und schließe die Getränkekarte, weil ich mich entschieden habe. „Wieso arbeitest du überhaupt noch dort? Mein Angebot steht." Ich nicke. „Ja. Und ich habe mir überlegt, dass ich dein Angebot gerne annehmen würde. Zumindest zum Teil. Ich möchte einen neuen Beruf finden, aber damit ich finanziell unabhängig bleibe, würde ich bis ich etwas gefunden habe weiterhin bei Inception arbeiten." „Okay. Aber bitte behalte im Hinterkopf, dass ich dir auch pekuniär helfen kann, wenn du es bei Inception nicht mehr ausshälst." „Das ist unglaublich nett von dir.", bedanke ich mich ehrlich und sehe, dass eine Kellnerin an unseren Tisch kommt. „Den Maracuja Saft für mich.", flüstere ich ihm zu. „Für sie einmal den Maracuja Saft und für mich einen Fruits Mix, danke.", bestellt er und wartet bis die Kellnerin lächelnd geht. „Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass du nicht selbst bestellst?" Irgendwann musste dieses Gespräch ja kommen. „Naja, ich habe seit meiner Kindheit schon soziale Ängst. Mit fremden Menschen zu sprechen fällt mir sehr schwer." erkläre ich. „Zumindest mit den meisten.", füge ich dann noch hinzu. „Das verstehe ich. Für mich ist es jedenfalls kein Problem für dich zu bestellen.", sagt er lachend, was mir wieder sofort meine Unsicherheiten nimmt. Sein Lächeln ist genauso schön wie alles an ihm. Und damit meine ich nicht nur sein Aussehen, sondern auch seinen Charakter. Er ist so großzügig und liebenswürdig. „Was meinst du mit den Meisten? Soll das etwa heißen, dass es bei mir anders war?", will er schmunzelnd wissen. „Nun ja, ich war bei dir am Anfang auch schüchterner, aber komischerweise war es bei dir nicht so schlimm, wie es bei anderen ist.", antworte ich ehrlich. Unsere Getränke kommen an und ich trinke meins mit einem Schluck schon bis zur Hälfte leer. „Da ist jemand durstig. Was fällt mir eigentlich ein, eine Extrem-Wassertrinkerin in einen auf Getränke spezialisierten Laden zu schleppen.", fragt er lachend. „Hey, ich trinke Saft. Siehst du doch.", antworte ich und lache sofort mit ihm.

„Danke, dass du mir so sehr vertraust und mein Angebot annimmst.", sagt er und bleibt höflich vor der Tür stehen. „Danke, dass du für mich da bist, Ayaz." Er zieht mich an sich und küsst mich leidenschaftlich. Ich will nie mehr ohne ihn sein. Nach einigen Sekunden löst er sich von mir, dreht sich lächelnd zur Tür und geht raus. Ich bleibe noch einen Moment so stehen und habe das Gefühl, dass die ganze Welt sich dreht. Das Gefühl von seinen Lippen auf meinen und das Bild wie er lächelt haben sich in meinem Kopf eingebrannt.

Ich will nie wieder etwas anderes sehen.

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