Cuarenta y cinco

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Almost Lover - Jasmine Thompson

,,Vielleicht sollten wir langsam mal schlafen gehen!", sagte ich schmunzelnd, mit einem Blick auf die Uhr. Es war halb fünf in der Frühe. Ich hatte vorhin ein wenig Angst gehabt, dass es komisch werden könnte nachdem wir, naja Telefonsex hatten, aber das war es nicht.

Wir kamen schnell ins Gespräch, indem Ivo mir erzählte, wie er in Spanien gelandet war und an die Uni zurückgekehrt war. Als ich ihn fragte, ob seine Familie bereits Kontakt zu ihm aufgenommen hatte, weil er mich rausgeholt hatte, verneinte er. Doch das glaubte ich ihm nicht. Ich hatte versucht weiter nachzubohren, doch er beharrte darauf, dass nichts passiert sei.

Also gab ich irgendwann auf und dann lenkte er das Gespräch auf mich. Er erkundigte sich danach, wie es mir ging und ob ich eine Therapie machte und wie generell die letzten Wochen waren. Ich war dankbar, dass er Jon mit keinem Wort erwähnte. Ich hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen ihm gegenüber.

Irgendwann haben wir uns dann auf Netflix eingeloggt und The Witcher weitergeschaut, dabei sind wir jedoch am Telefon geblieben. Gerade war die nächste Folge zu Ende gegangen und auch, wenn ich am liebsten niemals auflegen wollte, wusste ich, dass ich schlafen musste. Auch wenn ich Angst vor den Träumen hatte, durfte ich das Schlafen nicht vermeiden.

,,Du hast recht! Es ist verdammt spät", stellte Ivo fast ein wenig überrascht fest. ,,Wir sollten bald wieder telefonieren", schlug ich vor. ,,Ja, auf jeden Fall!", sagte er.

,,Dann schlaf gut", murmelte ich. ,,Du auch, Osita." Mein Herz schlug bei dem albernen Kosenamen einen Takt schneller. Ich hielt inne. Ich musste auflegen, aber ich wollte nicht. Ich wollte nicht allein in meiner Wohnung sein.

,,Ich vermisse dich", sagten wir gleichzeitig in die Leitung und mussten lachen. ,,Bis bald", sagte ich schließlich und er erwiderte es, ehe ich auflegte. Die Stille, die mich umfing, wurde mir plötzlich mit einem Mal überdeutlich bewusst.

Ich stand auf und ging ins Bad. Im Haus war es ruhig. Alle anderen Bewohner schliefen mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit längst - vermutlich würden die ersten bald wieder aufstehen.

Und plötzlich übermannte mich ein Gefühl von Einsamkeit. Tränen schossen mir in die Augen und ich ließ mich auf den geschlossen Klodeckel sinken und weinte stumm vor mich hin. Alles in mir drängte mich, Ivo wieder anzurufen. Weil ich wusste, dass er mich besser fühlen lassen konnte. Dass ich mich mit ihm nicht einsam fühlte. Doch ich wusste, dass er nicht meine Lösung war.

Mein Leben war hier und seins in Spanien. Und das würde sich nicht ändern. Und ich musste mich damit abfinden. Vielleicht hatte er recht gehabt, sich nicht zu melden. Vielleicht brauchten wir Abstand, damit ich von ihm loskam.

Ich ließ meinen Kopf gegen die Scheibe des Badezimmerfensters sinken und als ich gegen halb sechs in der Wohnung unter mir einen Wecker hörte, raffte ich mich auf und fiel ins Bett, nur um in einen unruhigen Schlaf zu driften.

***

Als ich am nächsten Morgen oder besser gesagt Mittag aufwachte, hatte ich tiefe Ringe unter den Augen. Ich machte mir ein kleines Frühstück und öffnete nebenbei ein Jobportal. Ich hatte schon letzte Woche begonnen, ein paar Bewerbungen zu schreiben, doch bisher hatte sich noch niemand gemeldet. Und obwohl meine Eltern mir das Geld für die Miete gaben und ich auch Bafög erhielt, wollte ich wieder einen Job. Schon allein um nicht den ganzen Tag nur in meiner Wohnung zu sitzen und meinen Gedanken nachzuhängen.

Während ich durch die Jobangebote scrollte, traf eine neue WhatsApp Nachricht von Jon ein und das schlechte Gewissen kehrte zurück. Das mit Ivo hatte keine Zukunft und das, was wir gestern Nacht getan hatten, war ein Fehler gewesen. Der intime Moment hatte uns noch näher zusammen gebracht und ich konnte mir nicht vorstellen, mich jemals wieder bei einem Mann so sicher fühlen zu können, wie bei ihm. Doch wir wohnten in zwei verschiedenen Ländern und ich würde sicher nie wieder einen Schritt auf spanischen Boden machen. Und er beherrschte kein Deutsch.

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