Veintiuno

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,,Okay, weihst du mich noch in den Plan ein?", fragte ich nachdem wir schon eine viertel Stunde unterwegs waren, ohne, dass Ivo sonderlich viel gesagt hatte. ,,Ein Kumpel von mir hat eine Weile Drogen vertickt. Wenn jemand jemanden kennt, der uns Ausweise beschaffen kann, die durch eine Flughafen Kontrolle kommen, dann er!"

,,Sollte ich mir Sorgen machen, was für Freunde du hast?", fragte ich und versuchte das Gefühl, das allein das Wort ,Drogen' in mir ausgelöst hatte, zu ignorieren. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, die Injektionen nicht zu vermissen. Manchmal stellte ich mir vor, wie viel einfacher die Angst zu ertragen wäre, wenn ich sie abmildern könnte. Nur eine einzige weitere Spritze.

Ivo unterbrach mein Gedankenkarussell. ,,Brauchst du nicht. Er hat keinen harten Stoff vertickt - ich glaube hauptsächlich Gras." ,,Hauptsächlich? Und was nebensächlich?", hakte ich nach. Ivo seufzte und rückte seine Cap ein wenig zurecht.

,,Ich glaub Ecstasy auch, aber sicher bin ich ehrlich gesagt nicht. Ich habe nie gefragt", sagte er. ,,Woher kanntest du den Typen?"

Ivo zögerte. ,,Er war mein Mitbewohner." ,,Dein Mitbewohner?", platzte es überrascht aus mir hervor. Ivo nickte und setzte den Blinker. ,,Das heißt, wir fahren jetzt in deine alte Wohnung? Denkst du nicht, dass das ein wenig riskant ist?" Ich sah ihn stirnrunzelnd von der Seite an.

,,Nein, wir fahren nur in die Stadt und schreiben ihn dort von einem Internet Café aus an!" Das schien wesentlich intelligenter. Es dauerte nicht lang bis wir in einer Parklücke am Seitenstreifen zum Stehen kamen und ausstiegen.

,,Wie weit ist diese Café von hier?", fragte ich neugierig, während Ivo das Auto abschloss. ,,Vielleicht eine viertel Stunde zu Fuß", schätzte er. Ich hatte das Gefühl, dass wir in einer relativ abgelegenen Gegend waren. Es waren kaum Menschen unterwegs, obwohl frühe Mittagszeit sein musste. Wenn uns jemand entgegen kam, dann hatte ich nicht das Gefühl, dass es sich dabei um sehr vertrauensvolle Leute handelte. Bei einem Mann war ich mir sogar sehr sicher, dass Blut auf seinem Langarm Shirt klebte. Ich schaute lieber nicht genauer hin.

,,Hast du eigentlich Geschwister?", fragte Ivo irgendwann völlig zusammenhangslos. ,,Äh, nein. Ich bin Einzelkind. Was ist mit dir?" ,,Ich habe eine Schwester. Sie heißt Nuria." ,,Nuria ist ein schöner Name. Wie alt ist sie?" ,,Sie ist heute sechzehn geworden", sagte er und ein wehmütiges Lächeln spielte um seine Lippen. Ich schluckte und fühlte mich plötzlich sehr schuldig.

,,Tut mir leid, dass du nicht bei ihr sein kannst", sagte ich leise. Er winkte ab. ,,Wie ist sie so?", fragte ich. ,,Oh, sehr dickköpfig. Und ich glaube manchmal ziemlich einsam. Sie hat es in der Schule nicht so einfach - es gibt zu viele Arschloch Kinder!" Ivos Kiefer spannte sich nach diesen Worten an und ich brauchte gar nicht zu fragen, ob sie gemobbt wurde - das stand ihm ins Gesicht geschrieben.

,,Das stimmt leider. Viele Eltern scheinen heutzutage zu denken, dass die Lehrer die Erziehung übernehmen müssten. Der Bruder von Jess hat damals manchmal Geschichten aus der Schule erzählt, bei denen ich echt schockiert war."

Ivo nickte und wir schwiegen einen Moment. Wir waren mittlerweile in einer etwas belebteren Gegend angekommen. ,,Ich find es übrigens echt krass, wie gut du Spanisch sprichst. Eigentlich müsstest du mir Deutsch Nachhilfe geben. Dann könnten wir uns auch in deiner Sprache unterhalten", meinte er und seine Mundwinkel zuckten.

,,Hast du schonmal Deutsch gelernt?", fragte ich neugierig. Er schüttelte den Kopf. ,,Mit dem Teil meiner Familie, der nach Deutschland ausgewandert ist, habe ich nie wirklich viel Kontakt gehabt und wenn, dann haben wir auf Spanisch geredet!"

,,Ich glaub Deutsch soll grammatikalisch ziemlich schwer zu lernen sein, wenn man kein Muttersprachler ist. Ein paar Nachhilfe Minuten am Tag werden da denke ich wenig bringen", meinte ich lachend. Ivo zuckte die Schultern. ,,Dann fang ich eben mit Wörtern an und die Grammatik lerne ich, wenn das alles vorbei ist!" Er schien ziemlich enthusiastisch, was ich irgendwie süß fand. ,,Was heißt z.B. hermana auf Deutsch?"  Ich übersetzte es ihm. ,,Schwester?", seine Stimme klang ziemlich wackelig und man merkte ihm an, dass er noch nie in seinem Leben ein deutsches Wort ausgesprochen hatte. Ich nickte. ,,Genau!" ,,Okay, ich werde versuchen es mir zu merken", sagte er grinsend.

Wir standen mittlerweile vor der Tür eines kleinen Internet Cafés. Ivo drückte die Tür auf und hielt sie mir offen. Ich schlüpfte unter seinem Arm hindurch ins Warme. Es waren vielleicht drei Leute anwesend, weshalb wir relativ schnell einen Platz  fanden. Er startete den Computer und öffnete eine Messenger App, die ich nicht kannte. Es schien eine spanische Plattform zu sein. Er registrierte sich unter einem falschen Namen und tippte dann einen weiteren Namen ins Suchfeld ein.

Alejo Jimenez. Eine Reihe von Alejos erschien auf dem Display. Ivo filterte das Ergebnis nach Madrid und UCM. Dann ergaben sich zwei Treffer. Beide hatten ein Profilbild. Ivo klickte eins der Profile an auf dem ein Typ mit blonden Haaren abgebildet war. Er hatte eine Zigarette zwischen die Lippen geklemmt und saß auf einer Treppe. Der Hintergrund zeigte einen kleinen Weg, um den herum Bäumen wuchsen - er schien das Foto in einem Park gemacht zu haben.

Ivo öffnete ein Chat Fenster mit seinem Mitbewohner und begann eine Adresse und eine Uhrzeit zu tippen. Der Abschluss der Nachricht lautete edrev. Er drückte auf senden. ,,Was ist edrev?", fragte ich irritiert, als Ivo sich ausloggte und den Laptop wieder herunterfuhr.

,,Edrev ist verde rückwärts geschrieben. Ich weiß - nicht sonderlich kreativ, aber das ist sein Codewort, dass er allen Leuten, die was bei ihm kaufen wollen, nennt!", erklärte Ivo mir und ich nickte. ,,Was heißt es auf Deutsch?", fügte er dann mit einem Grinsen hinzu. ,,Grün", antwortete ich und Ivo verzog das Gesicht, während er das Wort wiederholte. ,,Nimm es mir nicht übel, aber ihr habt seltsame Wörter in Deutschland!" Ich lachte. ,,Ich weiß!"

Ivo bezahlte für die Nutzung und wir verließen den Laden wieder. ,,Was jetzt?", fragte ich. ,,Ich hoffe, dass er die Nachricht bald liest und pünktlich ist. Dann treffen wir uns in einem Park ein wenig abseits vom Campus mit ihm. In etwa einer Stunde."

,,Das heißt, jetzt warten wir?", fragte ich. Ivo nickte. ,,Wir können uns aber schon auf den Weg dorthin machen!"

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