KAPITEL ZWÖLF

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Der Vorfall mit Ayaz ist jetzt schon eine Woche her und seit dem habe ich meine Wohnung nicht verlassen, wenn ich es nicht musste. Nur spazieren mit Shira und arbeiten war ich. Zwar hat er mir einige Nachrichten geschrieben, aber besuchen kam er mich nie, was mich unterbewusst irgendwie gestört hat, auch wenn ich ihm letzte Woche nicht in seine wunderschönen Augen schauen konnte. Michelle habe ich ignoriert, was mir nicht schwer gefallen ist, weil ich alle Kolleg*innen seit Jahren versuche zu ignorieren. Ich wäre mittlerweile bereit wieder mit Ayaz zu sprechen und er hat sicherlich nichts dagegen, wie ich es seinen Nachrichten entnehmen konnte. In der letzten Woche ist mir aber nicht nur einmal der Gedanke gekommen, ob ich nicht total kindisch gehandelt habe. Eine erwachsene Entscheidung wäre vermutlich, ihm erst zuzuhören und mir dann eine Meinung zu bilden gewesen, aber ich habe im Affekt gehandelt und das ist eben daraus geworden. Ich stehe hinter meiner Entscheidung aber bin nicht abgeneigt zu erfahren, was am Sonntag wirklich passiert ist. Da ich sowieso noch eine Runde mit Shira gehen muss, ziehe ich mir meine Schuhe an und gehe nach draußen. Während ich an der frischen Luft bin, kann ich nochmal gründlich nachdenken und mich dann entscheiden was ich mache.

Ich habe mich heute für einen anderen Weg entschieden, weil mich der Park sehr stark an Ayaz erinnert und ich mal etwas Ablenkung nötig habe. Shira scheint es auch zu gefallen, denn sie wedelt aufgeregt mit dem Schwanz, riecht an jeder Ecke und erkundet die Gegend. Wir laufen an einem einige Meter von meiner Wohnung entfernen Feldweg. Neben uns blühen tausende Blumen, die vorallem in der Abendsonne wunderschön aussehen. Mein Gefühl und mein Herz sagen mir mit absoluter Sicherheit, dass ich mit Ayaz sprechen soll. Es kann mich sowieso nichts schlimmeres als die Wahrheit erwarten, obwohl diese vermutlich verdammt wehtun wird. Ich bin mir wirklich nicht sicher, aber ich glaube, dass ich ein Mensch bin, der viel mit dem Herz denkt und handelt. Jedoch kann das meiner Meinung nach kein Mensch richtig einschätzen.

Wieder Zuhause angekommen, bin ich mir sicher die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich werde mir anhören, was er zu sagen hat und dann entscheiden. So hätte ich schon vor eine Woche handeln sollen, aber besser spät als nie. Ich öffne unseren Chat auf meinem Handy, lese aber keine der Nachrichten, weil mich diese vermutlich emotional machen würden. Oh man, gerade wird mir klar, wie unfassbar egoistisch es von mir war, ihm eine Woche kein Lebenszeichen von mir zu geben. Wir sind uns so oft zufällig im Park begegnet und kaum melde ich mich nichtmehr bei ihm, sehen wir uns dort nicht ein einziges Mal? Irgendwie ist das komisch. »Können wir uns treffen um zu sprechen?«, schreibe ich ihm und sitze aufgeregt auf der Bettkante. Mein Bein wackelt und ich erwische mich selbst, wie ich an meinem Fingernagel kaue, weil ich so Angst vor seiner Antwort habe. Ich kraule Shira und springe sofort auf, als ich mein Handy vibrieren höre. Es ist „nur" Ilenia, die sich bei mir meldet. Oh Gott, selbst bei meiner besten Freundin habe ich mich nicht gemeldet, weil ich viel zu sehr in Gedanken war. Ich versichere ihr schnell, dass es mir gut geht und als mein Telefon das zweite Mal vibriert weiß ich, dass es Ayaz ist.

Es dauert bestimmten zwei Minuten, die sich anfühlen wie eine halbe Ewigkeit, bis ich mein Handy umdrehe und seine Nachricht lese. »Ja, sehr gerne. Ich komme jetzt zu dir, ist das in Ordnung?« Okay, das war jetzt unspektakulärer als ich dachte, aber was habe ich eigentlich erwartet? »Ja, passt.« Ayaz kommt also in ein paar Minuten zu mir. Ich lege meine Hand auf mein Herz, um mich zu beruhigen und um zu fühlen, wie schnell es schlägt. Es schlägt extrem schnell. Ich nehme meinen Hund auf den Arm und versuche mich durch sie zu beruhigen, aber es funktioniert nicht. Das einzige, das mich immer beruhigen konnte war in Ayaz Armen zu sein. Genauso war es auch früher bei Emilio, sobald er mich versucht hat zu beruhigen, hat es funktioniert. Ich kann meinen Gedankengang nicht fortsetzen, weil es an der Tür klingelt. Verdammte Scheiße er ist wirklich schon da. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe ihm gegenüber zu treten ohne, dass meine Beine nachgeben. Ich höre, wie er unten in den Fahrstuhl steigt und weiß, dass es jetzt nur noch wenige Sekunden dauert, bis er vor meiner Tür steht. Ich atme so tief ein wie ich kann und habe trotzdem das Gefühl, dass der Sauerstoff nicht für mich reicht. Ich brauche mehr! Shira hat sich neben mich hingesetzt und schaut genauso gespannt aus der Tür, wie ich es tue. Der Aufzug bleibt oben stehen und Ayaz steigt unsicher schauend aus.

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