Kapitel 6

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Es war für sie immer noch ungewohnt in dem einfachen, aber sehr elegant wirkenden Raum zu sitzen. Hermine versuchte ruhiger zu werden und legte ihre Hände auf die Lehne des großen schwarzen Ledersessels. Das war ihr vierter Termin bei Diana Meyer und wie bei den ersten dreien schon, die sie dann tatsächlich wahrgenommen hatte und nicht nur verstreichen ließ, hatte sie Draco begleitet. Er saß im Wartezimmer. Eigentlich war es seltsam wie sich manche Sachen immer wiederholten. Hermine hatte damals Draco hierher geschleift, nachdem er nach drei Tagen Kater, einigermaßen ausgenüchtert gewesen war. Fast eine Woche hatte es gedauert bis Hermine ihn damals ausfindig gemacht hatte in einem kleinen schäbigen Hotel. Sie hatte ihn sieben Monate lang zu der Psychologin begleitet, ohne dass er es verlangt hatte. Bis zu dem Tag, als er ihr versichert hatte, dass er das jetzt auch alleine hinbekomme. Vielleicht würde er sie auch weiterhin begleiten, wenn sie ihn fragen würde.

Hermine glaubte nicht, dass sie schon so weit war, alleine hier aufzutauchen. Allein die sichere Wohnung zu verlassen stellte sich als Herausforderung dar. Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet damit ein Problem zu haben. Sie hatte kaum darüber nachgedacht, als sie auf der Beerdigung war oder als sie erneut ihr eigentliches Haus mitten in der Nacht aufgesucht hatte; plus Draco der ihr hinterher gelaufen war. Doch als sie die Wohnung an einem sonnigen Tag verlassen wollte, um auf den Friedhof zu gehen und Mikes Grab zu besuchen, war plötzlich diese Angst da. Die Angst, dass dieser Verrückte wirklich noch auf die Gelegenheit wartete, sie zu töten. Die Angst, dass es wieder passieren konnte. Die Angst, doch noch das dreiundvierzigste Opfer zu werden. Der Panikanfall kam überraschend und kostete Hermine Kraft. Draco hatte sie eine Stunde später, schluchzend in der Ecke des großen Badezimmers gefunden, als er aus dem Ministerium kam. Seit her ließ er sie kaum noch aus den Augen, geschweige das er seine Wohnung länger als eine Stunde verließ.

Hermine fragte sich, ob sie vielleicht zu viel von Draco verlangte und auch Harry das unbedacht tat. Er hatte immerhin seine Verlobte und seinen Sohn verloren. Er hatte es noch nicht verarbeitet und jetzt kam sie daher und verlangte, auch wenn ungewollt, dass er für sie da war. Sie versuchte den Gedanken zu verdrängen. Er sagte ihr oft genug, dass ihn das nicht störte und er es gerne machte. Hermine nahm ihm das nur schwer ab. Draco Malfoy war nie für jemanden anderes dagewesen. Viel zu oft, als noch nicht der Schatten dieser grausamen Morde über dem Ministerium hangen, hatte er ihr fast täglich zugesichert, dass er ein Scheißegoist war und es immer bleiben würde. Die einzige Ausnahme war damals Astoria gewesen. Hermine hatte immer geschmunzelt, als Astoria im Büro vorbeigeschaut hatte. Sie war eine hübsche, junge, nette Frau gewesen und sie hatte Draco gut getan. Das hatte jeder gesehen und verstanden.

Hermine Blick wanderte wieder zum Fenster und sie seufzte leicht dabei. Da kam sie endlich mal aus ihrem Versteck und es regnete in Strömen. Ein Unwetter das schon ruhelos seit fünf Uhr morgens wütete und die erhitzte Stadt ein wenig abkühlte. Sie blickte auf, als Diana Meyer endlich kam und sich sofort entschuldigte: „Es tut mir leid, dass Sie warten mussten Hermine. Ein Kollege von mir brauchte einen Rat." „Kein Problem," erwiderte Hermine und knetete ihre Finger. Sie fürchtete diesen Termin schon seit sieben Tagen. Diana Meyer wollte mit ihr heute über die Tatnacht sprechen. Die Dame sah sie freundlich an: „Wie geht es Ihnen heute?" „Gut," sagte Hermine knapp und hätte sich dafür am liebsten selbst geohrfeigt. Ihr ging es überhaupt nicht gut. Sie wollte heute nicht hier sein. Sie wollte zurück in die vertrauten Wände von Dracos Wohnung. Dort kannte sie jetzt jede Ecke. Jeden Gegenstand und jedes Möbelstück. Seit nun fast schon dreizehn Wochen wohnte sie dort. Einfach so, ohne das Draco irgendeine Gegenleistung verlangte.

Diane schlug die Beine übereinander und zückte ihren Block: „Wirklich? Haben Sie sich vorbereitet auf diese Sitzung?" Hermine presste die Lippen fest zusammen und schloss kurz die Augen: „Ich weiß nicht ob ich das heute schon kann." „Keine Sorge. Wir werden nichts erzwingen. Wir lassen uns Zeit. Wir wollen es heute nur versuchen und werden sehen wie weit wir kommen. In Ordnung?" Hermine nickte stumm und Diane notierte etwas auf ihrem Block bevor sie Hermine wieder ansah: „Haben Sie mit sonst jemanden schon darüber geredet?" „Nein, das war nicht nötig. Die Aurorenabteilung hat meine Erinnerung. Oder besser gesagt, dass was mein Gehirn hergegeben hat," erklärte Hermine leise und Diana sah sie weiterhin offen an. „Haben Sie mit überhaupt keinem darüber gesprochen, was damals alles passiert ist?" Sie schüttelte erneut den Kopf. Das brachte sie einfach nicht über sich.

„Auch nicht mit Mr. Malfoy?" hakte die Dame weiter und Hermine sah auf ihre Finger: „Nein. Nein auch nicht mit ihm. Aber müssten Sie das nicht sowieso schon wissen? Er ist immerhin ihr Patient." Hermine sah zu ihr wieder auf. „Er wird doch auch über mich reden, wenn er hier ist." Die Psychologin lächelte freundlich: „Sie werden verstehen, dass ich über meine anderen Patienten nicht sprechen kann und ich grundsätzlich alle Fälle strikt trenne." „Natürlich," antwortete Hermine knapp. „Bevor wir anfangen, würde ich gerne wissen wie Sie momentan mit dem Alltag zurechtkommen." „Eigentlich kann man es keinen Alltag nennen," meinte Hermine ruhig und zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich war seit dem Vorfall nicht mehr im Ministerium. Ich bin fast den ganzen Tag drinnen. Nur manchmal begleite ich Draco, um Besorgungen zu machen. Das mach ich eher ungern, aber er meint, es sei wichtig." Sie atmete schwer aus: „Ich bin froh, dass er da ist. Er hält mir den Rücken momentan frei."

„Sie haben Angst rauszugehen," stellte Meyer fest und Hermine nickte: „Ja. Ich meine es ist lächerlich. Wie hoch ist die Chance, dass der Kerl mitten am helllichten Tag auftaucht und versucht mich umzubringen? Gleich Null. Aber ich hab das Gefühl keine Kontrolle über meine Emotionen und Gedanken zu haben." „Und das macht sie wütend." „Natürlich macht mich das wütend. Ich komm mir vor wie... wie eine Verrückte. Mein Leben war normal. Ich hatte alles unter Kontrolle und jetzt..." redete sich Hermine in Rage und versuchte ruhig zu atmen. „Jetzt ist alles kaputt. Er hat einfach alles kaputt gemacht. Ich meine das ist doch nicht gerecht oder? Ich hab diesem Irren nichts getan. Ich hab nie jemanden etwas getan. Nicht einmal im Krieg! Ist das vielleicht gerecht?"

Diane sah sie besorgt an, während Hermine energisch nach einem Papiertaschentuch griff, die es in einer Box an einem kleinen Nebentisch gab. „Sie haben die letzten beiden Male auch schon über den Krieg gesprochen. Was ist damals vorgefallen, Hermine?" „Nichts," log die Braunhaarige. „Ich meine der Krieg war für uns alle schlimm. Jeder hatte Verluste." „Hermine, ich möchte Ihnen doch nur helfen und ich spüre, dass Sie mehr bedrückt, als sie zugeben wollen." „Ich will darüber nicht sprechen," presste Hermine fest hervor und Meyer seufzte: „Na schön. Ich kann Sie dazu nicht zwingen. Wollen Sie dafür versuchen mir zu erzählen, was damals in der Nacht passiert ist?" Es war als würde man in ihr einen Schalter umlegen. Sie fühlte sich wieder versetzt in diese Nacht. Sie merkte wie sich dadurch eine Gänsehaut auf ihrer Haut bildete.

Hermine klammerte sich regelrecht an das Taschentuch. Ihre Stimme war leise: „Es hat geklingelt. Ich war gerade dabei die Einkaufsliste für den nächsten Morgen zu schreiben. Mike hat geflucht, weil er die Tür aufmachen musste. Er hat Sport im Fernsehen angesehen. Er liebt Sport..." Hermine räusperte sich: „Hat Sport geliebt. Er hat Sport geliebt. Den magischen und nicht-magischen. Er hat sogar extra diesen amerikanischen magischen Sportsender abonniert," erzählte Hermine und ein trauriges Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. „Was ist dann passiert?" Hermine atmete schwer aus und strich sich eine wirre Strähne hinters Ohr. „Ich dachte erst es sei vielleicht ein Nachbar oder ein Freund, als ich plötzlich Mike schwer atmen und keuchen hörte. Ich hab es erst begriffen als ich in den Flur gerannt bin, dass er gegen jemand kämpfte. Er hat versucht die Tür zuzuhalten."

Hermine blinzelte schweigsam und versuchte die Bilder aus ihrem Kopf zu verdrängen. Ohne Erfolg. „Ich wusste sofort was passiert. Wer diese vermummte Gestallt war. Ich glaube Mike wusste es auch. Wir haben uns über die Fälle unterhalten und über den Angriff auf Draco und seine Verlobte. Ich hab geglaubt, dass es vielleicht vorbei wäre, weil solange schon nichts mehr passiert war." Sie sah stumm auf ihre Beine und Dianas Stimme war sanft: „Wie ging es weiter?" „Ich konnte mich nicht bewegen. Kein Stück. Ich war... wie versteinert. Mein Zauberstab lag nutzlos im Wohnzimmer mit dem von Mike. Mike hat mich angeschrien, dass ich verschwinden sollte durch die Hintertür. Ich bin gerannt, als Mike regelrecht von der Tür gestoßen wurde. Die Vase von seiner Mutter ist zerbrochen und dann..." Sie schluckte hart: „Ich bin ins Wohnzimmer gerannt, aber ich hab meinen Stab nicht mehr erreicht. Ich bin diesem Bastard einige Male von seinen Flüchen entkommen, bis mich der Stupor traf. Erst in der Küche kam ich wieder zu mir."

Sie brach ab. Schon alleine dieser kleine Anfang der sich nur in binnen von Minuten abgespielt hatte war grausam gewesen. Als sie diese Person gesehen hatte, hatte sie gewusst dass das ihr Ende sein würde. Sie hatte mit dem Tod gerechnet. Sie war sich sicher gewesen zu sterben, so wie alle anderen Frauen vor ihr auch. „Wenn ich aufgemacht hätte..." wisperte Hermine und Diane schüttelte den Kopf: „Nicht Hermine." „Oder wenn ich meinen Stab gehabt hätte," redete Hermine weiter und sah hilfesuchend auf. „Ich bin gut im Duellieren. Ich hätte uns retten können. Ich hätte es verhindern können. Aber ich hab ihn nicht bei mir gehabt. Ich hab..." Sie wischte sich über die Augen: „Ich bin Aurorin. Ich wusste von der Gefahr und habe nichts dagegen getan. Ich hab versagt. Es ist meine Schuld." „Hermine Sie sind nicht schuld an dem was passiert ist," sagte die Psychologin mit Nachdruck. „Nicht Sie haben diese Menschen getötet. Sie haben nicht versagt. Es ist nicht Ihre Schuld, dass Ihnen das wiederfahren ist. Das Mike tot ist, ist nicht Ihre Schuld."

Das war leichter gesagt, als es zu glauben. Bestimmt hundertmal war sie diese Nacht in Gedanken schon durchgegangen. Wenn sie Kampfbereit gewesen wäre, wenn sie wenigstens ihren Stab gehabt hätte, hätte sie etwas tun können. So waren Mike und sie hilflos einen Irren ausgeliefert gewesen. Vielleicht war es idiotisch so zu denken. Nicht einmal Draco konnte damals diesen Mörder aufhalten und das obwohl der sich mit Füßen und Händen bis zum Schluss gewehrt hatte. Die Stunde mit Diana Meyer verging schneller als die letzten Male. Hermine und Sie gingen nur diese wenigen Minuten durch. Die Frau vom Fach versuchte ihr klar zu machen, dass sie keine Schuld an dieser Tragöde trug und das sie aufhören musste, darüber nachzudenken was gewesen wäre, 'Wenn'. Es war passiert. Daran gab es nichts mehr zu ändern. Fühlte sie sich deshalb besser? Vielleicht ein klein wenig.

„Bist du fertig?" fragte Draco, als Hermine ins Wartezimmer trat und sie darauf langsam nickte. Er pfefferte eine Zeitung auf einen Stuhl der neben ihm stand und folgte ihr nach draußen. Es regnete momentan nicht mehr. Das Donnern und Wummern des Unwetters war noch immer zu hören. Der Himmel war noch stark bewölkt und die Hitze schien noch nicht komplett abgeklungen zu sein. Auf den Straßen und Gehwegen herrschte reger Betrieb. „Hast du für nächste Woche wieder einen Termin?" wollte er wissen und Hermine versuchte mit ihm Schritt zu halten. „Ja, am Donnerstag." Sie versuchte ruhig zu bleiben bei dem Gedränge und konnte nicht verhindern, dass sie schutzsuchend hinter Draco trat, als ein Mann um die Dreißig auf sie zulief und nach bangen Sekunden an ihnen vorbeirannte. Erst jetzt erkannte Hermine, dass er versuchte den Bus zu erwischen. Sie atmete angestrengt aus und sah zu Draco auf, als dieser ihre Hand in seine nahm: „Keine Angst. Ich hab doch versprochen, dass ich auf dich aufpasse."

Ja, das hatte er. Er ließ ihre Hand nicht los, als sie in einer Gasse verschwanden und Draco dort mit ihr apparierte, direkt in das Treppenhaus wo seine Wohnung lag. Erst da löste er seine Hand von ihrer und Hermine war froh sich wieder im Schutz der Wohnung zu befinden. Die Rollläden vor den großen Fenstern waren immer noch teilweise geschlossen so wie die letzten Tage häufig, um die warme Sonne auszusperren und obwohl ein Kühlungszauber in den meisten Räumen lag, kam Hermine nicht darum Abends, wenn es kühler wurde die Fenster weit zu öffnen. Skeptisch. Auch wenn Draco ihr versicherte, dass niemand in die Wohnung kam, der keinen Zutritt hatte. Zugangsberechtigungen zu seiner Wohnung hatten nur noch wenige Menschen, darunter Harry der das Flohnetzwerk benutzen konnte. Andere landeten vor einer Mauer. Sie war froh darüber.

„Hast du Hunger?" fragte Draco und Hermine schüttelte den Kopf: „Nein, es ist viel zu warm um zu essen. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal so heiße Tage hatten. Ich glaub ich leg mich hin." „Brauchst du etwas, Hermine?" fragte er nach und sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke." Er wollte gerade in die Küche gehen, als Hermine leise zu ihm sprach: „Danke, dass du heute wieder mitgekommen bist." „Das ist doch selbstverständlich," meinte er locker und sie nickte erneut. Sie wusste es besser. Das war nicht selbstverständlich.
Sie döste mehr in dem hübsch eingerichteten Gästezimmer, als zu schlafen. Eigentlich konnte man es kaum noch als Gästezimmer bezeichnen. Der Schrank war vollgestopft mit Hermines Klamotten. Bücher und andere Gegenstände standen im Zimmer rum. Alles was Hermine glaubte zu brauchen, hatte sie von Draco und von Harry aus ihrem Haus holen lassen. Sie glaubte nicht es jemals wieder betreten zu können. Dass das hier nicht auf Dauer Funktionen würde, wusste sie auch.

Sie stand erst wieder gegen Abend auf und fand Draco im Wohnzimmer, vor sich in dösend auf der Couch. „Hey," begrüßte er sie knapp und sie setzte sich in den breiten weißen Sessel, ihm gegenüber. „Hey." Er fuhr sich durch sein Haar und setzte sich auf: „Ich hab mir etwas überlegt." Sie zog die Beine an und legte stumm fragend den Kopf schief. „Wie würdest du die Idee finden, wenn wir morgen mal versuchen würden wieder ins Ministerium zu gehen?" Hermine schluckte und Draco sprach ruhig weiter. „Es ist Freitag. Das heißt wir hätten nur bis Mittag. Wobei uns Potter da sowieso freie Hand lässt. Wir gehen ins Büro und versuchen ob du dazu schon bereit bist. Wenn nicht, kommen wir sofort zurück. Ansonsten wühlen wir uns durch langweilige Akten fürs Archiv. Was hältst du davon?"

Sie biss nervös auf ihrer Unterlippe rum. „Es wäre doch nur ein Versuch," fügte er hinzu. „Du musst irgendwann wieder raus und dich deinem Leben stellen." Er hatte Recht. Natürlich hatte er Recht. Aber sie hatte Angst. Angst, weil sie sich sicher war, dass der Kerl aus dem Ministerium stammte. Sie wusste es einfach, auch wenn Harry es nur als Hinweis sah der nicht eindeutig war. „Wir tauchen getrennt auf. Keiner wird erfahren, dass du bei mir bist. Er wird dich nicht kriegen, Hermine," erwiderte Draco, als würde er ihre Gedanken lesen können. „Wahrscheinlich ist es ein Versuch wert," meinte sie leise und er nickte ihr aufheiternd zu: „Genau. Es ist nur ein Versuch. Wenn es dir zu viel wird, können wir sofort wieder gehen. Versprochen." Sie musste endlich wieder in ein geregeltes Leben finden. Das war ein Anfang. Ein schwieriger Anfang. Aber was konnte schlimmer sein, als dieser Angriff?



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