Treinta y seis

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,,Ist es komisch, dass es sich anders anfühlt hier neben dir zu liegen als die letzten Nächte?", fragte Ivo leise. Wir lagen schon eine Weile nebeneinander und sowie er, konnte auch ich nicht einschlafen. ,,Ich glaub das ist normal", flüsterte ich zurück, denn auch für mich war es anders.

Hier hatte ich plötzlich einen Ort, an dem ich mich zu Hause fühlte. Vorher war Ivo mein zu Hause - meine Konstante - an ständig wechselnden Orten. Jetzt fühlte es sich immer noch vertraut an, neben ihm zu liegen, aber anders.

,,Deine Eltern scheinen sehr herzlich zu sein", stellte er fest. ,,Das sind sie. Und ich glaube sie lieben dich", flüsterte ich zurück und plötzlich musste ich an den Kuss im Auto denken. Seine Lippen fühlten sich so richtig an, doch das waren sie nicht. Er hatte mir etwas wichtiges mit diesen Lippen verschwiegen und mich viel zu spät eingeweiht. Vielleicht hätte er das niemals. Am liebsten würde ich ihn fragen, ob er mir jemals erzählt hätte, dass er von dem Frauenhandel wusste, oder ob er es mir für immer verschwiegen hätte, wenn ich nicht gefragt hätte.

Doch ich wollte unseren letzten Abend nicht damit verbringen zu streiten. Ich versuchte jeglichen Gedanken daran von mir zu schieben und das Gefühl, verraten worden zu sein, wieder niederzukämpfen. Es war unser letzte Abend. Unsere letzte Nacht.

,,Es wird komisch sein, nicht mehr neben dir einzuschlafen", wisperte ich irgendwann. ,,Und komisch nicht mehr neben dir aufzuwachen", fügte er hinzu.

,,Crazy, wie schnell man sich an eine Person gewöhnen kann. Und dabei kennen wir uns nur etwas länger als einen Monat, oder?", fragte ich. ,,Ja", bestätigte er leise.

,,Wir haben gar kein Silvester gefeiert", fiel mir auf. ,,In der Silvesternacht saßt du mit ziemlich hohem Fieber neben mir im Auto und wir waren auf dem Weg nach Madrid", stellte er klar. ,,Du musst auf jeden Fall nochmal zum Arzt", sagte er beim Gedanken an meine Syphilis Erkrankung.

,,Ich weiß. Und zur Polizei. Und zu einer Psychologin", zählte ich auf.

,,Darf ich dir was sagen?", fragte ich einige Sekunden darauf. ,,Wenn nicht jetzt, wann dann?"

,,Ich habe Angst davor." Ich machte eine kleine Pause. ,,Ich habe Angst, all die Sachen auszusprechen, die mir passiert sind. Und ich habe Angst, allein zu sein. Jess ist nicht hier und kommt vielleicht nie mehr in dieses Leben zurück. Und du - wirst auch nicht mehr hier sein", die letzten Worte sprach ich so leise aus, dass ich nicht wusste, ob er sie überhaupt gehört hatte.

,,Wir könnten telefonieren", schlug er nach einer Weile vor. ,,Wenn du Kontakt haben möchtest", fügte er hinzu und da stand es wieder zwischen uns.

,,Ist das nicht viel zu gefährlich? Für dich, meine ich?", wich ich aus.

,,Ich werde so oder so an meine Uni zurückgehen. Meine Familie wird wissen, wo ich bin."

Ein beklemmendes Gefühl legte sich über meinen Körper. ,,Glaubst du nicht, dass sie dich dafür bestrafen werden?"

Ivo schwieg eine ganze Weile, doch schließlich sagte er: ,,Ziemlich sicher, werden sie das. Ich hoffe, dass meine Mutter mit meinem Vater reden kann und es nicht so schlimm wird."

Das erste Mal dachte ich wirklich darüber nach, was er bei meiner Rettung aufs Spiel gesetzt hatte und was für unvermeidbare Konsequenzen die Sache für ihn haben würde. Ich war ein Niemand für diese Leute und da ich nicht besonders viel wusste, würden sie die Frauen vermutlich einfach woanders unterbringen und ich würde der Polizei gar nichts mehr nutzen. Doch bei Ivo war das anders. Er wusste alles. Er war Teil von ihnen. Ein Verräter in den eigenen Reihen.

Ich tastete nach seiner Hand und wir verschränkten unsere Finger miteinander. ,,Die Frage ist ein bisschen verrückt, aber -", er räusperte sich. ,,- darf ich dich küssen?"

Lo Que Necesitas - Was du wirklich brauchstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt