Cincuenta

20 3 0
                                    

Stay - Rihanna, Mikky Ekko

Ich hatte keine Ahnung, wie ich nach dem Telefonat wieder hatte einschlafen können, aber es war passiert. Und ich bereute es. Entgegen meiner Erwartungen träumte ich nicht von Ivo. Ich träumte das erste Mal von Katarina. Ich erinnerte mich an die vielen Nächten in denen wir nebeneinander gelegen hatten, auf dem Boden.

Es war immer dunkel gewesen, wodurch wir uns selten wirklich gesehen hatten, aber wir hatten geredet. Besonders in unserer Anfangszeit. Sie war mit mir in dem Container gewesen und in meinem Traum durchlebte ich erneut, wie wir von dort aus verschleppt wurden. Wie wir in diesen Raum mit den anderen Mädchen kamen - die grässlichen Kunststoffröhren, die manchmal flackerten, über uns.

Die Mädchen, die dort saßen oder lagen, alle nur halb bei Bewusstsein. Immer wieder sah ich den Blick vor meinem inneren Auge, den sie mir zugeworfen hatte. Es war das, was ich erwartet hätte, wenn ich in einen Spiegel geschaut hätte. Angst. Entsetzen. Hoffnungslosigkeit.

Und dann war da die Erinnerung an meinen ersten Rausch. Das erste Mal, als ich die Nadel, die mir nach wenigen Tagen so vertraut war, wie das Atmen, in meinem Arm gespürt hatte. Hector dicht vor mir kniend. Sah das Grinsen als er mein Gesicht tätschelte und mit seiner Zunge durch seine Zahnlücke fuhr.

Mein erster Gedanke als ich am Samstag wieder erwachte, galt also Katarina. Und dabei hatte ich so sehr versucht jede Erinnerung an sie und die anderen zu vermeiden - zu verdrängen. Denn jetzt, wo sie in meinen Gedanken war, war ich mir überdeutlich bewusst, dass sie noch dort war. Ich war hier - in Sicherheit, doch für sie hatte sich nichts geändert. Ihr Leben waren immer noch die Drogen, die Vergewaltigungen, die Schläge und die Demütigung.

Und ich fragte mich, ob Ivo nicht doch das Richtige tat. Das war es doch gewesen, was ich von ihm gewollt hatte. Er sollte dem ein Ende setzen und das tat er jetzt. Doch jetzt, wo er es tat, wurde mir wirklich klar, dass er dabei sterben könnte. Dass die Wahrscheinlichkeit, dass er nicht von der Mafia ausgeschaltet werden würde, gering war. Und ich schämte mich zutiefst dafür, dass ein egoistischer Teil von mir sich wünschte, dass er nicht auf meine Vorwürfe reagiert hätte.

Eine eingehende Nachricht riss mich aus meinen Gedanken. Ich wischte über meine Augen, ehe ich nach meinem Handy griff.

Es war Jared, der fragte, wie ich geschlafen hatte und ob es mir auch so dreckig wie ihm ging. Ich tippte schnell eine Antwort, ehe ich in die Küche schlurfte. Während ich mir einen Kaffee aufsetzte, begann mein Handy wieder zu klingeln.

Ich griff so schnell danach, dass die Tasse, die ich bereits auf meine Küchenablage gestellt hatte, fast zu Boden ging. Doch es war nicht Nuria. Mein Chef.

,,Hallo?", fragte ich. ,,Hey, Laurel. Es tut mir super leid, dich an deinem freien Samstag zu stören, aber Janine hat eben angerufen und sich krank gemeldet. Ich weiß, dass du die letzte Woche schon so oft gearbeitet hast und wir heute wahrscheinlich in die Überstunden rutschen, aber -", er holte tief Luft. ,,- du würdest mir einen riesigen Gefallen tun, wenn du ihre Schicht übernehmen würdest!"

Ich seufzte. Eigentlich war mir gar nicht nach Arbeiten zu Mute. Mir war schlecht und ich hatte Kopfschmerzen und mir taten außerdem die Füße weh. Andererseits wollte ich aber auch kein Arsch sein, schließlich wusste ich, dass die Vorstellungsgespräche noch liefen und es kaum Ausweichmöglichkeiten gab.

,,Wann denn?", fragte ich zögerlich.

,,Heute von vier bis sieben!" Ich gab mir einen Ruck. ,,Na gut, ich kann kommen!" ,,Du hast was gut, Laurel!", sagte mein Chef fröhlich und nachdem wir uns verabschiedet hatten, legten wir auf. Bis vier hatte ich noch vier Stunden Zeit, also musste ich mich ein wenig beeilen, da ich nach dem Frühstück dringend einkaufen musste. Mein Handy behielt ich den ganzen restlichen Tag in meiner Nähe, doch Nuria meldete sich nicht. Weder nach dem Frühstück, noch nach dem Einkaufen, noch auf der Arbeit oder am Abend, als ich hundemüde in meinem Bett lag.

Da ich meine Augen kaum aufhalten konnte, beschloss ich weder zu Zocken noch Serie zu schauen, sondern machte vor zehn das Licht aus, um zu schlafen. Doch trotz meiner Müdigkeit, konnte ich nicht einschlafen. Immer wieder tauchten Bilder vor meinem inneren Auge auf. Bilder aus meiner Zeit in Spanien. Ich versuchte mich an die Worte meiner Therapeutin zu erinnern. Sie hatte mir erklärt, dass die Therapie eine Weile dauern würde und verschiedene Stadien, eventuell mehrmals durchlaufen würde.

Sie hatte mir gesagt, dass ich mich momentan in Phase eins befand, in der mein und ihr vorrangiges Ziel war, mich soweit zu stabilisieren, dass ich im Alltag zurecht kam. Sie hatte mir erklärt, dass ich unter einer posttraumatische Belastungsstörung litt und die Flashbacks und die Angst ganz normal nach dem Trauma, was ich durchgemacht hatte, seien.

Sie hatte mir Vorstellungsübungen gezeigt, die wir zusammen trainiert hatten und mir geraten sie anzuwenden, wenn die Flashbacks kommen. Und ich versuchte es. Ich versuchte meine Atmung zu beruhigen und mich zu entspannen. Mir vorzustellen an einem sicheren Ort zu sein. Einen Ort, den wir in ihrem Behandlungszimmer zusammen kreiert hatten oder besser gesagt, den ich mir mit ihrer Hilfe erschaffen hatte.

Ich versuchte mir vorzustellen dort zu sein. An diesem Ort konnten die Gedanken mir nicht folgen - die Flashbacks konnten mich hier nicht heimsuchen. Doch obwohl es in der Theorie zu leicht klang, klappte es nicht. Ich schaffte es nicht, wirklich an diesen Ort zu gelangen. Immer wieder drängten sich die Bilder vor mein inneres Auge. Ich wälzte mich herum bis ich es um kurz vor drei aufgab und aufstand.

Ich holte meinen Laptop und begann darauf Friends zu schauen. Ich brauchte jetzt eine Ablenkung - etwas positives - witziges. Ich ließ mich von der Serie berieseln und für diesen Moment half es. Ich schaffte es meine rasenden Gedanken zu beruhigen.

Lo Que Necesitas - Was du wirklich brauchstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt