Kapitel 28

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lieben [Verb] - eine besonders starke geistige, körperliche oder emotionale Bindung zu einem bestimmten Menschen haben

Während des Essens herrscht lediglich Stille zwischen uns, was wahrscheinlich auch besser so ist.

Trotzdem beobachte ich Sam immer wieder mehr oder weniger heimlich. Sein Verhalten hat sich kaum verändert, auch wenn er vom Aussehen her noch erwachsener geworden ist.

"Hast du eigentlich noch oder wieder Kontakt zu deinem Bruder?", platze ich raus, als ich gerade die Essensverpackungen im Müll entsorge. "Selbst ihm hast du ja nicht gesagt, dass du abhaust."

Sam seufzt. "Ich hab ihm ein paar Tage später Bescheid gesagt, wo ich bin. Er hat mir zahlreiche Vorwürfe gemacht und wollte erst mal nichts mehr von mir wissen. Ob du's glaubst oder nicht, du bist meinem verkorksten Bruder echt ans Herz gewachsen", lacht er. "Nach einem halben Jahr hat er mich das erste Mal besucht und seitdem ist unsere Beziehung eigentlich ganz gut. Er ist auch viel erwachsener geworden. Und er hat jetzt einen Freund", grinst Sam. "Ich bin so stolz auf ihn."

Wow, also bei Ethan hätte ich es echt nicht erwartet, dass er schwul ist, aber es freut mich, dass er sich so gefunden hat und glücklich ist.

"Das finde ich toll. Lebt er noch in New York?"

Sam schüttelt den Kopf. "Nein, er hat Levi kennengelernt, als er mich hier besucht hat. Vor zwei Jahren ist er deshalb hierher gezogen. Das Haus, was uns unsere Mutter vererbt hat, haben wir vermietet."

Ich nicke bloß. "Und du hast wohl Karriere gemacht, nachdem du mich verlassen hast." Auch wenn ich es nicht will, bin ich sicher, dass meine Stimme ein Stück weit vorwurfsvoll klingt.

"Du auch, Malea."

Ich darf mich davon nicht so aus der Ruhe bringen lassen, dass er noch immer meinen Erstnamen verwendet.

"Sam, ich will wissen, wieso du damals gegangen bist. Ob du mich nicht mehr geliebt hast? Ich will alles wissen, bitte. Aber lass uns uns bitte auf die Couch setzen, damit dieses doch private Gespräch nicht so verkrampft geschäftlich rüberkommt." Ich stehe von meinem Stuhl auf, streife mir diese hochhackigen Schuhe ab und gehe barfuß rüber zum Sofa, auf welches ich mich fallen lasse und erneut seufze.

"Okay, wenn du wirklich die Wahrheit hören willst, dann bitte." Sam steht auf und setzt sich neben mich aufs Sofa. "Ich hab dich geliebt, wie ich noch nie jemanden geliebt habe. Und wenn man jemanden liebt, leidet man mit demjenigen. Aber du warst in diesem Loch und hast mich gleichzeitig immer mehr mit darein gezogen und mich trotzdem von dir weggestoßen, was mich teilweise sehr verletzt hat. Ich bin mit dem Tod von Minou genauso wenig klar gekommen wie du. Aber wir hätten uns früher oder später gegenseitig zerstört, wenn ich bei dir geblieben wäre. Das Jobangebot aus Seattle für die Beförderung hatte ich schon länger und dann hab ich die Chance vom einen auf den anderen Moment genutzt, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, dass du mich so von dir wegstupst." Sam hat während seines Vortrags starr an die Wand hinter meinem Schreibtisch geguckt und nicht ein einziges Mal in meine Richtung. Dort schaut er erst hin, als er aufgehört hatte, zu reden.

Unser Blickkontakt ist noch immer so intensiv wie früher.

"Und seit ich hier bin, hatte ich mit keiner einzigen Frau irgendwas. Ich wollte, aber ehrlich? Ich hab immer an dich denken müssen, ich konnte einfach nicht", seufzt Sam. "Und jetzt bist du hier."

Ich nehme all meinen Mut zusammen. "Liebst du mich noch?"

"Ich habe dich verlassen, um dich vor mir zu schützen, wenn die Trauer erst richtig aus mir hinausbricht. Aber die Liebe zu dir ist nie weniger geworden, Malea."

Mein Herz macht einen unfassbaren Sprung in meiner Brust.

"Meine Liebe zu dir ist auch nie weniger geworden, Sam. Egal, was ich dagegen versucht habe..."

Wir sehen uns noch immer intensiv in die Augen. Und dann scheinen wir denselben Gedanken zu haben, da sich unsere Köpfe gleichzeitig und im selben Rhythmus aufeinander zu bewegen und sich unsere Lippen wie früher berühren und im Einklang bewegen. Sie passen noch genauso wie früher aufeinander und die Gefühle während des Kusses sind ebenfalls dieselben.

Der Kuss wird immer intensiver, unsere Hände erkunden unsere Körper - wie früher. Irgendwie komme ich nicht daran vorbei, alles mit früher zu vergleichen, denn es hat sich nichts verändert. Wir sind immer noch dieselben, nur viel stärker.

Die Luft brennt. Sam schiebt gerade seine Hand von unten in meinen Rock und macht sich an meinem Slip zu schaffen, als es an der Tür klopft und bevor wir irgendwie reagieren können, Louis hineinkommt. Auch wenn ich auf den Boden sehe und innerlich im Boden versinke, weiß ich, dass er es ist, da ich ihm mal gesagt habe, dass er nach seinem Klopfen nicht warten muss, bis ich ihn hineinbitte. Jetzt wünsche ich mir, ich hätte dies nie gesagt.

Sam lässt mich los, als hätte er sich verbrannt und räuspert sich peinlich berührt.

"Louis, was gibt's?", frage ich möglichst professionell, obwohl ich eigentlich gar keine Luft dafür habe. "Sie sollten doch Feierabend machen."

"Ehm, ja, ich habe noch eine Terminanfrage reinbekommen, aber eeeeh... Ich komme einfach nachher noch mal!", erklärt Louis beschämt und schließt die Tür schnell wieder hinter sich.

Ich sehe Sam an und kann nicht anders, als über diese verkorkste Situation zu lachen. Innerhalb von ein paar Sekunden habe ich ihn mit meinem Lachen angesteckt und wir liegen kichernd und küssend auf meiner Bürocouch - wie frisch verliebte Teenager.

Verschütteter Kaffee macht schwanger!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt