Totgeburt, die [Substantiv] - nach der Geburt eines Kindes ist kein erkennbares Lebenszeichen nachzuweisen
Es dauert nicht lange, da kommt Schwester Selly ins Zimmer und fährt eines dieser typischen Krankenhausbabybettchen vor sich her. "Sind Sie bereit, Miss Garcia?"
Ich nicke, während mein Blick starr auf das Bettchen gerichtet ist. Von Weiten sieht man schon einen kleinen Babykörper im Bettchen liegen. Von hier aus könnte es immer noch sein, dass sie atmet.
"Sie ist so gut wie voll entwickelt: 50 Zentimeter groß und 3200 Gramm schwer. Haben Sie einen Namen für sie?", fragt Selly, während sie ins Bettchen greift und meine Minou hochhebt.
"Sie heißt Minou", sage ich und beobachte jeden Handgriff der Schwester. Minou lebt, ich weiß es ganz genau.
"Das ist ein sehr schöner Name, Miss Garcia." Sam schluchzt erneut hörbar auf.
Selly überreicht mir meine kleine Tochter und geht einen Schritt vom Bett zurück. Ich sehe Minou an. Sie ist wunderschön. Sie haben ihr einen Body des Krankenhauses angezogen. In ihren Gesichtszügen erkennt man deutlich Details, die mir oder Sam zuzuschreiben sind.
"Sie hat deine Nase, Sam." Dieser schluchzt wieder nur und sieht Minou nicht an, stattdessen blickt er nur auf meine Bettdecke.
"Warum atmet sie denn nicht?", frage ich nun hysterisch. Ihre Brust hebt und senkt sich kein einziges Mal. Meine Welt bricht zusammen, denn nun habe ich Gewissheit: Meine Minou ist wirklich tot. "Sie atmet nicht!", brülle ich und das erste Mal kommen Tränen bei mir auf.
Ich sehe nicht mehr durch meinen Tränenschleier hindurch, sondern höre nur, dass Sam von seinem Stuhl aufspringt und mit den Worten "Ich kann das nicht!" den Raum verlässt.
"Sie soll atmen!", schreie ich und spüre nur, wie Schwester Selly langsam wieder auf mich zukommt.
"Miss, es tut mir leid. Sie wird nicht atmen, wir haben unser Bestes getan."
Nun weine ich bitterlich. "Ich kann sie nicht mehr ansehen. Bitte bringen Sie sie wieder weg!"
"Natürlich, Miss Garcia." Selly nimmt Minou augenblicklich wieder an sich, legt sie zurück ins Bettchen und verlässt den Raum.
Sam ist immer noch nicht zurück, aber nun bin ich diejenige, die laut aufschluchzt. Elia steht von ihrem Stuhl in der Ecke des Raumes auf und kommt zu mir. "Es tut mir so leid, Schatz!"
"Ich konnte es nicht mehr weiter ertragen, dass sie nicht geatmet hat", weine ich und drücke meinen Kopf gegen Elias Bauch, während sie mir sanft über den Kopf streicht.
"Das ist in Ordnung, Sophia... Psscht, beruhige dich." Sie streichelt mir leicht über den Rücken.
"Es ist wie als hätten sie mir einen Teil meines Herzens rausgerissen."
Wie kann man einen kleinen Menschen schon so sehr lieben, wenn er noch gar nicht auf der Welt war? Nun, sie ist mein eigenes Fleisch und Blut.
~
Ich blieb noch einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus, doch mir ging es körperlich hervorragend, wenn auch auf keinen Fall psychisch. Eine Totgeburt kann man eben nicht einfach mal schnell zwischen Tür und Angel verkraften. Sam hat mich gestern nicht einmal besucht, aber dafür war Elia fast die ganze Zeit bei mir und Sam hat versprochen, mich gleich abzuholen.
Ich befreite mich gerade von diesem elendigen Krankenhemdchen und zog die Klamotten an, die Elia mir gestern mitgebracht hatte. Jetzt, wo mein Schwangerschaftsbauch fast vollständig verschwunden war und sich nur noch das überschüssige Gewebe zurückbilden musste, konnte ich wieder Elias Sachen anziehen. Darauf hatte ich mich gefreut: Dass ich nach der Geburt endlich wieder meine normalen Lieblingsklamotten tragen kann. Aber wer hätte da gedacht, dass ich das Krankenhaus ohne Baby verlasse, wenn ich es doch mit Baby im Bauch betrete?
Ich ziehe mir das Shirt über, da klopft es an der Tür. Sam tritt ein. "Hey..."
"Hi", antworte ich, während ich mein Nachthemd von vorgestern Nacht und meine Entlassungspapiere nehme und zur Tür gehe. Die Schwestern waren so nett und hatten mein völlig verblutetes Nachthemd sogar für mich gewaschen.
Sam und ich verlassen das Krankenhaus schweigend und auch während der Autofahrt herrscht eine unangenehme Stille. Er hat noch kein einziges Wort mir gegenüber über Minous Tod gesprochen. "Lassen wir Minou beerdigen?", breche ich die Stille mutig.
Sam zuckt kurz erschrocken auf, hält das Lenkrad aber weiterhin fest in der Hand. "Meine Mum hat ein Familiengrab bekommen."
Ich nehme das also als "Ja" hin. Ein bisschen komisch finde ich es dann aber schon, dass beide Minou Adams heißen und im selben Grab beerdigt sind. Minou sollte nämlich den Nachnahmen ihres Vaters bekommen, den Bogen hatte Sam schon während meiner Not-OP ausfüllen sollen, als klar war, dass das Baby geholt werden sollte.
Sam fährt sein Auto in die Tiefgarage, wir steigen schweigend aus und fahren genauso schweigend mit dem Aufzug hoch zu unserer Wohnung. Sam sperrt die Tür auf und verschwindet in die Küche, ohne auch nur ein Wort mit mir zu reden. Ich habe vor, mich in meinem Zimmer ins Bett zu legen und mich erst einmal zu verkriechen, doch auf dem Weg dahin, komme ich am Kinderzimmer vorbei.
Die Tür ist zu und auch als ich die Klinke hinunterdrücke, geht die Tür nicht auf. Ich entdecke den Schlüssel oben auf dem Türrahmen, nehme ihn und sperre die Tür auf. Ich gehe schnell in den Raum hinein und schließe die Tür wieder hinter mir. Mein Blick fällt auf die kleine Wiege, in der meine Tochter jetzt eigentlich liegen sollte.
So beginnt der erste Tag, an dem ich einfach nur in dem Sessel vor dem Babybettchen sitze und dieses mit starren Blick ansehe.
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Verschütteter Kaffee macht schwanger!
General FictionFür Sophia bedeutete es große Freiheit, dass sie nun endlich 4.000 Kilometer von ihren bestimmerischen Eltern entfernt wohnte und zusammen mit ihrer besten Freundin Elia alles tun konnte, was sie wollte. Doch diese Freiheit hielt leider nur knappe e...