Ich wurde nach draußen gebracht und stieg in den Wagen. Auch, wenn ich wie immer, alles nur durch einen Schleier wahrnahm, erkannte ich ihn wieder.
Ivo.
Ich wusste nicht, wie lang unser erstes Treffen her war. Niemand sagte ein Wort bis wir kurze Zeit später erneut das Hotelzimmer betraten.
Ich begann nicht mich auszuziehen, sondern sah ihn an. Ich versuchte es zumindest - sein Bild wirkte durch die Drogen ein wenig verzerrt
,,Weißt du noch, wer ich bin?", fragte er und erwiderte meinen Blick - glaubte ich zumindest.
Ich versuchte mich zusammen zu reißen und nickte. ,,Du bist Ivo. Du sagtest, dass du Jess kennst!", meinte ich.
,,Ich will dich rausholen! Das geht aber nur, wenn du das auch willst!", sagte er und seine Musterung machte mich nervöser als die lüsternen Blicke der Männer mit denen ich sonst hier war.
Ich spürte, dass meine Beine zu zittern anfingen und ich mich am liebsten einfach hingelegt hätte. ,,Ich habe wieder Kleidung und Perücken im Nebenzimmer versteckt, damit der Fahrer uns im Parkhaus nicht erkennt!", sagte er.
Das ergab Sinn. Vermutlich.
Ich nickte.
Ivo schien sich kaum merklich zu entspannen. ,,Warte hier!"
Erneut nickte ich und er verließ den Raum. Ich lehnte mich an das Bett, um mich aufrecht zu halten. Mein Herz dröhnte laut in meinen Ohren, was durch das dumpfe Gefühl in meinem Kopf nur umso deutlicher zu hören war.
,,Hier'', sagte Ivo plötzlich. Ich hatte nicht bemerkt, dass er wieder reingekommen war.
Er reichte mir eine schwarze Perücke, ein Haargummi, eine Stoffhose und eine Bluse.
Ich griff ins Leere. Er schien zu bemerken, dass ich koordinativ nicht auf der Höhe war und legte die Sachen neben mich aufs Bett.
Dann ging er auf die andere Seite des Raums und verschwand aus meinem Sichtfeld.
Ich begann mich aus meinen Sachen zu schälen und schaffte es in die Hose und in die Bluse zu kommen.
An dem Haargummi scheiterte ich.
,,Kannst du mir helfen?"
Ich wusste nicht, ob ich die Frage laut ausgesprochen oder nur in meinem Kopf gestellt hatte.
Ein paar Sekunden später erschien Ivo jedoch wieder in meinem Blickfeld und nahm es mir aus der Hand.
Er hatte plötzlich einen dunklen Vollbart und einen Anzug an.
Ich schob die Haare nach hinten. Ohne meinen Körper zu berühren, griff er sanft nach ihnen und ich spürte, wie er sie zu einem Knoten zusammenband und mir anschließen die Perücke darüber zog.
Sein Blick scannte mich einmal ab. ,,Ich denke, so wird man dich jedenfalls immerhin nicht auf den ersten Blick erkennen!", sagte er und wirkte zeitgleich sowohl angespannt als auch zufrieden.
,,Sie werden uns finden! Wie immer", teilte ich ihm mit. ,,Wir werden sehen. Ich hab mir Mühe gegeben, alle Spuren zu verwischen!", entgegnete Ivo und klang zuversichtlich dabei.
,,Wir gehen gleich durch das andere Treppenhaus ins Parkhaus zurück. Dein Fahrer steht meist weiter vorne, vielleicht sieht er uns also nicht mal. Wir steigen in den schwarzen Seat, der ein paar Plätze von der Tür entfernt ist. Das Kennzeichen ist 3540 IMD."
Ich versuchte seinen Worten zu folgen, hatte das Kennzeichen aber bereits wieder vergessen. Trotzdem nickte ich. Schwarzer Seat. Schwarzer Seat. Schwarzer Seat.
,,Dann komm", sagte er und öffnete die Tür. Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz gleich aus meiner Brust springen würde. Ich stützte mich ein wenig an der Wand ab, bis Ivo mich unterhakte.
Ein angenehmer Geruch stieg mir in die Nase. Keiner dieser schweren Parfums, die die Männer der letzten Wochen getragen hatten. Ivo roch irgendwie frisch. Nach Frühling, obwohl wir Herbst oder Winter haben mussten.
Er öffnete die Tür vor uns und plötzlich waren wir im Parkhaus angelangt. Ich klammerte mich fester an seinen Arm, da ich plötzlich Angst hatte, dass meine Beine mich nicht länger tragen würden.
Schwarzer Seat. Schwarzer Seat. Schwarzer Seat.
Ich entdeckte den schwarzen Seat.
Aus dem Auto daneben stieg gerade ein Mann aus.
Mein Herz setzte einen Moment aus, als ich realisierte, dass ich ihn schon mal gesehen hatte. Dass er bereits Sex mit mir hatte. Vermutete ich. Erinnern tat ich mich nicht - wollte ich nicht.
Aus der Beifahrertür stieg ein weiterer Mann aus.
Ich konzentrierte mich auf den Seat und auf Ivo. Ich senkte den Kopf.
Ivo öffnete mir die Beifahrertür und der Mann aus dem anderen Auto streifte mich.
Ich tat, als hätte ich nichts gemerkt.
,,Verzeihung", murmelte er. Ich nickte leicht, während ich einstieg.
Dann fiel die Autotür zu und Ivo stieg auf der Fahrerseite ein.
,,Schnall dich an", sagte er, nachdem er den Motor gestartet hatte.
Ich schnallte mich an.
Er fuhr los.
Wir verließen das Parkhaus.
Ich klammerte meine Hände um den Sitz unter mir.
Passierte das gerade wirklich?
War es so einfach?
,,Was hast du jetzt vor?", fragte ich.
,,Wir fahren in ein Hotel. Ich habe es vor ein paar Tagen auf einen falschen Namen gebucht", erklärte er, ohne den Blick von der Straße abzuwenden.
Ich fragte nicht weiter nach.
Ich sagte nichts mehr.
Stattdessen schloss ich die Augen und mein letzter Gedanken war, wie ich heute Nacht ohne Drogen schlafen sollte.
Ein Knall ließ mich irgendwann hochfahren. Ivo war ausgestiegen.
Einen Moment später öffnete er meine Tür.
,,Wir sind da", sagte er.
Ich tastete nach meinem Anschnaller.
Mein Kopf dröhnte und ich war ein wenig klarer als vorhin.
Vorsichtig schob ich meine Füße aus dem Wagen und Ivo schloss das Auto ab, ehe er mir den Weg in Richtung Hoteleingang wies.
Es war ein schmutziges, sehr billig wirkendes Hotel.
Der Empfang war menschenleer, bis auf einen jungen Typen - vielleicht sechzehn. Er saß hinter dem Tresen und hatte Kopfhörer auf den Ohren. Er schenkte uns keinerlei Beachtung, doch Ivo wusste wo wir hin mussten.
Wir gingen an einem Fahrstuhl vorbei. Das Schild davor erklärte, dass dieser defekt sei und man das Treppenhaus um die Ecke nehmen sollte.
Das taten wir.
Wir gingen in den dritten Stock.
Im Flur roch es nach Chlor.
Ivo zog einen Schlüssel aus seiner Jackentasche und schloss die Zimmertür 507 auf. Wir traten ein.
Meine Beine begannen mal wieder zu zittern und ich ließ mich auf den Stuhl, der neben einem kleinen Tisch stand, fallen.
Völlig unerwartet stiegen plötzlich Tränen in mir auf, die sich wenige Wimpernschläge später ihren Weg über mein Gesicht bahnten.

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Lo Que Necesitas - Was du wirklich brauchst
Romance[Teil 2] VORSICHT: SPOILER ZU TEIL 1 Als Laurel dem Fremden die Tür öffnete, hätte sie nie damit gerechnet, dass er sie betäuben und entführen würde. Wieso auch? Sie hatte keine Feinde. Und doch war es passiert und sie fand sich in Spanien wieder. M...