Kapitel 11: Erste Liebe (1.125)

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Seungmin:

Gedankenverloren sitze ich zusammen mit Ryujin im Café und lausche einfach ihrer Erzählung über die letzte Tanzstunde — die ich ausfallen lassen habe und die wohl sehr lustig gewesen schien — nachdem wir uns zuvor gemeinsam einen Film angesehen haben, um mal wieder gemeinsam etwas Zeit zu verbringen. Diese Zweisamkeit ist in der letzten Zeit für mich irgendwie immer mehr in den Hintergrund gerückt, weil ich fast 24/7 an Chan denken musste.

Er fehlt mir einfach.

Chan und ich sind jetzt schon so lange befreundet gewesen, dass ich mich schon vollkommen an seine fürsorgliche und fast väterliche Art gewöhnt habe, die jetzt wo er sich über seine Gefühle und Gedanken klar werden muss und deshalb zu mir auf Abstand geht, natürlich fehlt.

Ich merke jetzt erst, wie selbstverständlich es doch für mich war, obwohl es das eigentlich niemals war...

„Hey, MinMin. Ist alles okay bei dir? Du wirkst irgendwie so abwesend." reißt mich die Stimme meiner Freundin aus meinen verworrenen Gedanken. „Erinnerst du dich noch an deine erste Liebe?" frage ich sie wie aus dem nichts heraus. Diese Worte kamen einfach über meine Lippe, ohne dass ich sie kontrollieren konnte.

Auch Ryu scheint von dieser Frage mehr als nur überrascht, was mir ihre geweiteten und auch leicht überfordert wirkenden Augen verraten.

„Ähm klar. Die erste Liebe zu vergessen geht kaum bis gar nicht. Wie kommst du denn auf diese Frage?" „Wann und wer war deine erste Liebe?" frage ich, ohne auf ihre Frage einzugehen. Ich möchte es einfach wissen.

„Das war in der Grundschule. Ich erinnere mich noch genau an ihn. Er war echt niedlich und gefühlt der einzige Junge, der auch mit mir und meiner Mädelsclique unsere selbsterfundenen Spiele gespielt hat. Er hatte wunderschöne, braune Augen. Sein Name war Hongjoong. Ich mochte ihn sehr. War ihm gegenüber immer sehr schüchtern. Aber er hatte auch ein Auge auf mich geworfen. Ich erinnere mich noch genau daran, dass er eines Tages plötzlich mit seinem Fahrrad vor meiner Wohnung stand und mir Blumen geschenkt hat. Ich habe sie natürlich in eine Vase gestellt und sehr in Ehren gehalten. Ich habe sie erst weggeschmissen, als meine Mutter dieses dürre Gestrüpp nicht mehr ertragen konnte. Schweren Herzens musste ich dann jedoch den Verlust meines ersten Geschenkes eines Jungen akzeptieren. Ich wollte ihm als Dankeschön für diese Blumen danach auch etwas geben, doch habe mich einfach nicht getraut, ihn anzusprechen. Deshalb habe ich das kleine Geschenk einfach in seinen Ranzen geschmissen. Bis heute weiß ich nicht, ob er es überhaupt jemals gesehen hat und von wem es war weiß er auf jeden Fall nicht. Mittlerweile bereue ich es etwas, aber es war dennoch eine wunderschöne Erfahrung." erzählt mir meine Freundin lächelnd, wodurch auch ich lächeln muss.

„Ich erinnere mich auch noch daran, dass mir meine Mutter, die als Erzieherin in meiner Grundschule gearbeitet hat, erzählt hat, er habe jemanden aus meiner Parallelklasse geküsst. Das hat mich wirklich sehr verletzt. Bestimmt gehörte er zu denen, die mit ihren vielen Freundinnen geprahlt haben. Ich erinnere mich auch noch, dass meine damalige beste Freundin und ich beide ein Auge auf ihn geworfen hatten und uns deshalb sogar stritten, wobei ich mich heute frage, wieso?" lacht die Jüngere dann, wobei ich mit einsteigen muss.

„Und was ist mit dir, Seungmin? Wann und wer war deine erste Liebe?" fragt meine Freundin dann, nachdem wir uns vom Lachen wieder eingekriegt haben und trinkt anschließend noch einen Schluck ihrer heißen Schokolade. Augenblicklich beiße ich unbehaglich auf meiner Unterlippe herum und starre einfach nur in meine heiße Schokolade, ehe ich ihr antworte.

Sie hat mir von ihrer ersten Liebe erzählt, also muss ich ihr auch meine beichten. Nur das ist fair.

„Wie du ja weißt bin ich bi. Das heißt..." „Das heißt deine erste Liebe war ein Junge?" unterbricht sie mich neugierig, während sie mich interessiert mustert und dann noch einen Schluck ihres Kakaos trinkt. Ihre Frage nicke ich lediglich ab, ehe ich auch antworte:

„Aber nicht irgendein Junge. Ich habe ihn vor drei Jahren kennengelernt und bin auch noch immer mit ihm befreundet. Zumindest irgendwie. Wegen ihm habe ich überhaupt erst herausgefunden, dass ich auf beide Geschlechter stehe. Sonderlich viel ist zwischen uns nie passiert. Wir waren einfach nur Freunde und ich habe ihn heimlich angehimmelt." erkläre ich.

„Ist es Chan?" fragt mich Ryujin, weshalb ich sie überrascht ansehe und dann zu nicken beginne. „Woher wusstest du das?" frage ich sie dann. „Ich bitte dich, Seungmin. Ich bin doch nicht blöd. Seit er wieder in Sydney ist und du nur noch knappe Antworten von ihm bekommen hast, bist du mit deinen Gedanken ständig woanders. Selbst wenn du keine Gefühle mehr für ihn hast, so ist er dennoch ein sehr wichtiger Freund für dich. Oder?" Wieder nicke ich einfach nur.

„Ist irgendwas zwischen euch vorgefallen?" fragt sie dann besorgt weiter. „Er..." beginne ich, doch muss mich nochmal räuspern, ehe ich weitersprechen kann: „Er will für unbestimmte Zeit zu mir auf Abstand gehen." „Wieso denn?" „Weil...Weil er sich in mich verliebt hat." gestehe ich ihr also leise, während ich ihrem Blick ausweiche. Nur kurz sehe ich in ihr Gesicht, nur um festzustellen, dass sie ihre Augen überrascht geweitet hat.

„Jetzt verstehe ich erst, warum du in den letzten Tagen so abwesend gewirkt hast. Du weißt nicht, ob du noch Gefühle für ihn hast, richtig?" fragt sie weiter und überrascht mich mit diesen Worten zum wiederholten Male. Denn ja, genau so ist es.

Ich bin glücklich in meiner Beziehung mit Ryujin und ich habe ganz klar Gefühle für sie, aber ich weiß nicht, ob ich auch noch Chan gegenüber welche hege.

„Hey, mach dir nichts draus, Seungmin. Ich verstehe das." reißt mich Ryu's Stimme wieder aus meinen Gedanken, während sie mir eine ihrer Hände auf meine legt. Erst deshalb traue ich mich wieder in ihr Gesicht zu sehen, wo sie mir ein liebevolles Lächeln schenkt. „Lass dir Zeit, darüber nachzudenken, okay? Ich will, dass du glücklich bist. Da ist es mir egal, ob mit mir oder mit Chan, wobei mir persönlich Ersteres natürlich lieber wäre. Du brauchst auf jeden Fall keine Schuldgefühle zu haben. Denke in Ruhe über alles nach und egal wofür du dich entscheidest, ich werde dir beistehen. Versprochen." fährt sie fort und übt dabei etwas Druck auf meine Hand aus, welchen ich gerne erwidere.

„Es tut mir leid." murmle ich leise, während ich auf unsere Hände schaue. „Das braucht es nicht. Ich werde jetzt gehen. Wir sehen uns dann am Montag in der Schule." entgegnet sie, während sie sich von ihrem Platz erhebt. Anschließend schlüpft sie in ihre Jacke und kommt nochmal zu mir. Sie drückt mir einen kleinen Kuss auf meine Lippen, ehe sie mit einem Lächeln im Gesicht und einem „Bis dann." das Lokal verlässt.

Womit habe ich nur eine so verständnisvolle Freundin verdient?




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Könnt ihr euch noch an eure Erste Liebe erinnern?

01.04.2023

Scars {Stray Kids}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt