Veintidos

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Aus irgendeinem Grund war ich nervös. Wenn dieser Alejo die Nachricht rechtzeitig gelesen hatte, dann würde er in wenigen Minuten hier sein. Ich fragte mich, was Ivo ihm erzählen würde oder besser gesagt, was er ihm als Grund für den vorübergehenden Auszug erzählt hatte. Auch wenn ich jedoch nervös war, war ich auch gespannt, wie Ivo sein würde, wenn er sich in seinem ganz normalen Umfeld befand.

Mit einem lauten Schlag registrierte ich eine Bewegung neben mir. Ich zuckte genauso stark zusammen wie Ivo, entspannte mich jedoch sofort wieder, als ich sah, dass ein junger Mann Ivo die Hände sehr schwunghaft auf die Schultern gelegt hatte.

,,Ivo Mann - ich dachte ich seh nicht richtig. Was machst du hier, Alter? Ich dachte du machst irgendein Auslandsding?", fragte er, jedenfalls glaubte ich, dass er in etwa das gesagt hatte, allerdings mit sehr viel mehr Slang Worten.

,,Ja - hat sich was anderes ergeben", meinte Ivo grinsend und zog ihn kurz an sich. Sie klopften sich einmal auf den Rücken und ließen sich dann los. Alejos Blick fiel nun auf mich und er grinste. ,,Ich seh schon! Ich bin Alejo - Ivos Mitbewohner", stellte er sich vor und reichte mir überraschenderweise die Hand.

Ich streckte ihm meine Hand entgegen. ,,Hi - ich bin Laurel!"

,,Und Ivo hat dich im Ausland kennengelernt?", fragte er und sah zwischen Ivo und mir hin und her. ,,Nein - ich war nicht im Ausland. Wir kennen uns von früher - sie hat mal einen Austausch hierher gemacht!", erklärte Ivo und vergrub die Hände in den Taschen seiner Hose. Alles in allem wirkte er so entspannt, wie ich ihn lange nicht mehr gesehen hatte.

,,Ich würde ja weiter plaudern, aber ich hab irgendeinen neuen Kunden und muss dem erstmal seine Ware bringen. Der Idiot hat leider nicht geschrieben wieviel und wie ich -", setzte Alejo an, doch Ivo unterbrach ihn.

,,Dein Ernst? Das war ich, du Idiot! Glaubst du, dass es Zufall ist, dass du uns hier in die Arme läufst?" Er lachte und Alejo schien ein Licht aufzugehen. ,,Dann hast du mir ja doch heimlich über die Schulter geschaut bei meinen Geschäften! Ich wusste es!" Ivo verdrehte die Augen, was so witzig aussah, dass sich wie von selbst ein echtes Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete.

,,Also, dann zurück zu dir, querida! Woher kommst du denn, wenn ich fragen darf?" ,,Ich komme aus Hamburg." ,,Nice - ich mag die Deutschen. Sie sind auf so ungewollte Weise witzig - jedenfalls wenn man TikTok Glauben schenken darf. Ich muss gestehen, dass du in der nicht virtuellen Welt meine Erste bist", er zwinkerte mir zu und ich sah kurz zu Ivo, um zu checken, ob nur mir die Zweideutigkeit in den Worten seines Mitbewohners aufgefallen war. Er hatte die Augenbrauen hochgezogen und schüttelte belustigt den Kopf.

,,Ich fühle mich geehrt", entgegnete ich schmunzelnd. ,,Ich unterbreche deine Flirtversuche ja nur ungern, Alejo, aber wir sind aus einem bestimmten Grund hier. Wir brauchen jemanden mit deinen Kontakten", unterbrach Ivo unser Geplänkel. Alejo wurde ein wenig ernster und sah Ivo interessiert an.

,,Wollt ihr zusammen einen Trip machen?", fragte er neugierig und ich brauchte einen Moment bis ich checkte, dass er einen Drogentrip und keinen Städtetrip meinte. ,,Nein. Wir brauchen neue Ausweise." Ivo hatte seine Stimme gesenkt.

Alejos Augenbrauen verschwanden fast unter seinem Haaransatz. ,,Wofür?" ,,Um aus Spanien auszureisen", fuhr Ivo fort und Alejos Blick schnellte zu mir. Er legte den Kopf schief. ,,Was hattest du nochmal gesagt, wieso du hier bist?", fragte er an mich gewandt.

,,Es ist besser, wenn du nicht so genau weißt, weshalb. Bekommst du das hin? So diskret wie möglich?", lenkte Ivo Alejos Aufmerksamkeit wieder auf sich. Alejo schien einen Moment zu überlegen und seine Optionen abzuwägen. ,,Ich denke, ich kenne jemanden, der euch solche Ausweise besorgen kann. Dann brauch ich aber Passfotos von euch. Und unter der Bedingung, dass ihr heute Abend mit auf diese Party im Wohnheim kommt!"

,,Seit wann bettelst du um eine Party Begleitung?", stichelte Ivo. ,,Seit es eine Party nur für Mediziner ist, die aber jemanden mitbringen können", erklärte Alejo und wackelte mit den Augenbrauen. ,,Und wieso gehst du nicht einfach auf eine andere Party?" ,,Da ist diese zehn von zehn, mit der ich letztens in der Bib geflirtet hab und sie hat erwähnt, dass sie da sein würde!", meinte Alejo schmunzelnd.

Skeptisch sah Ivo ihn an: ,,Seit wann gehst du in die Bib?" ,,Hab ne Notfalllieferung dahin gemacht. Der Typ war kurz vorm Ausflippen wegen irgendeiner Klausur!"

,,Wir stecken ehrlich gesagt ein bisschen in der Scheiße und sollten uns nicht so in der Öffentlichkeit präsentieren!", druckste Ivo herum. ,,Habt ihr Stress mit jemandem in der Uni? Wenn nicht, bekommt das doch keiner mit. Wie gesagt, ist eine uniinterne Party!", versuchte Alejo uns zu überzeugen. ,,Eigentlich keine schlechte Idee!" Ivo und Alejo sahen mich gleichermaßen überrascht an.

,,Deine Freundin gefällt mir - sie lebt den richtigen Spirit!", meinte Alejo grinsend und legte mir freundschaftlich einen Arm um die Schulter. Ivo runzelte die Stirn. ,,Bist du dir sicher, dass wir das riskieren sollten? Abgesehen vom Hauptproblem - da werden viele betrunkene Studenten sein", setzte er an und musterte mich.

Ich wusste, worauf er hinaus wollte. Neben der Gefahr, dass uns jemand entdeckte, würden dort viele Männer sein und ich wusste, wie diese, besonders wenn Alkohol im Spiel war, werden konnten. Doch ich wusste auch, dass Ivo da war und es waren Medizinstudenten - so krankhafte Typen konnten da doch gar nicht bei sein. Ich wusste selbst nicht so genau, wieso ich unbedingt auf diese Party gehen wollte, wo es doch rational betrachtet das Dümmste war, was man in unserer Situation machen konnte. Vielleicht die Aussicht darauf, einfach alles für eine Nacht zu vergessen und mich wie eine normale Anfang-Zwanzigjährige zu fühlen.

,,Ich bin mir sicher, dass das nicht ihre erste Party ist, Bruder! Wir passen doch auf sie auf", schaltete sich Alejo nun wieder ein. ,,Und dafür würde ich meinem Kontakt auch sagen, dass eure Ausweise Priorität haben!"

Ich ignorierte Alejo und erwiderte Ivos Blick. ,,Ich bin mir sicher!" Ivo schien nicht ganz wohl dabei zu sein, doch er willigte ein. Wenig später gingen wir zu dritt in die Stadt und machten in einem kleinen Automaten ein paar Passbilder, die wir Alejo gaben. ,,Nice, dann treffen wir uns nachher beim Wohnheim von Emma und den anderen Mädels! Du weißt wo, oder?", fragte Alejo. Ivo nickte und wir verabschiedeten uns.

,,Ich hoffe wirklich, dass wir das nicht bereuen werden", murmelte Ivo als Alejo außer Hörweite war. Ich hakte mich bei ihm unter und setzte ein übertriebenes Lächeln auf. ,,Werden wir nicht. Und jetzt brauchen wir noch irgendwas zum Anziehen für heute Abend!" Ich versuchte mit meinem übertriebenen Optimismus das ungute Gefühl in meinem Bauch zu verdrängen. Das würde gut werden und ich würde mich danach besser fühlen. Da war ich mich fast sicher.

Lo Que Necesitas - Was du wirklich brauchstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt