Roslyn - Bon Iver & St. Vincent
Ich hatte es wirklich vermeiden wollen, doch ich hatte nicht widerstehen können, als ich am Abend wieder im Bett lag. Wie von allein hatten meine Finger Ivos Kontakt angeklickt. Er war nach wenigen Klingeln rangegangen und ich hatte ihm von meinem Probearbeiten erzählt.
,,Oh man, das klingt wirklich ziemlich anstrengend. Aber freut mich, dass du den Job hast", sagte er lächelnd, als ich geendet hatte. ,,Ja, das war es echt. Aber ich bin auch froh. Ich glaube ich würde hier sonst verrückt werden!" ,,Ablenkung ist immer gut. Apropos Ablenkung -", er zögerte kurz. ,,Wie lief eigentlich das Date mit Jon, was ich unterbrochen habe?", fuhr er dann betont locker fort. Ich zögerte. Schon Samstagabend, nachdem ich mit Jon gesprochen hatte, hatte ich darüber nachgedacht, Ivo zu gestehen, was bisher nur Jon wusste. Doch ich war mir nicht sicher, ob es das nicht nur schlimmer machen würde.
,,Es war - nett", wich ich aus. ,,Nett?", hakte Ivo skeptisch nach. ,,Naja, wir haben uns ganz gut verstanden, aber -", setzte ich an und überlegte fieberhaft, was ich sagen sollte. ,,Aber was?", fragte Ivo nach einer Weile. Warum schlug mein dummes Herz eigentlich schon wieder schneller?
,,Aber, ich habe es beendet." Stille. ,,Darf ich fragen, wieso? Du hast zwar nicht von ihm geschwärmt, aber ich hatte schon das Gefühl, dass du was für ihn empfindest, als du mir damals von ihm erzählt hast", sagte Ivo vorsichtig. Ja, damals als ich dich kaum kannte, du Idiot. Bist du dir mal selbst begegnet? Dann würdest du diese dumme Frage nicht stellen!
,,Ich - ich weiß nicht. Es kam mir ehrlich gesagt falsch vor, nachdem, was wir Freitagnacht getan haben", gestand ich zögerlich. Ich hatte keine Ahnung, was Ivo von dem Ganzen dachte. Ich hatte keine Ahnung, ob ich mich in das, was wir hatten, reinsteigerte und er das Ganze abgehakt hatte.
Vielleicht wollte er mich nur nicht mit einer Abfuhr verletzten und hatte deswegen mitgemacht - schließlich ging der Sextalk ja von mir aus. Und wenn ich ihm jetzt gestand, dass ich vermutlich ein kleines bisschen für ihn schwärmte, würde er sich vielleicht wieder nicht melden, damit ich ihn abhaken konnte. Und das wollte ich nicht. Ich brauchte ihn in meinem Leben!
,,Okay, kann ich verstehen", sagte er und räusperte sich. ,,Kannst du?", fragte ich überrascht. ,,Ja und du steigst in meiner Achtung gerade noch weiter. Es sollten mehr Menschen so ehrlich sein."
,,Du hältst mich also nicht für verrückt, weil ich das Ganze beendet habe, obwohl das zwischen uns-", wieder brach ich ab. Verdammt, wieso fand ich heute nicht die passenden Worte. Dieses Mal beendete Ivo den Satz nicht für mich.
Also atmete ich tief durch und sagte dann: ,,- obwohl das zwischen uns ja zu nichts führt?"
Wieder herrschte Stille in der Leitung. Ivo schien zu überlegen, was er antworten sollte und ich spürte, dass meine Handflächen schwitzig wurden.
Ich zuckte zusammen, als es an der Tür schellte. ,,Ich - es hat gerade geklingelt, warte kurz", sagte ich und ging zur Gegensprechanlage. ,,Hallo?", fragte ich. ,,Hey Laurel, ich bin's Jared. Ich bin gerade von der Arbeit gekommen und war in der Nähe. Hast du Lust auf eine Movieabend?", fragte er.
,,Äh, ja klar", sagte ich überrascht und betätigte den Türöffner. ,,Hey, Ivo - Jared ist gerade spontan vorbeigekommen. Ich muss Schluss machen", sagte ich entschuldigend in den Hörer und wusste nicht so recht, ob ich froh war, unterbrochen worden zu sein oder ob ich gern gehört hätte, wie Ivos Reaktion ausgesehen hätte.
,,Klar, kein Problem. Viel Spaß, wir hören uns", meinte er schnell und wir verabschiedeten uns. Im nächsten Moment war Jared an meiner Haustür angekommen. ,,Hey, schön dich zu sehen", sagte er und umarmte mich. ,,Gleichfalls und was rieche ich da leckeres?", fragte ich mit einem Blick auf die Papiertüte in seiner Hand. ,,Ich hab in der Stadt noch am Churrostand angehalten", meinte er zwinkernd, während er seine Schuhe abstreifte.
,,Du bist der Beste", sagte ich lachend und wir gingen in Richtung Wohnzimmer. ,,Was möchtest du trinken?", fragte ich. ,,Wasser passt", meinte er und ließ sich auf mein Sofa fallen. ,,Kommt sofort. Ich hab aber auch Eistee da. Sogar Lemon", meinte ich zwinkernd. ,,Na warum fragst du dann überhaupt?", fragte Jared grinsend. Ich holte zwei Gläser aus der Küche, sowie den Eistee aus dem Schrank und ließ mich neben ihn auf die Couch fallen.
Dann schalteten wir den Fernseher ein und schauten schließlich einen von Jareds heiß geliebten Marvel Filmen.
***
Es war Donnerstag und ich hatte seit Montagabend nicht mehr mit Ivo gesprochen. Ich wusste nicht, was es bedeutete, dass er sich nicht gemeldet hatte. Erwartete er, dass ich mich zuerst meldete? Oder wollte er erstmal keinen Kontakt nach unserem Gespräch? Brauchte er Zeit zum Nachdenken? Ich hatte ihm doch quasi unmissverständlich klar gemacht, dass ich auf ihn stand oder mir etwas mit ihm vorstellen könnte, wenn die Umstände andere wären. Hatte ich ihn verschreckt?
Ich konnte an kaum etwas anderes mehr denken, weshalb ich froh war, dass ich heute meinen ersten richtigen Arbeitstag hatte. Der würde mich hoffentlich ein wenig ablenken. Außerdem hatte Filiz mir geschrieben, dass sie morgen Abend feiern gehen würden und gefragt, ob ich Lust hatte mitzukommen. Und auch, wenn mir ein bisschen unbehaglich bei dem Gedanken war, wollte ich die alte Version von mir zurückhaben. Und das ging nur, wenn ich mich den Sachen stellte, die mir Angst machten. Und ich war mit meinen Freunden unterwegs, die Gefahr, dass mir etwas passierte und einer von den Álvarez Leuten mir auflauerte war also gering.
Außerdem musste ich mich immer wieder selbst daran erinnern, dass ich längst eine Aussage gemacht hatte, mit der die Polizei nicht viel anfangen konnte. Das heißt, sie hatten nichts vor mir zu befürchten und der niedrige Gehalt Informationen, den ich weitergegeben hatte, reichte nicht aus, um auf Rache auszusein. Sie hatten mich wahrscheinlich längst vergessen. Doch ich konnte sie nicht vergessen.
,,Hey, Laurel, oder?", riss mich plötzlich jemand aus meinen Gedanken. Ich riss ruckartig den Kopf herum, entspannte mich jedoch, als ich das Gesicht zuordnen konnte.
,,Ja, hi. Du bist Janine, richtig? Hast du jetzt auch Schicht?", fragte ich lächelnd und sie nickte. ,,Cool, bist du immer am Tresen?", fragte ich neugierig. ,,Bisher ja, aber ich habe auch noch nicht so oft gearbeitet, muss ich gestehen."
,,Schade, dann ist die Chance, dass wir zusammen arbeiten, ja sehr klein", meinte ich. ,,Das stimmt, aber dafür hast du die Chance mit Henrik zu arbeiten. Ich glaube der ist heute auch da", entgegnete sie grinsend. Trotz ihres freundlichen Lächelns meinte ich sowas wie einen Funken Eifersucht in ihrem Gesicht lesen zu können.
,,Kennst du ihn?" Sie nickte. ,,Wir hatten mal einen Kurs zusammen. Wir studieren beide Wirtschaftswissenschaften", klärte sie mich auf. ,,Achso, okay. Und du magst ihn?", sprach ich das ziemlich Offensichtliche einfach aus.
Sie wurde augenblicklich rot. ,,Ähm, naja, vielleicht ein bisschen. Aber sag's ihm nicht", stammelte sie. ,,Wieso nicht? Vielleicht mag er dich ja auch", fragte ich ermunternd. ,,Oh nein, ich glaube eher nicht", wendete sie ein. Ich zuckte die Schultern. ,,Okay, dann sag ich nichts", versprach ich und sie nickte dankend, als wir die Tür des Cafés aufdrückten.
Henrik sah ich nicht, vielleicht war er wieder im Wintergarten. Dafür sah ich jedoch eine hochgewachsene Frau, die die Schürze mit dem Café Logo trug und gerade eine Bestellung aufnahm. Hinterm Tresen stand ein Typ, der asiatische Wurzeln hatte und gerade einen Pappbecher über den Tresen schob. Ich kannte beide nicht, doch sollte sie heute auch nicht mehr kennenlernen, denn nachdem Janine und ich uns eingetragen hatten und nach vorne zurückkamen, machten die zwei sich so schnell auf den Weg nach hinten, dass keine Zeit für ein Gespräch blieb.
Janine und ich wechselten einen Blick und schließlich zuckte sie mit den Schultern und machte sich seufzend auf den Weg hinter den Tresen. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass sich ein Mädchen durch die Schwingtür in Richtung Küche bewegte. Wahrscheinlich hatte sie jetzt ebenfalls Schicht im vorderen Bereich. Ich machte mich währenddessen auf den Weg nach hinten, wo ich auf Henrik traf, der mich kurz in das Bestellgerät einwies.
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Lo Que Necesitas - Was du wirklich brauchst
Romance[Teil 2] VORSICHT: SPOILER ZU TEIL 1 Als Laurel dem Fremden die Tür öffnete, hätte sie nie damit gerechnet, dass er sie betäuben und entführen würde. Wieso auch? Sie hatte keine Feinde. Und doch war es passiert und sie fand sich in Spanien wieder. M...