Don't You Look At Me That Way - Flora Cash
Als ich abends in meinem Bett lag, konnte ich nicht anders, als wieder auf mein Handy zu schauen und zu prüfen, ob ich eine neue Nachricht hatte. Es war jetzt genau eine Woche her, dass Ivo und ich in Deutschland gelandet sind und er hatte sich immer noch nicht gemeldet.
Ich hatte mittlerweile mehrere Theorien, was der Grund dafür sein könnte. Entweder - und das war der Grund, auf den ich hoffte - wollte er mir einfach die Zeit geben, die ich von ihm gefordert hatte, um sein Geständnis zu verarbeiten. Überlegung Nummer zwei war, dass er mich aus seinem Leben streichen wollte - denn, auch wenn mich der Gedanke schmerzte, könnte es auch sein, dass er mich einfach nur toleriert hatte, weil er keine Wahl hatte. Letztendlich war ich diejenige gewesen, die ihn geküsst hatte und vielleicht wollte er mich, nach allem, was ich durchgemacht hatte, nicht wegstoßen.
Eine weitere Erklärung wäre, dass er den Zettel mit meiner Nummer verloren hatte oder seine Tasche, in der er gesteckt hat, beim Flughafen verloren gegangen war. Option Nummer vier war die, von der ich am meisten hoffte, dass sie nicht zutraf, denn als letzte Option für sein Schweigen kam mir nur in den Sinn, dass ihm etwas zugestoßen war. Dass seine Familie ihm etwas angetan hatte.
Enttäuscht legte ich mein Handy beiseite, denn ich hatte, wie bereits die Abende zuvor, keine neue Nachricht erhalten. Ich starrte einen Moment an meine Decke und mein Herz fühlte sich schwer an. Ich griff nach seinem Shirt und versuchte seinen unverkennbaren Geruch einzuatmen, doch obwohl ich das Shirt nicht gewaschen hatte, war er kaum noch zu riechen.
Ich vermisste ihn mehr, als ich mir den Großteil der Woche eingestehen wollte. Ich hatte versucht mich mit Jon und mit Chatten mit meinen Freunden abzulenken. Ich hatte viel Zeit mit meiner Mutter verbracht und ein wenig gezockt. Doch es half alles nichts. Ich spürte Tränen, die sich in meinen Augen sammelten.
Bevor ich jedoch zu heulen anfangen konnte, richtete ich mich auf und holte meinen Laptop ins Bett. Ich wusste, dass ich nach einem Strohhalm griff, aber ich konnte nicht an mich halten. Ich öffnete Netflix und gab Ivos Email Adresse an, die er für diesen Netflix Account erstellt hatte. Ich hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, ihm über diese Adresse eine Nachricht zukommen zu lassen, aber wenn eine meiner ersten Vermutungen zutraf, dann sollte ich seine Entscheidung mir nicht zu schreiben, akzeptieren.
Beim Passwort musste ich ein wenig herumprobieren, da ich mich nicht mehr an die genaue Schreibweise erinnerte. Schließlich schaffte ich es, mich mit OsiTaBaerchen2024 einzuloggen.
Es wurde keine weitere Serie begonnen und der Fortschritt von The Witcher war noch der, bis zu welchem wir zusammen geguckt hatten. Ich spielte mit dem Gedanken die Serie weiterzuschauen, aber das kam mir falsch vor. Wenn ich sie weiterschauen würde, dann nur mit ihm. Was aber niemals passieren wird, weil er in einem anderen Land lebt und ich jeden Kontakt zu seiner Familie abbrechen sollte.
Ich scrollte durch das Serienangebot und begann schließlich eine spanische Serie, von der ich zwar noch nie gehört hatte, dessen Trailer aber ganz cool wirkte.
***
Ich öffnete blinzelnd meine Augen und ein stechender Schmerz fuhr mir in den Kopf. Stöhnend drehte ich mich auf die Seite und mein Blick fiel auf die Bierflaschen, die auf meinem Tisch standen. Ich erinnerte mich schemenhaft an den letzten Abend. Der Alkohol und die Gehirnerschütterung hatten sich nicht gut vertragen.
Als ich spürte, wie mein Magen sich umdrehte, stand ich taumelnd auf. Alles drehte sich, während ich ins Badezimmer wankte, vor dem Klo auf die Knie ging und mich übergab. Als ich endlich aufhören konnte zu kotzen, spülte ich und erhob mich. Ich suchte meinen Blick im Spiegel und betrachtete mein Gesicht, welches genauso demoliert aussah, wie ich mich fühlte.
Mein linkes Auge war mittlerweile tief lila gefärbt und meine gesamte rechte Gesichtshälfte war zerschrammt. Ein Teil meiner Haare, an der die große Platzwunde genäht werden musste, war abrasiert. Meine Nase war immer noch geschwollen, aber immerhin war sie nach der Behandlung im Krankenhaus nicht mehr schief. Die Wunde an meinem Mund war mittlerweile verkrustet. Automatisch fuhr ich mit der Zunge zu Oberseite meines Kiefers und ertastete die schmerzende Zahnlücke, was mich zusammenzucken ließ.
Mit der einen Hand, die nicht durch den Gips um meinen Arm behindert war, nahm ich meinen Zahnputzbecher und füllte ihn mit Wasser, ehe ich meinen Mund ausspülte. Es war jetzt drei Tage her, dass ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
Ich hatte keinerlei Erinnerung daran, wie ich überhaupt dorthin gekommen war. Ich wusste nur, wie ich Dienstag Abend von der Bib, in der ich versucht hatte, mir einen Überblick über alles, was ich unitechnisch verpasst hatte, zu verschaffen, nach Hause gegangen war. Und wie ich hinter die Container an der Rückseite des Geländes gezogen wurde. Es waren fünf Typen - ich kannte sie nicht, aber es bestand natürlich kein Zweifel, weshalb sie da waren und wer sie geschickt hatte.
Bevor ich realisiert hatte, was passierte, hatten sie bereits begonnen auf mich einzuschlagen. Nicht nur mein Gesicht und meine Arme waren Zielscheiben gewesen - im Krankenhaus hatte man mir erzählt, dass der Sicherheitsdienst der Uni mich dort hatte liegen sehen und den Krankenwagen gerufen hatte. Ich war neben den offensichtlichen Verletzungen, mit zahlreichen Prellungen und Quetschungen eingeliefert worden, sowie mit einem gebrochenen Arm und einem fehlenden Zahn.
Seitdem fühlte ich nur noch Schmerzen. Die Schmerzmittel, die ich bekommen hatte, halfen zwar, die körperlichen Schmerzen zu betäuben, doch den Schmerz, den ich von innen heraus spürte, nahmen sie mir nicht.
Es war dumm gewesen, deshalb zur Flasche zu greifen, aber ich hatte mich so elendig gefühlt - besonders als ich gestern Abend die Email bekommen hatte, dass sich jemand in Deutschland in meinen Netflix Account eingeloggt hatte.
Wieder hatte ich kurz davor gestanden, einfach ihre Nummer zu wählen, aber ich wusste, dass der Schmerz dadurch kein Ende haben würde. Ich würde es für uns beide nur schlimmer machen. Sie brauchte Zeit, um mir zu verzeihen und ich würde sie nur noch mehr vermissen, wenn ich ihre Stimme hören würde. Ich musste sie vergessen - ich wollte sie vergessen. Das Ganze hatte keine Zukunft und wenn sie mich so sehen würde, dann würde sie sich nur unnötig Sorgen machen.
Ich hatte geahnt, was mich erwarten würde und was mir gerade noch fehlte war, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam. Ich hatte den Entschluss gefasst noch zu warten, wenigstens bis ich in zwei Wochen den Zahnersatz bekommen würde. Irgendwo in meinem Inneren hatte sich die Hoffnung festgesetzt, dass ich sie bis dahin nicht mehr ganz so sehr vermissen würde. Dass ich bis dahin akzeptieren konnte, vielleicht einfach nur mit ihr befreundet zu sein und ihr hin und wieder mal zu schreiben, wie es ihr ging.
Gerade schien mir diese Vorstellung jedoch utopisch.
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Lo Que Necesitas - Was du wirklich brauchst
Romance[Teil 2] VORSICHT: SPOILER ZU TEIL 1 Als Laurel dem Fremden die Tür öffnete, hätte sie nie damit gerechnet, dass er sie betäuben und entführen würde. Wieso auch? Sie hatte keine Feinde. Und doch war es passiert und sie fand sich in Spanien wieder. M...