Ich öffnete die Augen und sah an eine fremde Decke. Ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Dann richtete ich vorsichtig meinen Oberkörper auf und griff nach dem Wasserglas, was auf meinem Nachttisch stand.
Ich leerte es in großen Schlucken und sah mich dann um. Wie fast immer schlief Ivo noch. Ich beobachtete wie sein Rücken, den er mir zugewandt hatte, sich gleichmäßig hob und senkte.
Vor meinem inneren Augen verschwand das Shirt, was er trug und ich sah ihn wieder am Tisch stehen und in der Tasche nach Kleidung kramen. Er war tatsächlich sehr muskulös, hatte sich dafür aber fast anmutig bewegt.
Als ich die Augen geöffnet hatte, als ich den Reißverschluss der Tasche hörte und mir seines Körpers, der nur von dem weißen Handtuch bedeckt wurde, bewusst wurde, prasselten die verschiedensten Emotionen auf mich ein. Ich musste gestehen, dass ich damit nicht gerechnet hatte - besonders nicht mit dem Schamgefühl, was mich fast erdrückt hatte.
Ich hatte nie ein Problem mit Nacktheit gehabt - besonders nicht mit nackten, ziemlich attraktiven Männern, von denen ich in meiner 'wilden Phase', wie Jess es genannt hatte, viele gesehen hatte. Doch die letzten Monate hatten das geändert.
Jedes Mal, wenn ich das zu spüren bekam, überkam mich für einen Moment eine sengend heiße Wut. Ich konnte nicht sagen, ob auf die Männer, die mich entführt hatten, die Männer, die ihren Nutzen daraus gezogen hatten oder auf mich selbst, dass ich trotz des Versuchs mich von allem durch Tali zu distanzieren, gescheitert war.
Ich wollte wieder ich selbst sein - ich wollte wieder mutig sein und gedankenlos meine Jugend genießen und nicht irgendeinen seltsamen Ausschlag haben, mich gedanklich auf die nächste Panikattacke vorbereiten und mich schämen, wenn ich einen nackten Mann sah.
Ich vermisste meine Eltern und meine Freunde und hatte keine Ahnung, wie alles normal werden sollte, selbst wenn ich es zurück nach Deutschland schaffen sollte. Nicht nur, dass ich wohl wieder eine Therapie machen müssen würde, ich würde das alles ohne Jess durchstehen müssen, weil sie im Zeugenschutz war.
Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich mir vorstellte, wie mein Leben weiter verlaufen würde, ohne meine beste Freundin. Ich biss mir auf die Unterlippe, um Ivo nicht zu wecken und wischte mir mit der Decke über das Gesicht. Dann stand ich auf und ging ins Bad.
Ich war noch ein wenig wackelig auf den Beinen und ich war mir ziemlich sicher, dass ich immer noch Fieber hatte, aber ich musste mich einfach ein wenig frisch machen. Also nahm ich einen der weißen Hotelwaschlappen und wusch mich notdürftig, ehe ich ins Zimmer zurückkehrte, um Deo und richtige Kleidung aus der Tasche zu holen.
Im Bad zog ich mich aus und fuhr mit den Fingern vorsichtig über den Striemen auf meinem Bauch, von dem mittlerweile der Schorf anfing abzublättern. Ich versuchte den Ausschlag drum herum zu ignorieren und schlüpfte in ein T-Shirt, was ich zwar schon vor einer halben Woche für ein paar Tage getragen hatte, aber zum Waschen waren wir bisher noch nicht wirklich gekommen.
Als ich das Bad verließ, war Ivo wach, saß jedoch noch im Bett. ,,Wie gehts dir heute?", fragte er und seine Stimme klang noch ganz kratzig. Eine Gänsehaut breitete sich über meine Arme aus und ich hoffte, dass er es nicht sah.
,,Ich glaube das Fieber ist immer noch da, aber insgesamt ein bisschen besser." Sein Blick verharrte für ein paar Sekunden auf mir, doch ehe es unangenehm werden konnte, senkte er ihn auf das Handy, was er in der Hand hielt.
,,Ich habe mit Alex gesprochen, seine Mutter würde dich heute in ihrer Frühstückspause untersuchen. Wir sollen in einer Stunde in ihrer Praxis sein", sagte er dann und erhob sich aus dem Bett.
Nachdem auch er sich frisch gemacht hatte und mir ein wenig Essen aus dem Frühstücksraum ins Zimmer gebracht hatte, machten wir uns auf den Weg. Unsere Tasche nahmen wir sicherheitshalber gepackt mit.
Um halb zehn waren wir bei der Praxis, deren Adresse Ivos Freund ihm genannt hatte. In meinem Magen rumorte es vor Aufregung. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatte ich ziemliche Angst davor, was die Ärztin diagnostizieren würde. Ich warf einen Blick auf das Schild an der Tür und stutzte.
,,Eine gynäkologische Praxis?" Ich sah Ivo fragend an. Das beklemmende Gefühl in meiner Brust wurde stärker, als er ohne eine Reaktion die Tür öffnete und mich eintreten ließ. Ich fragte mich, ob er einen Verdacht hatte, was ich haben könnte, doch ich dachte, dass man Krankheiten erst relativ spät im Studium behandelte - das hatte mir auf einer Party auf jeden Fall mal ein Medizinstudent gesagt.
Ivo sagte etwas zu einer der Arzthelferin, die mich einen Moment in Augenschein nahm und dann in Richtung eines Raums deutete. ,,Sie können in Zimmer drei Platz nehmen, die Ärztin kommt sofort", sagte sie dabei in meine Richtung und ich nickte.
Dann sah ich zu Ivo. ,,Ich warte im Wartezimmer auf dich." Scheinbar konnte er die Angst in meinen Augen sehen, denn er machte nochmal einen Schritt auf mich zu, strich mit seinen Fingern einmal über meinen Handrücken und lächelte mich aufmunternd an. ,,Es wird schon alles gut werden", wisperte er leise, ehe er an mir vorbei ins Wartezimmer ging.
Ich steuerte das Zimmer drei an. Als ich auf dem Stuhl gegenüber des Schreibtisches saß, fragte ich mich das erste Mal, ob ich überhaupt verstehen würde, was sie diagnostizierte, denn ich kannte Krankheitsnamen nicht auf Spanisch. Vielleicht sprach die Ärztin ja auch englisch.
Wenig später betrat eine schlanke Frau in einem weißen Kittel den Raum. ,,Tut mir leid, dass Sie warten mussten", sagte sie und nahm lächelnd gegenüber von mir Platz, während sie sich die Hände rieb und der Geruch von Desinfektionsmittel zu mir herüberschwappte. ,,Kein Problem - ich bin dankbar, dass Sie mich überhaupt behandeln", entgegnete ich und erwiderte das Lächeln nervös.
,,Ihr Akzent verrät mir, dass sie keine Spanierin sind. Woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?"
,,Aus Deutschland", antwortete ich und begann nervös auf meinem Stuhl herumzurutschen, als sie die Stirn runzelte. ,,Na gut. Ich verkneife mir die Frage, wieso sie keine Versichertenkarte haben, wenn sie aus der EU kommen einfach mal. Mögen Sie mir ihren Namen verraten?" Sie sah mich aufmerksam an und lächelte immer noch.
,,Laurel", sagte ich und traute mich nicht meinen vollen Namen zu nennen. Die Ärztin nickte. ,,Freut mich Sie kennenzulernen, Laurel. Ich bin Ilena. Was kann ich denn für Sie tun?"
Für einen Moment war ich überrascht, dass Sie mir ihren Vornamen nannte, doch dann erklärte ich mir das Ganze damit, dass ich ja keine offizielle Patientin war. Ich schilderte ihr kurz die Symptome, die mir aufgefallen waren. Die Ärztin hörte mir zu. Dann fragte sie: ,,Dürfte ich einmal Ihre Lymphknoten abtasten?"
Mein Herzschlag beschleunigte sich und mein Atem stockte für einen Moment. ,,Ich bin auch ganz vorsichtig", versicherte sie mir. ,,Okay, wenn es sein muss", sagte ich und hörte selber, dass meine Stimme zitterte. Als sie aufstand und sich Handschuhe überstreifte, versuchte ich mich zu beruhigen. Ich versuchte jeglichen Gedanken an ihn zu verdrängen. An den einen Mann, der mir Dinge angetan hatte, die trotz der Drogen in mein Bewusstsein gedrungen waren. Es waren nicht Lennox Hände, die jetzt vorsichtig im Bereich unter meinen Kiefer griffen.
Die Ärztin musste meinen rasenden Puls spüren oder sehen - da war ich mir sicher. Sie beeilte sich, ehe sie mir gegenüber nochmal Platz nahm. Ihr Gesichtsausdruck war ernster als zuvor und sie schien abzuwägen, was sie als nächstes sagte.
,,Hatten Sie in letzter Zeit häufiger wechselnde Sexualpartner? Oder häufig ungeschützten Geschlechtsverkehr?"
Ich umklammerte instinktiv die Armlehnen und wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich konnte ihr ja schlecht die Wahrheit sagen. Doch es war nicht nötig, etwas zu sagen - ich erkannte in ihrem Blick, dass sie bereits einen Verdacht hatte. Sie überging ihre eigene Frage.
,,Mir ist aufgefallen, dass sie mehrere Blutergüsse am Hals haben. Hat das mit dem Mann zu tun, der Sie hergebracht hat?", fragte sie ernst und ich hörte, dass sie besorgt war.
Schnell schüttelte ich den Kopf: ,,Nein, Ivo hilft mir. Ohne ihn, wäre ich nicht hier."
Sie schien sich ein klein wenig zu entspannen und sagte dann: ,,Wenn es in Ordnung ist, würde ich Sie ins Untersuchungszimmer bitten und sie einmal untersuchen. Ihre Hose und Unterhose können Sie hinter der Trennwand ablegen."
Ich nickte langsam, auch wenn ich am liebsten gegangen wäre. Ihr ernster Gesichtsausdruck machte mir Angst und alles in mir sträubte sich dagegen mich halb nackt auf den Untersuchungsstuhl zu setzen. Doch sie war die Ärztin - wenn sie dachte, dass eine Untersuchung notwendig war, dann musste ich ihr vertrauen oder?
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Lo Que Necesitas - Was du wirklich brauchst
Lãng mạn[Teil 2] VORSICHT: SPOILER ZU TEIL 1 Als Laurel dem Fremden die Tür öffnete, hätte sie nie damit gerechnet, dass er sie betäuben und entführen würde. Wieso auch? Sie hatte keine Feinde. Und doch war es passiert und sie fand sich in Spanien wieder. M...