Verfluchter Besuch

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Der Linksverkehr war zu Anfang doch eine recht große Umstellung und trotzdem bei weitem nicht die größte. Angefangen mit diesen unsinnigen Geschwindigkeitsbeschränkungen und aufgehört mit diesem höflichen Getue, selbst wenn sich diese Menschen nur im Auto gegenüberstanden. Diese ganze Farce hielt die blonde Frau mittleren Alters schon mehr als vier Stunden aus. Ihr Mann stellte sich dabei als keine große Hilfe heraus, denn er ermahnte sie, mit nervtötender Regelmäßigkeit, sich dem Verkehr anzupassen. Ihn fahren zu lassen, kam auch nicht in frage, denn er fuhr wie diese Idioten da draußen. Japaner konnten einem doch wirklich den letzten Nerv rauben. Es grenzte beinahe an ein Wunder, dass sie die letzten dreißig Jahre hier in diesem Land überlebt hatte. Ohne ihre Landsleute auf der Arbeit, dem Amt für internationalen Austausch von Jujuzisten in Kyoto, hätte sie wohl trotz ihrer Familie hier zumindest zeitweise die Zelte abgebrochen.
Entschlossen fuhr sie auf der rechten Spur an der Schlange viel langsamer fahrender Auto vorbei, als sich der Mann auf dem Beifahrersitz zu Wort meldete: „Nastja, du brauchst nicht mehr überholen. Wir müssen die nächste Ausfahrt nehmen. Die Schule ist doch gleich hier.“ Genervt biss die Angesprochene die Zähne zusammen und festigte ihren Griff um das Lenkrad. „Gen, ich fahre jetzt nicht zur Schule. Wir bringen jetzt erstmal unsere Koffer in ihre Wohnung und dann will ich mir ihre Wohnung ansehen. Das Mädchen lebt sicher wieder in einem Saustall, der seinesgleichen sucht. Ich habe keine Lust auf ein Theater wie beim letzten Mal“, erklärte die Frau ihrem Mann und fuhr weiter gnadenlos an den anderen Autofahrern vorbei.
Als sie nämlich das letzte Mal zu Besuch bei ihrer Tochter waren, hatte es eine riesige Auseinadersetzung zwischen Mutter und Tochter gegeben. Eine Tochter die nicht einsah, etwas an ihrer Haushaltsführung zu andern und eine Mutter, die nicht klein bei gab und ihren Willen mit allen Mitteln durchsetzte. Dazwischen ein, für Japaner typisch, zurückhaltender Mann, der es sich weder mit seiner Frau noch mit seiner eignen Tochter verscherzen wollte.
Der brünette Mann fuhr sich resignierend durch sein mit grauen Strähnen durchzogenes Haar. „Dir ist klar, dass wir dann noch größeres Theater haben. Du solltest langsam die Privatsphäre unserer Tochter respektieren“, rügte Gen seine Frau, die jedoch einfach unbeeindruckt weiter fuhr. „Sie ist meine Tochter, also kann ich auch in ihre Wohnung“, begann sie und verließ über eine Abfahrt sie Autobahn, „Außerdem hielt ich das sowieso für eine irrwitzige Idee sie herziehen zu lassen. Seit sie hier lebt, führt sie ein Lotterleben, das schwer zu übertreffen ist. Sie könnte genauso gut bei uns in Kyoto an der Schule arbeiten. Gakuganshi liegt mir seit ihrem Abschluss in den Ohren, ich solle sie überzeugen zurück nach Kyoto zu kommen. Zumal der ursprüngliche Grund für ihren Umzug ja nicht mehr existent ist.“

Die Tür, die zur Wohnung Suki Kyozos führte, wurde mit Schwung aufgeworfen. Energischen Schrittes trat Anastasja Kyozo gefolgt von ihrem Mann Gen Kyozo ein. Der Blick der Vollblutrussin suchte den Flur sogleich nach jedem noch so kleinen Makeln ab. Nichts blieb dem prüfenden Augen der 53-Jährigen verborgen. Während sie sich auf der unteren Etage umsah, trug ihr Mann ihre Koffer, in die Obere, so konnte sich Anastasja voll und ganz der Kontrolle des Essensvorrates ihrer Tochter widmen. Zwar wollte das Ehepaar erst zum 6. Januar ihre Tochter besuchen, aber das, was Suki während des letzten Telefonats mit ihrer Mutter sagte, bewegte sie doch dazu noch einmal vorbeizukommen. Der Schrank, den Nastja gerade durchsuchte, bestätigte sie darin mit ihrem Kommen die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Es herrschte gähnende Leere. Dieses Mädchen schien wirklich nicht einkaufen zu gehen. Wovon ernährte sie sich denn bitte? Eine ordentliche Ernährung war doch nicht so schwer zu erreichen.
„Ich brauche gar nicht erst weiter zu schauen. Hier fehlt es an allem“, meckerte sie und zog sich sogleich einen Stuhl vom kleinen Küchentisch heran und stieg darauf. Soweit sie konnte, streckte sich die Russin und fuhr mit dem Zeigefinger ohne alt zu großen Druck über die Oberseite der Küchenschränke. Genaustens betrachtete sie den Finger, an dem eine dunkelgraue Schicht Staubes hing. Man konnte kaum noch die Haut ihrer Fingerkuppe darunter erkennen. Angeekelt verzog die Blondine das Gesicht. „Das Kind hat nicht einmal sauber gemacht. Kein Essen, nur Dreck, was kommt als Nächstes?“, fragte sie sich und bekam sogleich, die Antwort durch ihren Mann, der wie ein Wilder die Treppe heruntergestürmt kam und atemlos vor ihr stehen blieb. „Dort lebt jemand im Gästezimmer!“ Verwundert zog die Frau eine ihrer dünn gezupften Augenbrauenzusammen. „Wir haben uns nicht angekündigt. Da kann sie auch noch anderen Besuch haben“, versuchte die Blondine zu dem Sachverhalt zu erklären, als ihr Mann jedoch ein weiteres kleines Detail preisgab, verschwand die anfängliche Gelassenheit und wurde durch feurigen Eifer ersetzt. „Habe ich dich richtig verstanden? Ein Mann? In der Wohnung meiner Tochter? Jemand anderes als Satoru Gojo?“, die Euphorie in ihrer Stimme konnte niemand leugnen. Mit neuem Elan ging sie schnurgerade die Treppe empor und riss die Pforte zum Gästezimmer auf. Was sich da ihren goldenen Augen offenbarte, riss ihr jeglichen Boden unter den Füßen weg. Nicht nur die Unordnung erschlug Nastja beinahe, nein auch der Blick zum offenen Schrank, den die Russin wagte, offenbarte ihr vieles.
„Sie hat nicht nur Besuch! Es wohnt ein Mann hier mit in ihrer Wohnung“, stellt sie lauter als gewollt fest und drehte sich zu Gen um, der ihr gefolgt war. „Warum hat unsere Tochter uns verheimlicht, dass jemand bei ihr wohnt?“, fragte sie direkt an ihren Mann gewandt, der im Gegensatz zu ihr allen Anschein nach genau wusste, warum ihre Tochter nichts von einem Mitbewohner gesagt hatte. „Das kann vielleicht daran liegen, dass du meistens mehr in ihrem Besuch hineininterpretierst. Du willst sie mit jedem Mann verheiraten, der überhaupt nur mit ihr redet“, entgegnete ihr Gen, der sich mittlerweile an den Türrahmen gelehnt hatte. Die russische Frau verdrehte sie Augen und begann die Sachen im Zimmer zu durchwühlen. „Nebenher grummelte sie noch leise: „Immer noch besser als du, für den kein Mann gut genug für unsere Tochter ist.“
Es musste doch etwas Interessantes hier geben, aber das einzige, was Nastja feststellen konnte, war der sehr einfach Geschmack des Mannes. Nichts was herausstach oder mehr als Basic, wie man es heutzutage nannte, war.
Während sie mit der Kleidung beschäftigt war, sah sich Antiquitätenhändler mit den Büchern auseinander, die hochgestapelt auf dem Nachttischchen lagen. „Also der Mann scheint wirklich Geschmack zu haben, was Bücher angeht, jedoch ist der Anteil der Bücher über altertümliches Jujustu  bedenklich hoch. Ich denke, es handelt sich hier nur um einen Kollegen, der eine Unterkunft auf Zeit braucht“, erklärte der grau melierte seiner Ehefrau und blätterte dabei durch die Bücher. Anastasja schüttelte  nur den Kopf und sammelte die Kleidung auf, die auf dem Boden verteilt war. „Ich hoffte bei unserer Abreise heute Morgen inständig, ich müsste hier nicht aufräumen, einkaufen und kochen, aber ich werde mit Männerbesuch hier wohl nichts drum rumkommen. Deine Tochter hat wirklich keine Gastgeberqualitäten. Nicht mal eine kleine Schale mit Süßigkeiten hat sie hier hergestellt.“

Cursed (SukunaxOc) (Jujutsu Kaisen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt